„Systematisch ignoriert“
Tschechische Gauck-Behörde aus internationalem Dachverband ausgeschlossen
22. 1. 2014 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert; Foto: APZ
Seit fast sieben Jahren arbeitet das Institut für die Erforschung totalitärer Regime (Ústav pro studium totalitních režimů, kurz ÚSTR) an der Aufarbeitung der nationalsozialistischen und kommunistischen Vergangenheit der Tschechoslowakei. Einen Namen machte es sich allerdings weniger mit seinen Forschungsergebnissen, sondern aufgrund seiner Präsenz in den Medien. Während seiner vergleichsweise kurzen Existenz standen dem Institut bereits fünf Direktoren vor. Zahlreiche Personalwechsel schadeten dem Ruf der Institution. Der Hauptvorwurf: Sie sei eher ein Instrument für politische Interessen als eine neutrale Forschungsstätte. Für neuen Wirbel sorgte das Institut in der vergangenen Woche. Die Plattform für europäische Erinnerung und Gewissen (PEMC) – eine Kooperation internationaler Organisationen und staatlicher Einrichtungen zur Aufklärung der Verbrechen totalitärer Regime – hatte das ÚSTR suspendiert.
Wie PEMC-Präsident Göran Lindblad in einem offenen Brief an das Prager Institut schrieb, verstoße das ÚSTR gegen den ethischen Kodex der Plattform. Zum Ausschluss habe die „fehlende Kommunikationsbereitschaft“ einiger Mitarbeiter bei der Aufklärung ihrer politischen Vergangenheit geführt.
Abwegiges Argument
Gegenstand der Ermittlung ist die ehemalige Tätigkeit von Mitarbeitern des Wissenschaftlichen Beirats für die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei (KSČ). Fünf Mitglieder dieses Gremiums, das dem Institut beratend bei seiner wissenschaftlichen Arbeit zur Seite steht, stehen unter Verdacht, während ihrer Mitgliedschaft in der KSČ politische Ämter innegehabt oder eine Vergütung für ihre Parteitätigkeit erhalten zu haben. Beides verstößt gegen den ethischen Grundsatz der Plattform.
Eine Anfrage sollte Licht ins Dunkel der Mutmaßungen bringen. Doch das ÚSTR verweigerte den Zugang zu seinen Informationen. Mit dem Hinweis darauf, dass es um private Angaben ginge und man die per Grundgesetz festgeschriebenen Persönlichkeitsrechte der Betroffenen nicht verletzen dürfe, kam das Prager Institut auch einer wiederholten Aufforderung nicht nach. Für die PEMC ein nahezu abwegiges Argument. Immerhin ist es gesetzte Aufgabe des ÚSTR, die Tätigkeiten des kommunistischen Regimes zu erforschen und auch Informationen über Taten und Schicksale Einzelner zu dokumentieren und zu veröffentlichen. „Hierfür ist das ÚSTR per Gesetz befugt, im notwendigen Umfang auch persönliche Daten zu bearbeiten“, bestätigte die Generaldirektorin der PEMC Neela Winkelmann gegenüber der „Prager Zeitung“.
Der Fall ist nicht der erste, der die schlechte Kommunikation zwischen ÚSTR und PEMC widerspiegelt. Bereits im April 2013 war die damals frisch ernannte Institutsleiterin Pavla Foglová in Misskredit geraten. Medienberichten zufolge soll sie in den neunziger Jahren für die Demokratische Bürgerpartei (ODS) Gelder in Höhe von 20 Millionen Kronen gewaschen haben. Weder Foglová noch der Institutsrat bezogen Stellung zu den Gerüchten und blieben der PEMC eine Antwort schuldig. Zwar beteuert ÚSTR-Sprecher Pavel Ryjáček, sich um Aufklärung bemüht zu haben. So wurde Lindblad in die Hauptstadt eingeladen, um sich vor Ort einen Eindruck verschaffen zu können. Der PEMC-Präsident nahm das Angebot indes nicht wahr. „Die Bemühung um Kommunikation und die Suche nach einem gemeinsamen Weg wurde systematisch ignoriert“, ist Ryjáček überzeugt.
