Deutsch-tschechische Punkgeschichte

Deutsch-tschechische Punkgeschichte

Jaroslav Rudišs Roman „Vom Ende des Punks in Helsinki“ ist auf Deutsch erschienen

12. 3. 2014 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Bild: Luchterhand

Der Titel führt ein wenig in die Irre. Denn um die finnische Hauptstadt geht es eigentlich nicht im Roman „Vom Ende des Punks in Helsinki“. Stattdessen erzählt Jaroslav Rudiš von der Jugend in der DDR und der Tschechoslowakei, vom postkommunistischen Schicksal einer ostdeutschen Großstadt und von Ole, einem ehemaligen Punk, der sich erfolglos gegen das Älterwerden sträubt. „Mit zwanzig hat ihm Luftzug nichts ausgemacht. Mit dreißig auch nicht. Allmählich wird ein störrischer, vor Kälte schlotternder alter Opa aus ihm, denkt Ole, schließlich ist mittlerweile die Rente näher als die Pubertät.“

Den 40-jährigen Ole, der seinen eigenen Geburtstag vergessen hat, könnte man als gescheiterte Existenz bezeichnen, als Anti-Helden oder als typischen Rudiš-Protagonisten: Im Grunde hat er einen guten Kern, aber irgendwie bekommt er sein Leben nicht so ganz auf die Reihe. Musik, Alkohol und Drogen gehören dazu und ein Trauma. Im Roman liefert der Erzähler selbst eine Kurzbiographie des Protagonisten in Sätzen, die – wie bei Rudiš recht oft – keine Sätze, sondern nur Andeutungen sind: „Plötzlich bricht alles aus ihm heraus. Seine ganze Punkgeschichte in Kurzfassung: Die Tschechoslowakei. Die Toten Hosen. Pilsen. Das Mädchen. Bier. Die Zugfahrt danach. Die Scheune an der Grenze. Die Grenzsoldaten und der Holzlaster. Ihre Augen. Verhöre. Die U-Haft. Der Rausschmiss aus der Schule. Die Brauerei. Automat. Rauschpilze. Verhöre. Bier, das in der Sonne explodiert.

Untergrund. Malcolm. Connie. Ihre zwei Platten. Die kurze Ruhmphase. Die Fahrt nach Turku. Seine Tochter. Seine Bemühungen. Die Scheidung. Helsinki.“ Letzteres erreicht Ole mit seiner Band Automat jedoch nicht, weil die Musiker auf dem Weg dorthin erfahren, dass ihr Manager Malcolm nicht nur für die Band arbeitet, sondern auch für die Stasi. Die Tournee wird abgebrochen, Oles Musikkarriere auch, er eröffnet eine Bar, das „Helsinki“ in der ostdeutschen Stadt, die zwar keinen Namen aber – ähnlich wie Liberec in Rudiš’ Roman „Grandhotel“ – eine Persönlichkeit und eine Geschichte hat.

Zwischen die Geschichten aus dem „Helsinki“ schiebt Rudiš immer wieder die Tagebucheinträge der 16-jährigen Nancy, die im tschechoslowakischen Grenzgebiet aufwächst: „Hier ist no future, Tschernobyl, Sudeten, Altvatergebirge, Endstation für jede Buslinie und jeden Zug der Republik“, notiert sie im Jahr 1987. Es ist das Jahr, in dem sich ihr Weg mit dem von Ole kreuzt, bei einem Konzert der „Toten Hosen“ in Pilsen. Die Beziehung zwischen Ole und Nancy, die nur eine Nacht dauert, aber Ole am Ende des Romans zurückführt zur Scheune an der bayerisch-böhmischen Grenze, ist nicht die einzige deutsch-tschechische Verbindung im Roman.

Da gibt es zum Beispiel die tschechoslowakische Straßenbahn, die 20 Jahre nach der Wende noch immer durch die ostdeutsche Stadt fährt und Husáks Rache genannt wird, weil sie die Gleise kaputt macht. Und Oles Mitbewohner, einen Tschechen, der Prager genannt wird, obwohl er nicht aus Prag kommt. Er liest Hrabal, Kundera, Škvorecký und Kochbücher, weil er glaubt, dass sich kulturelle Unterschiede am besten am Essen festmachen lassen. Dass er sich am Ende des Romans als der Er-Erzähler entpuppt, der Oles Geschichte aufzeichnet, erklärt Sätze, die zuvor ein bisschen wirken, als wollte da jemand den deutschen Lesern die tschechische Kultur erklären: „Falls die Tschechen außer mit Bier, Tatras und ihren Škodas die Welt bereichert haben sollen, dann mit dem Film Drei Nüsse für Aschenbrödel“, heißt es zum Beispiel und, um auch die übrigen Klischees zu bedienen: Die „sentimentalen Tschechen“ würden „jede Weihnachten nach Hause fahren, auch wenn sie am Ende der Welt leben sollten. Sie müssen sich von ihrer Mama mit Karpfen, Bratwurst und Kartoffelsalat vollstopfen lassen.“

„Vom Ende des Punks in Helsinki“ ist ein lesenswerter Roman für Rudiš-Fans und all diejenigen, die sich fragen, was aus der Punk-Jugend von einst geworden ist und wie es damals in der DDR und der Tschechoslowakei gewesen sein könnte, mit Irokesenschnitt und einem Musikgeschmack aufzuwachsen, der nicht dem Mainstream entsprach.

Jaroslav Rudiš: Vom Ende des Punk in Helsinki. München 2014. Luchterhand-Literaturverlag, 349 Seiten, 14,99 Euro,
ISBN 978-3-630-87431-9

Jaroslav Rudiš auf Lesereise


14. März, Leipzig, Horns Erben
28. März, Berlin, Berliner Stadtmission
2. April, Hamburg, Warburghaus
7. April, München, Bayerische Staatsbibliothek
8. April, Stuttgart, Stadtbibliothek
9. April, Ulm, Haus der Generationen

Weitere Termine unter www.luchterhand-literaturverlage.de