Indiana Jones mit Smartphone

Indiana Jones mit Smartphone

Das Phänomen „Geocaching“ ist zwar nicht neu, erlebte mit der digitalen Revolution jedoch einen regelrechten Boom. Auch in Prag begeben sich zahlreiche Fans auf digitale Schnitzeljagd. Ein Erlebnisbericht

15. 1. 2014 - Text: Vanessa WeissText: Vanessa Weiss; Foto: CzechTourism

Angespannt schaut der schwarzhaarige junge Mann auf sein Smartphone. Man meint, er folge  dem Zwang, immer erreichbar zu sein. Am Fuße der Mánes-Brücke, wo sich einige Touristen von ihrem „schlauen“ Mobiltelefon den Weg zum Kafka-Museum weisen lassen, fällt er nicht auf. Dann bleibt er nahe der Moldau stehen, schaut sich intensiv in der herbstlichen Umgebung um und starrt wieder gebannt auf sein Handy. Er scheint seinem Ziel nahe zu sein. Wie ein Adler umkreist er einen breiten Baumstumpf. Plötzlich kniet er sich hin und findet ein durch einen Stein versiegeltes Loch. Allerdings verbirgt sich dahinter nicht das erhoffte Fundstück.

Der 26-jährige Italiener Yohanta Sottile ist kein Schatzsucher, sondern „Geocacher“. Wie über sechs Millionen andere Menschen weltweit geht er diesem Hobby nach, einer modernen Form der Schnitzeljagd. Ausgerüstet mit einem GPS-Empfänger und den Koordinaten eines versteckten Gegenstandes, begeben sich passionierte Geocacher auf die Suche. Das ist nicht immer leicht, auch nicht in Prag.

Noch immer starrt der junge Italiener auf das leere Loch. Eigentlich hätte der entsprechende Fund (in der Fachsprache als „Cache“ bezeichnet) dort verborgen sein müssen. Überraschend tippt ihn ein älterer Mann an. Dann reicht er ihm lächelnd ein schmales Reagenzglas, das mit schwarzem Band ummantelt ist. Sottile weiß sofort, was mit dem Gefäß zu tun ist. Er öffnet es und zieht ein daumengroßes Heft hervor. „Das ist ein Logbuch, in dem sich die Finder mit ihrem Benutzernamen auf der Geocaching-Internetseite und dem Tag des Fundes eintragen können“, sagt er.

Seit Sottile 2011 im Internet zufällig auf dieses Spiel gestoßen ist, hat es ihn gepackt. „Das Faszinierende daran ist, dass es etwas von Spionage hat. Du schenkst Dingen in deiner Umgebung Aufmerksamkeit, die dir sonst nie auffallen würden.“ Allerdings sollte man beim Suchen unauffällig bleiben. „Sonst besteht die Möglichkeit, dass das Versteck von Menschen entdeckt wird, die nicht geocachen. Sie legen das Fundstück vielleicht nicht mehr an seinen ursprünglichen Platz zurück“, erklärt der Kunststudent.

Beim Geocaching gibt es verschiedene Schwierigkeitsstufen: Von 1 bis 5 können die Versteckenden festlegen, wie knifflig es ist, ihren Gegenstand zu finden. Der Cache an der Mánes-Brücke ist mit der Stufe 1 markiert. Die beliebte Touristendestination Prag zieht auch viele ausländische Geocacher an. Denen will man die Suche nicht unnötig schwer machen, obwohl es natürlich auch in dieser Umgebung Caches mit höherem Schwierigkeitsgrad gibt.

Sottiles Ehrgeiz ist geweckt. Er schaut auf die Karte, die ihm sein Handy mit Hilfe der Android-Applikation „c:geo“ anzeigt. Dadurch erhält er einen Überblick darüber, welche Schätze sich noch in unmittelbarer Nähe der Brücke befinden. Und das sind einige. Nachdem im Juni 2001 der erste Cache nahe dem mährisch-schlesischen Štramberk versteckt wurde, hat sich das Phänomen Geocaching auch in der Tschechischen Republik weiterentwickelt. Nach Informationen der tschechischen Geocaching-Seite verlief der Start etwas holprig. In den Pionierjahren waren im ganzen Land nicht einmal 1.000 Caches versteckt. Mittlerweile wird geschätzt, dass es um die 30.000 sind.

