Erlösungsoper ohne Eros-Kult
Zur Aufführung von Wagners „Tannhäuser“ in der Prager Staatsoper
29. 1. 2014 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Foto: Národní divadlo
Bis 1938 hatten Wagner-Opern im Repertoire des Neuen Deutschen Theaters stets ihren festen Platz. Heute taucht der Name Wagner nur noch selten in den Spielplänen der großen Bühnen auf. Zu den meistgespielten Werken gehören diejenigen von Verdi, Puccini, Smetana und Janáček. Dass mit dem „Tannhäuser“ derzeit wieder ein Stück Wagners in der tschechischen Hauptstadt aufgeführt wird – und zwar im Gebäude des ehemaligen Neuen Deutschen Theaters (der heutigen Staatsoper) – hat einen einfachen Grund. Die Aufführungen sind Prags verspäteter Beitrag zum doppelten Wagner-Jubiläum. Ursprünglich sollte die Neuinszenierung des lettischen Regisseurs Andrejs Žagars bereits im vergangenen Jahr aufgeführt werden, als überall auf der Welt der 200. Geburts- und 130. Todestag des umstrittenen Musikgenies gewürdigt wurde.
Dass Wagners Opern in der Regel kaum in Prag gespielt werden, hängt wohl auch damit zusammen, dass sie viel von den Sängern abverlangen. Bei der Premiere des „Tannhäuser“ vor zwei Wochen bot Dana Burešová in ihrer Rolle als Elisabeth eine überzeugende Leistung. Auch Daniel Frank schlug sich als Tannhäuser wacker mit einem der anspruchsvollsten Opernsoli für Baritone. Doch in den Duetten mit Burešová fiel es ihm schwer, sich neben seiner stimmgewaltigen Kollegin zu behaupten.
Keine Triumphe
Insgesamt wirkt die Inszenierung unterkühlt und biedermeierlich. Der Zuschauer bekommt zwar das (heute ohnehin kaum noch verständliche) Erlösungsdrama des sündigen Tannhäusers mit der Pilgerfahrt nach Rom und dem Opfertod der Elisabeth vorgeführt, doch Tannhäusers Hingabe an die sinnliche Leidenschaft wird zu wenig akzentuiert. Im ersten Akt, der Tannhäuser und Venus im Venusberg zeigt, blickt der Zuschauer auf eine Kulisse, die so gar nichts mit einem Liebesnest zu tun hat: Zwei mehrere Meter voneinander stehende Betten vor dem Hintergrund hoher kahler Wände erwecken nicht gerade den Eindruck, dass sexuelle Leidenschaft hier ihre Triumphe feiert. Venus, recht züchtig gekleidet, und Tannhäuser ergehen sich in nur sparsamen flüchtigen Umarmungen. Der Zuschauer könnte den Eindruck gewinnen, dass Tannhäuser den Venusberg deshalb verlassen will, weil er dieses kühle, unerotische Ambiente satt hat.
Seit Jahrzehnten geben Tannhäuser-Aufführungen bereits während der langen Ouvertüre den Blick auf eine Bühne frei, auf der sich Paare in aufreizenden Posen und Umarmungen bewegen, um so die Macht des Eros anschaulich zu machen. Wagner selbst hat bei seiner Pariser Aufführung 1861 eine Venusberg-Pantomime eingeschoben und kommentierte das Ballett mit den Worten: „Ich forderte Unerhörtes, vom gewohnten Ballett gänzlich Abwesendes.“ Wagner hat mit dem Tannhäuser einen Menschen zeigen wollen, der an einer prüden und spießbürgerlichen Gesellschaft zerbricht, weil er in ihr eine Liebe, in der sich Sinnlichkeit und Hingabe an einen Menschen verbinden, nicht ausleben kann. Er verlässt den Venusberg nicht etwa, um nun eine platonische Liebe zu leben, sondern weil sich für ihn die wahre Liebe erst in der Konfrontation mit Schmerz, Leid und Sterblichkeit erfüllt, die der Venusberg nicht kennt.
Zauber der Musik
Wagner war fasziniert von dem Tannhäuser-Mythos, wonach das Christentum die alten Götter und mit ihr die Göttin Venus zwar in den Untergrund, also ins Unterbewusstsein verbannt hat, wo sie aber weiterhin ihre Anziehungskraft auf den Menschen behalten haben – eine Macht, die auch eine der Sinnlichkeit feindlich gegenüberstehende christliche Moral nicht unterdrücken kann. Dass Dichter wie Heinrich Heine und Charles Baudelaire Wagners Musik überaus geschätzt haben, spricht für sich.
Doch auch wer die Prager Inszenierung, die Wagners Sehnsucht nach einer erotisch-ästhetischen Schönheit unterschlägt, als unterkühlt empfindet, kann – vielleicht am besten mit manchmal geschlossenen Augen – die Aufführung genießen, vor allem weil ein guter Chor und ein engagiertes Orchester dem Zuhörer den Zauber der Musik Wagners nahezubringen vermögen.
Prag und Wagner
Prag war über lange Zeit die Stadt mit den meisten Wagner-Aufführungen. Allein unter dem ersten Theaterdirektor des Neuen Deutschen Theaters, Angelo Neumann, wurden von 1888 bis 1910 über 600 Wagner-Vorstellungen gespielt. Der im Königlichen Hoftheater Dresden uraufgeführte „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ feierte in Prag 1854 seine Premiere. Wagner selbst weilte insgesamt zwölf Mal in Prag und Böhmen. Zur „Tannhäuser-Oper“ inspirierte ihn ein Aufenthalt auf der Burg Schreckenstein (Střekov) bei Aussig (Ústí nad Labem) im Jahre 1842: In ein weißes Betttuch gehüllt geisterte Wagner als Gespenst des Nachts durch die Räume der Burg.
Auf unbestimmte Zeit verschoben
Neue Formen des Unterrichts