Wie ein Urlaub ohne Ende
Sharon Berousek führt die lange Zirkustradition ihrer Familie fort. Und macht ihrem Vater Konkurrenz
9. 4. 2014 - Text: Klaus HanischText: Klaus Hanisch; Foto: Berousek
Sie trägt einen großen Namen. Sharon Berousek führt die Tradition der namhaften tschechischen Artistenfamilie bereits in der achten Generation fort. Wie ihr Vater hat sie sich der Jonglage verschrieben – und zwar in höchstem Tempo. Damit ist Sharon zu seiner direkten Konkurrentin geworden, wenn es um Engagements bei großen, oftmals deutschen Zirkusunternehmen geht. „Er sagte, dafür müsse ich entweder so schnell werden wie er oder noch schneller“, lacht die 18-Jährige. Das ist freilich ein ehrgeiziges Ziel.
Derzeit gibt es keinen zweiten Jongleur, der so rasant wie Mario Berousek die Keulen durch die Luft wirbelt. „Er steht sogar im Guinness-Buch der Rekorde als schnellster Jongleur der Welt”, sagt seine Tochter bewundernd. Sie muss ihr Licht dennoch nicht unter den Scheffel stellen. Die Zirkuswelt feiert die hübsche Pragerin als neueste Entdeckung und Ausnahmetalent.
Kaum 1,60 Meter groß, lange schwarze Haare, ein knappes silbernes Bustier: Die zierliche Artistin ist bereits eine Attraktion, wenn sie die Manege betritt. Umso mehr, wenn sie drei oder auch fünf Keulen in die Höhe wirft – mitunter sogar im Spagat – und sie anschließend mit spielerischer Leichtigkeit wieder auffängt.
Sharon nennt sich selbst „Dynamic Dance Juggler“, denn ihre Auftritte prägen nicht nur atemberaubende Geschwindigkeit und flinke Hände, sondern auch tänzerische Eleganz und hohe Präzision. Dies alles mache sie „zu einem Performer der Meisterklasse“, wie Zirkusdirektoren schwärmen.
Seit sie im Oktober 2010 beim „European Youth Circus Festival“ in Wiesbaden unter zahlreichen jungen Artisten aus ganz Europa ausgezeichnet wurde, ist ihr Name ein Begriff. Anfang Februar 2012 gastierte Sharon Berousek beim Nachwuchs-Festival „New Generation“ in Monte Carlo und gewann auch dort einen Sonderpreis.
„Es hat mir immer gefallen, wie mein Vater jonglierte“, blickt sie in der Pause zwischen zwei Vorstellungen beim deutschen „Circus Corty Althoff“ im schwäbischen Bad Mergentheim zurück, „Jonglieren gibt einen regelrechten Adrenalin-Schub.“
Um die ganze Welt
Gleich nach ihrer Geburt in Prag zog Sharon mit ihren Eltern durch die Zirkusse und die ganze Welt. Dies empfindet sie heute „wie einen Urlaub ohne Ende.“ Und er hatte einen angenehmen Nebeneffekt: Die Tschechin spricht acht Sprachen, darunter Deutsch mit bemerkenswerter Perfektion. „Das ergibt sich zwangsläufig, wenn man immerzu viele Leute aus vielen Ländern trifft“, erklärt sie bescheiden.
Mit sechs Jahren trieb Sharon hauptsächlich Rhythmische Sportgymnastik, unter anderem im Sportklub Bohemians Prag. Als Achtjährige griff sie erstmals selbst zu den Keulen. Kurz darauf stand sie beim „Cirque Educatif“, einem Festival in Frankreich, bereits in der Manege.
Für ihren Vater eine große Freude. „Er hatte sich immer gewünscht, dass sein erstgeborenes Kind in seine Fußstapfen tritt“, so Sharon. Das war sie, vor vier weiteren Geschwistern.
