„Ich habe diese Frauen achten gelernt“
Gespräch mit der Leiterin einer Prager Hilfsorganisation für Prostituierte
27. 2. 2014 - Interview: Friedrich Goedeking
Die Stadt Prag lockt nicht nur mit der Romantik hunderter Türme und mit mittelalterlichen Gassen und Plätzen, sondern auch mit ihren Angeboten für Sextouristen. Geschätzte 6.000 Prostituierte arbeiten in Prag. Sie bieten ihre Dienste in rund 50 Sexclubs, in Privatwohnungen und auf der Straße an. Was sind das für Frauen und wer kümmert sich um sie und ihre Probleme? Darüber hat sich PZ-Mitarbeiter Friedrich Goedeking mit der Leiterin des Prager Büros der Hilfsorganisation „Rozkoš bez rizika“ („Leidenschaft ohne Risiko“) Jana Poláková unterhalten.
Seit wann gibt es „Rozkoš bez rizika“?
Jana Poláková: Seit über 20 Jahren. Unser Ziel ist es, den Frauen durch Prävention, Diagnose und medizinische Hilfe im Falle von Infektionen zu helfen. Wir beraten sie auch, wie sie mit der Verachtung ihres Berufs durch die Gesellschaft umzugehen lernen können. An die Öffentlichkeit wenden wir uns mit Vorträgen, Diskussionsrunden und Broschüren. Mit unseren Theaterstücken wollen wir die Öffentlichkeit mit den Problemen der Sexarbeiterinnen konfrontieren. Wir haben Zentren für die Beratung und medizinische Versorgung in Prag, Brünn und České Budějovice. Neun Fieldworker sind direkt in Clubs und auf den Straßen in 12 Kreisen tätig.
Wie viele Frauen nehmen diese Angebote wahr?
Poláková: Im letzten Jahr waren es 1.500 Frauen. Zunächst einmal geht es den Frauen um die medizinischen Untersuchungen. Wenn sie dann Vertrauen zu uns gefasst haben, lassen sie sich auch in ihren ganz persönlichen Nöten von uns beraten. Viele schätzen an unserer Beratung, dass wir uns für die wirklich persönlichen Probleme der Frauen interessieren und nicht nur dafür, wie das Sexgeschäft abläuft. Positiv ist für unsere Kunden natürlich auch, dass das Ganze kostenlos ist.
Mit welchen Problemen der Frauen werden Sie am häufigsten konfrontiert?
Poláková: Das größte Problem der Frauen ist das Erleben physischer Gewalt und psychischer Demütigungen. Sie leiden unter der Verachtung durch ihr Umfeld und darunter, dass sie von ihren Kunden und den Bordellbesitzern verbal erniedrigt und gedemütigt werden. Im Dezember haben wir den Aktionstag „Schluss mit der Gewalt gegen SexarbeiterInnen“ begangen und dabei der 18 Frauen und der zwei Männer gedacht, die seit dem Jahr 2000 bei der Ausübung ihrer Arbeit ermordet wurden. Wir beraten die Frauen, wie sie sich vor diesen Aggressionen schützen können. Gefährdet sind vor allem Frauen, die ihre Kunden in der eigenen Wohnung empfangen.
Das ist vermutlich nicht die einzige Form von Gewalt, die die Frauen erdulden müssen …
Poláková: Nein, das häufigste Problem besteht darin, dass ein Großteil der Männer Sex ohne Kondom verlangt. Die Versuche der Frauen, ihnen zu erklären, dass sie nicht nur deren Gesundheit, sondern auch die eigene gefährden, haben meistens keinen Erfolg. Die meisten Männer hören auch nicht auf hygienische Argumente, dass die Frau zum Beispiel schon mehrfach sexuellen Kontakt an diesem Tag gehabt hatte.
Das klingt wie eine Bestätigung des bekannten Liedes „Männer sind Schweine.“
Poláková: Wenn Sie unsere Klientinnen fragen, dann werden die das bestätigen. Um die Männer für die gesundheitlichen Gefahren mehr zu sensibilisieren, haben wir in letzter Zeit Clubs besucht und dort den Männern kostenlose HIV-Tests angeboten. Außerdem verteilen wir an die Freier in den Clubs Flugblätter. Wir appellieren darin mit zehn Geboten, die Menschenwürde der Frauen mehr zu achten.
Man hört aber auch immer wieder von Sexarbeiterinnen, die von sich behaupten, dass sie sich durchaus wohl fühlen bei ihrer Tätigkeit…
Poláková: Es gibt eine Minderheit von Frauen, die von sich sagen, dass ihnen ihre Arbeit Spaß macht. Das sind aber Ausnahmen und wir erleben auch, wie schnell sich diese Einstellung durch schlechte Erfahrungen ändern kann.
Warum wählen Frauen diesen Beruf?
Poláková: Die überwiegende Mehrheit der Frauen übt den Beruf aus, weil sie arbeitslos sind, weil sie oder auch ihr Partner Schulden haben oder weil sie ihre Kinder nicht in Armut aufwachsen lassen wollen.
Kann man sagen, dass Zwangsprostitution nicht erst mit der Verschleppung von Frauen aus Armutsländern nach West- und Mitteleuropa beginnt?
Poláková: Ja, Zwangsprostitution ist ein sehr verbreitetes Problem und bleibt in vielen Fällen unerkannt. Es muss sich dabei nicht nur um Ausländerinnen handeln, auch wenn die besonders gefährdet sind. Oft erfahren wir erst im Nachhinein, dass Frauen unter sehr schlechten Bedingungen gearbeitet haben und sich nicht getraut haben, darüber zu sprechen. Ordentliche Bedingungen für ihre Arbeit durchzusetzen, ist für die meisten Frauen sehr schwierig.
Beraten Sie auch Frauen, die aus dem Sexgeschäft aussteigen wollen?
Poláková: Ja. Die Gründe, warum die Frauen aussteigen, sind dabei sehr unterschiedlich. Oft weil sie einen Partner finden und eine Familie gründen. Oder weil sie eine Notsituation überwunden haben, wie zum Beispiel Probleme mit der Finanzierung des Studiums. Eine Meinungsumfrage, die ich im Jahr 2008 in Prag durchgeführt habe, hat ergeben, dass 50 Prozent der Frauen nur sehr kurz als Sexarbeiterinnen tätig sind, also maximal ein bis zwei Jahre. Manche Frauen sind nach einer gewissen Zeit im Geschäft psychisch am Ende. Sie wissen aber oft nicht, wie es weitergehen soll. Sie glauben nicht an sich und haben kein Selbstbewusstsein. Diesen Frauen helfen wir in individuellen Therapien und bei der Suche einer neuen Arbeit.
Warum haben Sie diesen Beruf gewählt?
Poláková: Ich habe Sozialrecht und Sozialarbeit in Prag studiert und dann ein Praktikum bei „Rozkoš bez rizika“ absolviert. Dabei habe ich mehr über den Alltag der Frauen erfahren. Ich muss sagen, dass ich diese Frauen achten und schätzen gelernt habe.
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