Nächtliche Stunde mit Panenkas Kumpel
Petr Janečka: früher tschechoslowakischer Fußball-Nationalspieler, heute ein Sozialfall
13. 2. 2014 - Text: Klaus HanischText: Klaus Hanisch; Foto: Petr Janečka (links) im WM-Qualifikationsspiel gegen die Türkei am 3. Dezember 1980 im Prager Evžen-Rošický-Stadion./ČTK, Libor Hajský
Zufällig fällt der Name Frankfurt. Da schaltet sich plötzlich ein Mann vom Nebentisch in das Gespräch ein. „He, Frankfurt!“ Das Stichwort elektrisiert ihn offenkundig. „Frankfurt, Holzenbein, Bum-kun-cha.“
Dieser Bum spielte Anfang der achtziger Jahre für Eintracht Frankfurt. Wer den ehemaligen südkoreanischen Profi heute noch kennt, vor allem in Prag, muss sich intensiv mit Fußball beschäftigen. Muss also ein besonders großer Fan sein. „Fan? Quatsch Fan!“, äfft der Nebenmann nach, „ich bin kein Fan, ich habe selbst gespielt.“ Und er setzt noch eines drauf: „Sogar in der Nationalmannschaft der Tschechoslowakei!“
Es ist kurz vor vier Uhr morgens, noch immer sitzen erstaunlich viele Trinker in der Kneipe „U Kotvy“ in der Spálená-Straße. Nicht jeder ist hier jetzt wirklich ernst zu nehmen.
Dann war wohl Sparta sein Verein? „Sparta“, er macht eine verächtliche Miene, „pah Sparta. Bohemians war mein Klub!“ Der Klub von Panenka? „Panenka“ – sofort fliegt ein Strahlen auf sein Gesicht. Er holt ein schneeweißes Handy aus seiner Hosentasche, rollt im Telefonbuch bis „P“ und zeigt den Namen vor: „Panenka!“ „Der“ Panenka? „Ja, Panenka!“, bekräftigt er in deutlich gehobener Tonlage und leicht gekränkt, „Antonín!!“ Sichtbar stolz lehnt sich der Mann in seinem Sitz zurück. Mit seinem Schnauzer und den lichten graublonden Haaren sieht er dem großen Panenka, in Deutschland seit seinem kaltblütig geschlenzten Elfmeter im EM-Finale 1976 ein Begriff, selbst nicht unähnlich. Vor allem, wenn er lacht.
„Und der bin ich“, sagt er dann und zieht eine Ausweiskarte des Fußballverbandes aus seiner Jackentasche. Darauf steht: Petr Janečka, geboren im November 1957.
Wie verlief denn seine Karriere? Janečka erzählt auf Tschechisch, manchmal streut er deutsche und französische Wörter ein. Denn er habe auch in Belgien und Österreich gespielt. „Und ich war bei der WM dabei“, klopft er plötzlich mit der Faust leicht auf den Tisch.
Bärenstarke Gegner
Und was macht er heute? Der 56-Jährige weist mit ausladender Armbewegung auf die Spálená draußen. „Ulice“, sagt er mit sardonischem Lächeln, „ich lebe auf der Straße.“
Wie ist das möglich? Janečka trägt alte blaue Jeans, einen roten nicht sehr dicken Anorak und darunter ein graues T-Shirt. Das hebt er hoch und zeigt eine lange Narbe auf seinem Bauch, die an die Entfernung mehrerer Magengeschwüre erinnert. Anschließend berührt er die Achillessehne seines rechten Beines und sein linkes Knie: „Alles kaputt.“
Blieb denn nichts vom Verdienst als Berufsfußballer übrig? Janečka macht eine wegwerfende Handbewegung.
Und seine Frau? „Argent, argent…“, antwortet er auf Französisch und verzieht dabei das Gesicht, „wollte immer nur Geld.“
Kinder? Er hebt zwei Finger der rechten Hand. Auch zu ihnen besteht offenbar kein Kontakt mehr.
Ruhm verblasst schnell. „Zehn Jahre habe ich international gespielt“, wechselt er nach halb fünf schnell das Thema. Und die Deutschen seien immer bärenstarke Gegner gewesen. „Rummenigge, toll! Völler und Litti auch.“ Der immer noch schlanke Mann springt auf und zeigt mit sportlichen Drehungen und schnellen Schritten, wie Littbarski einst dribbelte. „Dabei war der nur so groß“, deutet er mit der flachen Hand auf Höhe seiner Brust, „und Matthäus ebenso.“
Dann will er etwas wissen: „Was machst du?“ „Tisk.“ „He, Presse“, er schlägt sich vor Freude aufs Bein und hält den Ober, der gerade seinen harten hellbraunen Holzstuhl passiert, am Ärmel fest. „He, Wirt, einer von der Zeitung.“ Janečka lebt spürbar auf. Dann beugt er sich vor. „Wir haben jetzt schön gesprochen“, stellt er fest, „dann haben wir doch sozusagen ein Interview gemacht… und dann kannst du mir eigentlich ein Honorar dafür geben… gib mir zumindest etwas Geld.“
Glanzpunkt São Paulo
Petr Janečka – ein Schlitzohr? Nicht mehr als ein Schnorrer und Lügner, der sich eine schöne Geschichte ausgedacht hat, um in Kneipen kostenlos zu seinem Bier zu kommen? War er tatsächlich mal ein Fußball-Idol?
Ja, es gab ihn wirklich! Janečka spielte von 1977 bis 1983 für Zbrojovka Brünn, anschließend bei Bohemians Prag und ab 1987 auch ein Jahr bei RC Jet in Brüssel. Zwischen April 1978 und September 1987 absolvierte er 39 Länderspiele für die Tschechoslowakei, in denen er neun Tore erzielte. Gegen Deutschland trat er zweimal an, beim 1:2 im April 1982 in Köln (auf dem Platz standen unter anderem Rummenigge, Littbarski und Matthäus) und beim 1:5 Ende April 1985 in Prag (mit Völler).
Und er war bei der WM 1982 in Spanien. Im Kader der ČSSR stand damals nicht nur Panenka, sondern weitere bekannte Spieler wie Kapitän Zdeněk Nehoda. Noch heute ist Janečkas Autogrammkarte für dieses Turnier im Internet zu finden. Im selben Jahr erzielte er in der Nachspielzeit gegen Brasilien den viel umjubelten Treffer zum 1:1-Endstand – einen der schönsten Momente seiner Karriere erlebte Janečka vor der beeindruckenden Kulisse von 107.000 Zuschauern im Morumbi-Stadion von São Paulo.
Doch nach seiner Karriere verlor der einstige Stürmer alles. Seine Frau trennte sich von ihm, zeitweise wohnte er in einem Škoda Favorit, bis man ihm auch noch sein Auto stahl. 2009 dann der Tiefpunkt: Mit 2,5 Promille fuhr er mit seinem Wagen eine Fußgängerin an und landete im Gefängnis von Brünn – ausgerechnet in der Stadt, in der er seine größten Erfolge feierte. Unter anderem in der Saison 1977/78 den bisher einzigen Meistertitel von Zbrojovka Brünn. Dafür wird er noch heute von den Anhängern des Klubs verehrt.
Um fünf Uhr wankt Petr Janečka hinaus in die eiskalte Prager Nacht. Der Mann, für den einst Tausende in die Stadien strömten, um ihn spielen zu sehen, ist heute auf deren Almosen angewiesen.
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