Mysteriöse Botschaften
Der Blick auf die Karte in Sottiles Smartphone zeigt: Auch die Prager Geocacher tragen einen beachtlichen Teil zu diesem Anstieg bei. Allein im touristischen Zentrum häufen sich die kleinen Zielort-Symbole um die Karlsbrücke und den Laurenziberg (Petřín). Sie stehen für die unterschiedlichen Caches. Neben den traditionellen lassen sich so auch „Nacht-Caches“, „Mystery-Caches“ und „Multi-Caches“ unterscheiden. An der Karlsbrücke ist sogar ein Überbleibsel des ersten Caches in Prag zu finden – ein sogenannter „Virtual Cache“. Anstatt einen Fund aufzuspüren, muss man ein Foto von einem ganz bestimmten Ort machen. Seit 2005 listet „geocaching.com“ jedoch keine neuen Caches dieser Art mehr auf.

Für nicht tschechischsprachige Geocacher wird die Suche nach dem nächsten Schatz zu einer besonderen Herausforderung, werden wichtige Informationen doch nur auf Tschechisch formuliert. So dauert es fast zehn Minuten, bis sich Sottile wieder in Bewegung setzt. Er hat einen „Multi-Cache“ entdeckt. Bei jener Variante des Spiels muss der Suchende mehrere Stationen ausfindig machen, um über eine Kette von Botschaften an das Ziel zu gelangen. Das Ganze erinnert in solchen Momenten an Computerspiele oder Indiana-Jones-Filme, mit dem bedeutenden Unterschied eines unmittelbar realen Erlebnisses. Das kleine blaue Fragezeichen auf dem Bildschirm verweist darauf, dass diverse Rätsel vor Ort gelöst werden müssen, um die richtigen Koordinaten für den nächsten Fundort herauszufinden. „Ich mag es, in der Natur nach den Caches zu suchen, weil es dort mehr Möglichkeiten gibt, diese kreativ zu verstecken“, sagt Sottile, als er das grüne Areal um den Laurenziberg betritt. Oberste Regel für Geocacher ist freilich, dass die Natur nicht verändert werden darf.

Die erste Wegmarkierung des „Multi-Caches“ führt Sottile zu einer Statue am Fuße des beliebten Stadtparks. Zahlreiche Darstellungen von Reptilien zieren die Skulptur. Schlangen, Frösche und Schildkröten – all diese muss er zählen, um dem Schatz einen Schritt näher zu kommen. Je öfter er die Statue umrundet, um all die Tiere zu zählen, desto weniger will es gelingen, die Koordinaten mit den Ergebnissen zu vereinen. Der Weg zu diesem „Multi-Cache“ endet, wo er begonnen hat. Traurig ist der junge Geocacher allerdings nicht. Einen Cache hat er an diesem Tag ja bereits gefunden, und dabei mehr als nur die touristischen Seiten Prags kennengelernt. „Diese Statue hätte ich nie bemerkt, wenn ich nicht nach dem Cache gesucht hätte. Das mag ich an meinem Hobby“, sagt Sottile und beobachtet den Sonnenuntergang. Er ist nur für einige Monate zu Gast in Prag, absolviert ein Erasmus-Semester an der Akademie der musischen Künste. Seine Leidenschaft hilft ihm auch, die Hauptstadt schneller und intensiver kennenzulernen.

Was ist Geocaching?
Geocaching ist eine Art elektronische Schatzsuche. Hierbei müssen Verstecke – sogenannte „Caches“ – anhand von Kartenmaterial, das im Internet zur Verfügung gestellt wird, augespürt werden. Die Anfänge des Geocaching reichen in die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück, als rund um Helsinki Behälter mit verschiedenartigstem Inhalt versteckt wurden. Darin befand sich ein Stempel, mit dem jeder, der an der öffentlichen Schatzsuche teilnahm, den Fund in einem individuellen „Logbuch“ verzeichnen konnte. Seit den neunziger Jahren werden dafür GPS-Empfänger verwendet, um die Genauigkeit bei der „Jagd“ nach den Verstecken zu erhöhen. Als schließlich die USA im Jahr 2000 die künstliche Verzerrung der GPS-Signale einstellten, war der Bann für die digitale Schnitzeljagd endgültig gebrochen. Als Logbuch dient das eigene Benutzerkonto auf der Internetseite der Geocacher oder eine analoge, physische Ausführung vor Ort. Weltweit die meisten „Caches“ gibt es in den USA, wo über eine Million Verstecke registriert sind. In Tschechien gibt es derzeit etwa 30.000. Die Zahl der Aktiven steigt kontinuierlich an.

Weitere Informationen zur Geo-Caching-Community unter www.geocaching.com, www.geocaching.de, www.geocaching.cz