Odyssee einer Bildgeschichte
Legendäres Comic von Kája Saudek aufgetaucht – Familie erhebt Eigentumsansprüche
19. 2. 2014 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert; Bild: komiksárium.cz
Einer der wertvollsten Schätze des tschechischen Comics ist nach 40 Jahren wieder aufgetaucht. In einer Prager Galerie sollte er für knapp sechs Millionen Kronen (rund 220.000 Euro) versteigert werden. Noch vor der Auktion geriet das Comic allerdings erneut unter Verschluss. Die Polizei konfiszierte „Muriel a andělé“ („Muriel und die Engel“), die berühmte Bildgeschichte des Illustrators Kája Saudek.
Aufgrund einer Strafanzeige von Seiten der Familie des Künstlers habe die Polizei das Bildwerk beschlagnahmt, so Polizeisprecher Tomáš Hulan. „Aus Angst, das Comic könnte weitere zehn Jahre im Nirgendwo verschwinden, haben wir es sichergestellt“, teilte Hulan mit. Die Angehörigen Saudeks hatten zuvor Anzeige gegen den unbekannten Besitzer und das Aktionshaus „1. Art Consulting“ erstattet, das „Muriel a andělé“ am vergangenen Sonntag in der Galerie Topičův Salon unter den Hammer bringen wollte. Sie reagierten damit laut ihrem Anwalt vor allem auf die Spekulationen der Medien, die Bild-Originale – deren Verbleib seit Jahrzehnten im Dunkeln liegt – seien zwischenzeitlich an sie zurückgegeben worden. Dem sei nicht so, trotzdem bleibt „der Eigentümer des Werkes sein Erschaffer, also Kája Saudek“, so der Rechtsbeistand.
„Amerikanisierter Kitsch“
Über 40 Jahre galten die Original-Zeichnungen von „Muriel a andělé“ als vermisst. Saudek schuf die Bildgeschichte um die junge Physikerin Muriel Ray und den aus ferner Zukunft auf der Erde gelandeten Engel Ro Ende der sechziger Jahre. Einen Teil des Comics konnte Saudek als Schwarz-Weiß-Druck in der Zeitschrift „Mladý svět“ ablichten. Als kitschiger, amerikanisierter Schund abgestempelt, fiel das Werk jedoch der kommunistischen Zensur zum Opfer. Erst 1991 ging das Comic offiziell in Druck und erschien als eigenständiger Bildband. Schon damals waren die Originale nicht mehr auffindbar. Polizeiangaben zufolge verlor sich ihre Spur bereits Anfang der siebziger Jahre.
Wo die Bilder über all die Jahre waren, bleibt ein Geheimnis. Noch nicht einmal Saudek selbst wusste, wo sein Werk verblieben ist. „Im Vorwort zur Buchausgabe schreibt er, dass er sich nicht an Einzelheiten erinnern könne und die Originale für verschollen hält“, erklärt Martin Foret vom Zentrum für Comic-Studien in Olomouc. Ob es wahrscheinlich sei, dass Saudek sein Werk einst selbst verschenkte oder verkaufte, könne heute kaum gesagt werden, so Tomáš Prokůpek, Autor des Nachwortes zur diesjährigen Ausgabe von „Muriel a andělé“. „Hierfür gibt es weder einen Beleg noch einen Gegenbeweis.“
Etwa vor zwei Jahren dann tauchten die Zeichnungen erstmals auf. Wahrscheinlich in Zusammenhang mit der Neuauflage von Saudeks zweitem großen Werk „Muriel a oranžová smrt“ („Muriel und der orange Tod“), dessen kommerziellem Erfolg und dem allgemein großen Interesse an Saudek, vermutet Foret. Damals wurden die Originale verkauft. „Zwischen diesem Käufer und jenem, der das Werk nun zur Versteigerung angeboten hat, muss es aber noch mindestens einen weiteren gegeben haben“, so Foret.
Meilenstein eines Meisters
Die Polizei hat nun die Aufgabe, die undurchsichtige jahrzehntelange Reise der Zeichnungen zu erhellen. Erst dann dürfte die Frage der Eigentumsrechte geklärt sein. Zwar beanspruchen die Angehörigen Saudeks das Werk aufgrund der Autorschaft als rechtmäßigen Familienbesitz, doch kann „Muriel a andělé“ genauso gut auf legale Weise in die Hände eines Kunstliebhabers gekommen sein. Sollte sich herausstellen, dass der jetzige Käufer das Comic rechtmäßig erworben hat, dürfte es wohl versteigert werden. Zuvor jedoch wartet ein langwieriger Rechtsstreit auf alle Beteiligten.
Der Künstler selbst kann sich zum Fall nicht äußern. Kája Saudek verunglückte 2006 im Alter von 70 Jahren schwer. Seitdem liegt er im Koma. In der tschechischen Comic-Szene gilt der Zwillingsbruder des ungleich bekannteren Fotografen Jan Saudek als Meister. Die Comic-Plattform „Komiksárium“ ernannte „Muriel a andělé“ 2009 zum besten tschechischen Comic aller Zeiten. Prokůpek unterstreicht die Bedeutung Saudeks für die Entwicklung des tschechischen Comics: „Muriel a andělé“ hatte zur Zeit seiner Entstehung zweifellos ein revolutionäres Konzept. Während die Comics in der Tschechoslowakei damals aus einseitigen Episoden bestanden, die sich auf der Rückseite fortsetzten, entwarf Saudek einen 130-seitigen Opus großzügig gestalteter epischer Bögen mit einer äußerst modernen Komposition. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass weder vor noch nach Saudek in der Geschichte des tschechischen Comics jemand derart mit den aktuellen Trends hat Schritt halten können.“
Kája Saudek
Kája Saudek kam am 13. Mai 1934 in Prag zur Welt. Als Sohn eines jüdischen Bankangestellten wurde er während des Zweiten Weltkriegs gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Jan im polnischen Konzentrationslager Luža inhaftiert. Zum Comic kam Saudek eigenen Erzählungen zufolge über Verwandte in den USA, die Pakete mit Comic-Heften in die Tschechoslowakei schickten. Anfang der sechziger Jahre arbeitete Saudek als Kulissenschieber in den Barrandov-Studios. Dort lernte er Regisseur Václav Vorlíček kennen, der auf Anhieb von Saudeks Zeichentalent begeistert war und ihn für den Film „Kdo chce zabít Jessii?“ („Wer will Jessie umbringen?“) engagierte, eine Parodie auf die amerikanischen Superhelden. Neben den Comic-Elementen entwarf Saudek Werbematerialen und Kostüme für den Streifen, der den Auftakt seiner Karriere als Comic-Zeichner bedeutete. Mit der sogenannten Normalisierung 1969 verschlechterten sich die Bedingungen für nichtkonforme Künstler. Saudek gelang es jedoch, über die Tschechische Gesellschaft für Höhlenforschung einige Comic-Serien zu veröffentlichen. Nach der politischen Wende 1989 wurde Saudek schlagartig zu einem der populärsten Zeichner. Sein äußerst umfangreiches Werk befindet sich in Privatbesitz seiner Familie und einiger Sammler.
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