Zwischen Dynamik und Balance
Die Plastiken von Sigrún Ólafsdóttir entziehen sich der Schwerkraft
6. 3. 2014 - Text: Nina MoneckeText: Nina Monecke; Foto: MuMo
Kontraste sind in der Kunst seit Jahrhunderten ein beliebtes Motiv, das beim Betrachter Irritationen hervorruft und ihn gleichzeitig fesselt. Es sind die Gegensätze, die ein Kunstwerk lebendig machen, ihm Dynamik verleihen. Die isländische Bildhauerin Sigrún Ólafsdóttir spielt mit genau dieser Faszination des scheinbar Unvereinbaren und dehnt dabei die physikalischen Regeln des Gleichgewichts aus.
Im ersten Ausstellungsraum begegnet dem Besucher eine der für Ólafsdóttir typischen linearen Plastiken mit dem Namen „Berührungen“. Die großformatige Skulptur besteht aus zwei aufeinander ruhenden Bögen aus Holz, die im Spannungsfeld von Bewegung und Balance ihr Gleichgewicht halten. Sie bilden eine Schnittstelle zwischen Stabilität, Labilität und Zerbrechlichkeit. Der geschwungene Verlauf der Plastik steht im Zeichen von Ólafsdóttirs Assoziierung der runden Form mit der Sonne und dem Ei. Sie stellen zugleich Sinnbild und Ursprung jeglichen Seins und Werdens dar, erklärte die Künstlerin am Eröffnungsabend der Ausstellung.
Trotz der Größe wirkt die Plastik geradezu filigran. Charakteristisch für Ólafsdóttirs Arbeiten ist deren Leichtigkeit.
Eine weitere lebensgroße Skulptur findet der Besucher im nächsten Raum. Für „Luzifer“ arbeitete Ólafsdóttir vor allem mit dem Material Gummi. Auch hier wird die Anordnung der Plastik zum Drahtseilakt des Gleichgewichts, des ewigen Auslotens der Mitte. Es ist der kurze Augenblick, in dem sich die beiden Kräfte ausbalanciert haben, wie jener Moment, in dem man zwischen Ein- und Ausatmen die Luft anhält. In abstrakter Form stellt die Isländerin in dieser Skulptur den Geschlechterkampf, das Kräfteringen zwischen Mann und Frau dar.
Abstrakter Ruhepunkt
Im Folgenden zeigt die Schau zahlreiche Bänder, die sogenannten „Windungen“, aus Kautschuk, die entweder als verschlungener Knoten schwebend von der Decke hängen, in den Raum emporsteigen oder von der Seite aus in den Raum greifen. Indem sie sich der physikalischen Schwerkraft zu entziehen scheinen, betonen sie erneut den thematischen Schwerpunkt Ólafsdóttirs: der Gleichgewichtskonflikt sich gegenseitig bestimmender und wechselwirkender Kräfte. Die zunächst eng verwobenen Bänder ziehen sich immer mehr auseinander und hängen schließlich lang ausgestreckt an den Wänden herunter.
Die ausgestellten Arbeiten im Café-Bereich der Galerie schließen den Kreis der kontrastreichen Schau zwischen Bewegungsdynamik und Balance. Zu sehen sind das klassische „Füllhorn“, dessen Gerüst aus Ringen besteht. Die Plastik „Entschlossene Richtungslosigkeit“ beweist erneut die Konzentriertheit der Arbeiten, die gleichzeitig beweglich bleiben. Ólafsdóttirs Kunst spricht eine einfache, wenn auch abstrakte Sprache. Alle Werke verbindet das überraschende Gefühl der Leichtigkeit und eine subtile Ausführung. „Ich bin bewegt von dem, was sich um mich herum bewegt. Etwas anhalten zu wollen, wäre so, als würde man die Evolution anhalten wollen“, begründet die 51-Jährige, die seit 1990 im Saarland lebt und arbeitet, ihr Schaffen. Und dennoch gelingt es ihr auch in dieser Ausstellung, die temporeiche Umwelt zu entschleunigen, den kurzlebigen Moment des Innehaltens einzufangen und den Betrachter an diesem Ruhepunkt teilhaben zu lassen.
„Gegenwärtige Ausdehnung“. Muzeum Montanelli (Nerudova 13, Prag 1), geöffnet: Di.–Fr. 14–18 Uhr, Eintritt: 80 CZK, www.muzeummontanelli.com, bis 30. Mai
„Wir wollen das Verbindende zeigen“
„Befreite Frauen“