Bevor wieder Steine fliegen
Bürgermeister aus Nordböhmen schlagen Alarm, weil sie neue Ausschreitungen gegen Roma fürchten. Regierung schickt drei Minister in die Region
14. 5. 2014 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: OISV
In einer dieser Wohnungen, in denen es an allem fehlt, konnte sich Innenminister Milan Chovanec (ČSSD, Foto) nicht mehr zurückhalten. „Diese Wohnung ist nicht einmal 500 Kronen wert. Wenn man dazu überhaupt Wohnung sagen kann“, äußerte er sich erschüttert, als er in den heruntergekommenen vier Wänden einer Roma-Familie in Šluknov (Schluckenau) stand. Was für den Minister nicht einmal mehr als Wohnung gilt, kostet die Familie etwa 8.500 Kronen (rund 310 Euro) Kaltmiete im Monat. Zwei Zimmer ohne Heizung, der Zustand mehr als schlecht, die Lage ein sogenannter „Brennpunkt“, eine Siedlung, in der Dutzende Menschen leben, die sehr wenig bis gar nichts verdienen.
Der Innenminister war in dieser tristen Gegend nicht ganz freiwillig zu Besuch. Gemeinsam mit Menschenrechtsminister Jiří Dienstbier und Arbeitsministerin Michaela Marksová Tominová (alle ČSSD) reiste er am vergangenen Montag in den Schluckenauer Zipfel, nachdem wenige Tage zuvor die Bürgermeister von 18 Städten und Gemeinden aus der nordböhmischen Region Alarm geschlagen hatten. In einem an die Regierung gerichteten Brief hatten sie sich darüber beklagt, dass sich niemand um die Situation der Roma-Minderheit in der Region an der tschechisch-deutschen Grenze kümmere. Das müsse sich dringend ändern, warnten die Lokalpolitiker, sonst könne es erneut zu einer Welle gewaltsamer rassistischer Proteste kommen. Die Bürgermeister wissen, was ihnen droht, denn vor drei Jahren hatte es in Šluknov und Umgebung schon einmal eine Reihe von gewaltsamen Protesten gegeben, bei denen Flaschen und Steine über die Marktplätze geflogen waren. Gerade vor den Kommunalwahlen im Herbst, so fürchten die Bürgermeister, könnten Neonazis die angespannte Lage erneut nutzen, um mit Aufmärschen und Demonstrationen Stimmung gegen die Roma-Minderheit zu machen.
„Sinnloses System“
Der Besuch der drei Minister war nur die erste Reaktion der Regierung auf den Brief der Bürgermeister. Weitere Maßnahmen sollen in Form von Gesetzesänderungen folgen. Bereits im April hatte das Arbeitsministerium entsprechende Pläne vorgestellt, die unter anderem verhindern sollen, dass Immobilienbesitzer und Spekulanten profitieren, wenn sie heruntergekommene Wohnungen überteuert an sozial Schwache vermieten und dafür die staatliche Zuzahlung kassieren. Nachdem die Bürgermeister aus dem Schluckenauer Zipfel dieses „sinnlose System“ noch einmal anprangerten, erklärte Arbeitsministerin Marksová Tominová bei ihrem Besuch am Montag, die Gesetzesänderung könne möglicherweise bereits früher in Kraft treten. Dazu müsste das Parlament den Vorschlag in einem beschleunigten Verfahren behandeln. Der nordböhmische Parlamentsabgeordnete Jaroslav Foldyna (ČSSD) will diese Variante seiner Fraktion vorschlagen.
Keine schnelle Hilfe wurde den Bürgermeistern dagegen in einem anderen Punkt versprochen: Seit einigen Jahren fordern sie die Einführung eines Registers, in dem Verstöße im Zusammenhang mit der Vermietung von Wohnungen festgehalten werden – bisher aber vergeblich. Als realistischen Termin für die Einführung einer solchen Datei nannte Innenminister Chovanec das Jahr 2016. Die Bürgermeister zeigten sich darüber enttäuscht: „Seit 2011 weisen wir auf die Situation hin und heute hören wir, dass es bis 2016 oder 2017 dauern wird“, sagte Josef Zoser, Bürgermeister von Jiřetín pod Jedlovou (Sankt Georgenthal) und Mitunterzeichner des Briefes an die Regierung.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“