Der Vorstand der Plattform sieht das jedoch anders. Er wertet „eine Einladung anstatt einer Antwort als bloßes Ablenkungsmanöver“, so Winkelmann. Im November schließlich beschloss die PEMC bei einer Sitzung in Den Haag, die Einrichtung ab 14. Januar 2014 bis auf Weiteres ihrer Mitgliedschaft zu entheben – eine Entscheidung, die das europäische Organ eigenen Angaben zufolge überaus bedauert. Schließlich gehöre das ÚSTR selbst zu jenen Institutionen, die PEMC vor drei Jahren gründeten. Damit darf die tschechische Gauck-Behörde derzeit nicht an internationalen Projekten mitarbeiten.
Dennoch hofft die Plattform auf eine baldige Klärung der infrage gestellten Belange. Erst dann könne das Institut wieder als vollwertiges Mitglied zurückkehren. Hoffnungen setzt Winkelmann zudem auf den neuen ÚSTR-Direktor, der derzeit in einem Auswahlverfahren ermittelt wird. Dieser soll die häufigen Personalwechsel beenden und das ÚSTR damit vor einer in den Medien regelmäßig überstilisierten Politisierung bewahren.
Die politische Aufladung der Vorgänge am ÚSTR ist gewissermaßen ein hausgemachtes Problem.
Dauerthema in den Medien
Die Kontrolle des Instituts sowie die Wahl des Direktors obliegt einem aus sieben Mitgliedern bestehenden Rat, der vom tschechischen Senat ernannt wird. Als die Sozialdemokraten (ČSSD) in der oberen Parlamentskammer die Mehrheit erlangten, beriefen sie Daniel Herman in der Mitte seiner Amtszeit plötzlich vom Posten des Direktors ab. Dieser ist inzwischen Parlamentsabgeordneter der Christdemokratischen Volkspartei (KDU-ČSL). Zur Nachfolgerin wurde – jedoch ohne Auswahlverfahren – Foglová ernannt. Der 15-köpfige Wissenschaftliche Beirat trat aus Protest geschlossen zurück. Als Foglová dann Personalveränderungen ankündigte, wurde die „kommunistische Infiltrierung“ des Institutes zum medialen Dauerthema.
Die Ereignisse vom April vorigen Jahres fügten dem Ansehen des ÚSTR in der breiten Öffentlichkeit und in Fachkreisen erheblichen Schaden zu. „Die jetzige Leitung des Instituts hat leider die internationale Zusammenarbeit des ÚSTR und ihre Bedeutung im Wesentlichen außer Acht gelassen. Bisher scheint sie hauptsächlich damit beschäftigt zu sein, Personalwechsel vorzunehmen und vor allem die Leistung und Arbeit der europaweit herausragenden Digitalisierungsabteilung des ÚSTR zu behindern“, so PEMC-Generaldirektorin Winkelmann.
Mangelhafte Kommunikation und schwerwiegende Fehler im Management hält auch Adrian von Arburg für die gravierendsten Versäumnisse. Der Historiker, der vergangene Woche als Leiter des Wissenschaftlichen Beirates zurücktrat und nun das Institut als dessen Direktor führen will, stellt dem ÚSTR ein schlechtes Zeugnis aus: „Noch nie besaß eine Institutsführung von ÚSTR einen solch schwachen Rückhalt im eigenen Haus. Es wird viel zu wenig aktiv mit den eigenen Angestellten kommuniziert.“
Unter von Arburgs Leitung führte der Wissenschaftliche Beirat im November 2013 erstmals eine Evaluierung durch. Die Hauptkritikpunkte: Fehlendes Vertrauen zur Führungsebene, aber auch innerhalb der Belegschaft, und Uneinigkeit verhindern ein erfolgreiches Arbeiten. Deshalb, sowie aufgrund der zahlreichen Negativschlagzeilen, genieße es keinen guten Ruf in der Bevölkerung. „Es fehlt leider auf allen Seiten akut an konsensual ausgerichteten Akteuren, die sich bewusst sind, dass langfristig nur das bestehen wird, was sich auf eine möglichst breite Akzeptanz in Politik und Gesellschaft berufen kann“, erklärt von Arburg. „Wir brauchen einen Konsens in der tschechischen Gesellschaft, dass diese staatliche Institution des nationalen Gedenkens und Aufarbeitens der jüngsten Geschichte dringend notwendig ist.“
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“