Vom Leierkastenmann zum berühmten Komponisten
Wie Franz Werfel mit seinem Roman Giuseppe Verdi zur Popularität verhalf
5. 3. 2014 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Bild: orso.org
Im Jahr 1904 lud Angelo Neumann, erster Theaterdirektor des Neuen Deutschen Theaters in Prag, den damals 30-jährigen Enrico Caruso ein. Der italienische Tenor stand gerade am Beginn seiner großen Karriere. Es war für ihn der erste Bühnenauftritt nördlich der Alpen. In Prag sang Caruso unter anderem den Fürst von Mantua aus Verdis „Rigoletto“. Im Publikum saß damals auch der 14-jährige Franz Werfel, der sich von da an zum begeisterten Anhänger des Komponisten entwickelte. 20 Jahre später sollte er seinen Roman „Verdi: Eine Oper“ veröffentlichen.
Anlässlich des 90-jährigen Jubiläums des Werfel-Romans lud das Österreichische Kulturforum in Prag den Grazer Musikwissenschaftler Harald Haslmayer zu einem Vortrag ein. Mit einem lebendigen Referat und profunder Kenntnis verstand es Haslmayer dem Publikum zu vermitteln, wie sehr Werfel dazu beigetragen hatte, dass Verdis Opern einen festen Platz im Repertoire der Opernhäuser erhielten. Werfels 1924 im Zsolnay-Verlag erschienener erster Roman war ein Riesenerfolg: 60 000 Exemplare wurden innerhalb von wenigen Monaten verkauft. Ähnlich wie der Prager Max Brod dem von den Tschechen zunächst kaum geschätzten Leoš Janáček zu Weltruhm verhalf, hat Werfel maßgeblich daran mitgewirkt, dass Verdi bis heute zu den meist gespielten Opernkomponisten gehört.
Kunstauffassung zweier Antipoden
Werfels Roman beginnt mit dem plötzlichen Tod Richard Wagners im Jahr 1883 in Venedig. Verdi, der sich in Venedig aufhält, will Wagner besuchen, kommt aber zu spät und so können sich die beiden Kontrahenten nie begegnen. Dass Verdi vom Tod Wagners in Venedig erfährt, ist reine Fiktion, die Werfel nutzt, um die Rivalität der beiden Musiker zuzuspitzen. Tatsache ist jedoch, dass Wagner sich abfällig über Verdis Kompositionen äußerte und auch Verdi nicht mit seiner Kritik am Werk Wagners sparte. Im Roman erlebt Verdi den Tod des deutschen Komponisten als eine Befreiung. Wagners vernichtende Urteile über seine Musik – der sich unter anderem auch Brahms und Richard Strauss anschlossen und die in dem Urteil gipfelten, dass Verdi nur triviale Leierkastenmusik produziert habe – hatten Verdi so tief getroffen, dass er seit zwölf Jahren keine Komposition mehr verfasste. Nun löst er sich aus dem übermächtigen Schatten des damals bedeutendsten deutschen Tondichters und komponiert mit „Falstaff“ und „Otello“ zwei weitere seiner großen Opern.
Werfel ergreift in seinem Roman eindeutig Partei für Verdis Kunstauffassung. Was die beiden Antipoden Wagner und Verdi voneinander trennt, ist ihre gänzlich verschiedene Wertung des Verhältnisses von Musik und Sprache sowie von Text und Melodie.
Schon immer wurde beim Genre Oper darüber gestritten, ob der Melodie oder dem Text die Priorität gehöre. Über Verdi, Bellini und Rossini urteilte Wagner: Sie schreiben zwar schöne Melodien, aber man verstünde kein Wort. Werfel illustriert Verdis Hochschätzung der Melodie mit einer Begegnung zwischen dem Komponisten und einem gelähmten Jungen, der mit seiner blinden Mutter in einem Elendsviertel in Venedig wohnt. In der erbärmlichen Behausung, fern vom romantischen Zauber Venedigs, erklingt die Stimme des Jungen Mario. Verdi erkennt sofort die Qualität des Sängers, dessen wortloser Gesang ihn tief berührt: „Noch immer wortlos erfüllte Marios Gesang den Raum.“ Es ist für Verdi ein Gesang, der wirkliche Poesie hervorlockt. Die Stimme des behinderten Jungen bringt für ihn eine Musik zum Klingen, die ganz im Gegensatz zu Wagners Musiktheorie steht, wonach die Dichtkunst die Musik erst hervorruft, die sich aus dem Klang der Sprache entwickelt.
Zauber der Melodie
Wie Haslmayer darlegt, hat Werfel den Gegensatz von Wagner und Verdi zu einem Kulturkampf stilisiert: Dem zersetzenden, rein analytischen Geist der Deutschen, die auch mit ihrem Idealismus nichts anderes können, als zu zerstören, setzt er den Zauber der Melodie entgegen. Verdi erkennt in der Begegnung mit dem Jungen Mario, dass ein böser und der Natur widerstrebender Geist die Völker im Norden Europas antreibt, ein protestantischer Geist, der sich gegen eine Musik der Inspiration durch die Melodie richtet. In Werfels Roman verkörpert die Figur des deutschen Komponisten Fischböck diesen rein rationalen und analytischen Ansatz. Dieser Fischböck steht für die Komponisten der Zwölftonmusik, wie sie von Ernst Krenek und Arnold Schönberg geschaffen wurde. Für Werfel vertreten sie eine rein abstrakte Musikauffassung, die jeden Kontakt zur natürlichen Melodie verloren hat.
Abschließend verweist Haslmayer auf Werfels Roman „Das Lied der Bernadette“, in dem der Schriftsteller seine kulturphilosophische Ablehnung der kritisch-rationalen Theorie weitergeführt hat. Sie habe, so Werfel, dem Menschen den Zugang zur Religion und zum Glauben an das Wunder versperrt. Man mag Werfels Musikästhetik als konservativ empfinden und seine Polarisierung als einseitig und überzogen beurteilen. Das schmälert aber nicht das Verdienst des Referenten, der auf faszinierende Weise den Zuhörern erläutert hat, wie es Franz Werfel mit seinem Roman gelang, dass aus dem verachteten Leierkastenmusiker Verdi der große Antipode Richard Wagners wurde.
Franz Werfel: Verdi: Roman der Oper. München 2009, Bertelsmann-Verlag, 445 Seiten, 22,95 Euro, ISBN 978-3-570-58004-2
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?