Gegen die Regeln
Die Regisseurin Věra Chytilová inszenierte feministische und skandalöse Gesellschaftsparabeln
9. 4. 2014 - Text: Franziska BenkelText: Franziska Benkel; Foto: Eclipse/Criterion Collection
Am 12. März dieses Jahres starb eine bedeutende tschechische Filmemacherin. Věra Chytilová gilt als Mitbegründerin der „Nova Vlna“, der Tschechoslowakischen Neuen Welle. International bekannt wurde sie Mitte der Sechziger mit ihrem feministisch-subversiven Film „Sedmikrásky“ („Tausendschönchen“). Das sowjetische Regime warf Chytilová Hedonismus und Verschwendung vor. Der Film wurde daraufhin verboten und die Regisseurin bekam ein sechsjähriges Arbeitsverbot.
Die „Nova Vlna“ bezeichnet eine experimentelle Filmästhetik, die im Laufe der sechziger Jahre zu einer bedeutenden Bewegung innerhalb des Tschechoslowakischen Kinos werden sollte. Die Machart der Filme zeichnete sich durch eine unübliche und fragmentarische Erzählstruktur, neuartige Schnitttechniken und eine Vorliebe für ungewöhnliche, zum Teil surrealistische Bilder aus. Vor allem aber war sie eins: unkonventionell. In keinem Land debütierten innerhalb weniger Jahre so viele junge Filmemacher wie in der Tschechoslowakei. In den Sechzigern trat eine ganze Generation in Erscheinung, deren Filme auf vielen internationalen Filmfestivals Preise erhielten.
Die „Nova Vlna“ ist mit Namen wie Miloš Forman, Jan Němec, Jiří Menzel oder Věra Chytilová verbunden. Schon in dieser knappen Aufzählung fällt die Dominanz der männlichen Regisseure auf. Petra Hanáková, Dozentin für Filmwissenschaften an der Karls-Universität in Prag, betont, dass es zwar einige Filmemacherinnen zu dieser Zeit gab, doch „existiert typischerweise immer nur eine weibliche Figur, eine Ausnahme, der es gestattet wird, in der männlichen Welt zu agieren.“
Eine solche war Chytilová. Inhaltlich zeichnen sich ihre Werke der sechziger Jahre durch eine feministische Perspektive aus, die seinerzeit selten zu finden war. In den meisten Streifen der Neuen Welle werden stereotype Geschlechterrollen abgebildet, so Hanáková. Meist würde der Plot von männlichen, heldenhaften Protagonisten angeführt. Die weiblichen Charaktere dagegen wurden auf die Rolle der Jungfrau, Hure oder Mutter sowie auf Eigenschaften wie naiv, hübsch und umsorgend reduziert. Bei Chytilovás Werken spürt man, dass eine Frau hinter der Kamera stand. Sie verweigerte sich derartigen Klischees und überzeichnete sie stattdessen pointiert, frei nach dem Motto: „Wenn dir die Regeln nicht passen, dann brich sie.“
In „Sedmikrásky“ von 1966 sind die zwei Protagonistinnen, Marie 1 und Marie 2, zwar hübsch, jung und irgendwie auch sexy, ansonsten verhalten sie sich aber eher verrückt und skandalös.
Allegorie und Dekonstruktion
In experimentellen, fast psychedelischen Bildern werden die gelangweilten Frauen bei hemmungslosen Fressorgien gezeigt und wie sie sich auf gespielt dümmliche Weise von älteren Männern aushalten lassen. In einer Szene beispielsweise weist Marie 2 ihre Namensvetterin darauf hin, krumme Beine zu haben. Marie 1 antwortet: „Weißt du nicht, dass auf ihnen meine Persönlichkeit basiert?“ Der Schlagabtausch steht stellvertretend für zahlreiche Allegorien. Sie sind ein Versuch, kulturelle Kategorien zu dekonstruieren, die Frauen auf körperliche Merkmale reduzieren. Auf der anderen Seite arbeitet die Regisseurin auf subtile Weise soziale Mechanismen heraus, die Weiblichkeit durch strikte Vorstellungen und Vorgaben zu kontrollieren beabsichtigen.
In „Pasti, pasti pastičky“ („Große Fallen, kleine Fallen“) von 1998 erzählt Chytilová von einer jungen Tierärztin, die sich an ihren männlichen Vergewaltigern rächt – indem sie beide kastriert. Der Film ist visuell realistischer und moderner als sein Vorgänger. Am dramaturgischen Höhepunkt des Films konterkariert Chytilová mit nur einem Satz geschlechtliche Klischees und die männliche Vormachtstellung: Nachdem die Männer den ersten Schock überwunden haben, entdecken sie auf dem Esstisch eine Schale mit ihren Hoden. „So sehen die aus? Die größeren gehören aber mir. Wie soll ich das nur zu Hause erklären?“
In beiden Filmen spielen weibliche Stärke, Rebellion und Revolte eine tragende Rolle. Auf destruktive und aggressive Weise versuchen die Frauen, gegen gesellschaftliche Werte und Regeln anzukämpfen – ohne wirklichen Erfolg. Marie 1 und 2 sterben am Ende und die traumatisierte Tierärztin bricht in hysterisches Weinen aus. Es war weniger der politische Kontext seiner Zeit, der im Zentrum der Filme stand. Vielmehr ging es um sozialpolitische Gegebenheiten, die damals, egal ob sozialistisch oder kapitalistisch, akzeptiert und gelebt wurden.
Dass die Filmbranche bis heute eine Männerbranche darstellt, zeigt sich in der 85-jährigen Geschichte des Academy Award. Bis heute wurden in der Sparte „Beste Regie“ lediglich vier Frauen für den Oscar nominiert, nur eine einzige konnte die Trophäe mit nach Hause nehmen.
„Markus von Liberec“
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