Dass sie sich ebenfalls zu einer Karriere in der Manege entschloss, hat noch einen anderen Grund. „Es gibt nicht viele Frauen, die jonglieren“, stellt Sharon fest, „sie machen eher Hula-Hoop.“
Schon ihr Großvater führte sie in die Jonglage ein. „Doch er war mehr für das fliegende Trapez gemacht“, bemerkt Sharon. Dafür wurde Vater Mario zu einem unübertrefflichen Lehrmeister.
„Ihm liegt das Jonglieren im Blut“, so die Tochter. Er hat ihr scheinbar eine kräftige Infusion übertragen.
Die kleine Sharon besuchte die Schulen des Münchner „Circus Krone“ und des Schweizer „Circus Knie“ sowie jene von Prag 9, wenn sie ausnahmsweise mal zuhause war. Zugleich wurde sie von ihren Verwandten regelmäßig im Jonglieren trainiert. Auch auswärtige Hilfe förderte ihre Karriere. Die russische Gymnastin Olga Strajeva, die bei der Europameisterschaft in Brüssel eine Bronzemedaille gewann, leitete sie vier Jahre lang an. In einer Pariser Tanzschule gab ihr Tatiana Kuznetzova Unterricht in Choreografie.
Ein echtes „Kronekind“
Das zahlte sich aus. Sharon reüssierte im „Circus Benneweis“ in Kopenhagen in Anwesenheit der dänischen Kronprinzessin, wurde beim Zirkusfestival im belgischen Namur geehrt und trat bei einer Gala im „Moulin Rouge“ in Paris auf. Im letzten Jahr nahm sie erstmals selbständig ein Engagement an. „Man muss irgendwann auf eigenen Füßen stehen und versuchen, neue Wege zu gehen“, hat sie erkannt.
Ihre Entscheidung fußte auch auf einer zweiten Einsicht. Kein Zirkus verpflichtet zwei Jongleure. Daher lautet nun die Frage: entweder sie oder ihr Vater, der 1996 seine Solo-Karriere startete.
Ihre Familie teilte sich auf. Sharon ging zunächst zum Zirkus „Arena“ nach Dänemark, begleitet von ihrer Mutter und zwei Geschwistern. Beim Zircus „Corty Althoff“ ist in diesem Frühjahr Großvater Ferdinand an ihrer Seite.
Lange dunkle Wimpern, stark geschminktes Gesicht, rosafarbener Bademantel – äußerst auffällig steht sie zwischen ihren Auftritten im Verpflegungszelt, um nebenbei noch Popcorn und Würstchen an Zirkusbesucher zu verkaufen. Nicht nur, weil dies zusätzlich bezahlt wird, sondern weil es in einem Zirkus üblich ist, dass viele Hände bei vielen Aufgaben anpacken.
Sharon Berousek passt sehr gut zu diesem Zirkus, denn auch er probiert gerade Neues aus. Die Geschichte des westfälischen Unternehmens „Althoff“ reicht bis Mitte des 17. Jahrhunderts zurück. 1978 wurde „Circus Corty Althoff“ gegründet. In diesem Jahr übernahm Zirkusproduzent Elmar Kretz den Betrieb. Er führt ihn weiter und befindet sich nun auf Tournee mit den Artisten.
Eine Tradition wie die der Berouseks. „Mein Vater hat einen Stammbaum erstellt, der 255 Jahre zurückreicht“, erzählt Sharon nicht ohne Stolz. Marios Urgroßvater Hynek Ignac gründete den „Circus Berousek“, der zwischen 1920 und 1939 existierte. Er wurde von Großvater Antonín bis 1951 als Zirkus „Central“ weitergeführt. Parallel dazu gab es einen Zirkus „Bernes“, den Urgroßvater Ludvik senior 1930 ins Leben gerufen hatte.
Doch „Althoff“ ist nicht das einzige deutsche Unternehmen, das Sharon Berousek gerne auf seinem Spielplan sieht. Auch „Krone“, der größte Zirkus Europas, meldet seine Ansprüche an. „Ist sie doch ein waschechtes ,Kronekind‘“, wie die Münchner auf ihrer Homepage schreiben. Schließlich reiste ihr Vater viele Jahre als Jongleur mit dem Zirkus durch Europa.
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?