Mit dem Kopf einer Frau

Mit dem Kopf einer Frau

In der Poldi-Hütte in Kladno wird seit 125 Jahren Stahl produziert. Sie inspirierte auch Bohumil Hrabal

22. 5. 2014 - Text: Corinna AntonText: ca/čtk; Foto: APZ

Wenn Leopoldine gewusst hätte, wofür sie alles ihren Kopf wird hinhalten müssen, dann hätte sie ihren Mann vielleicht umgestimmt. Aber wahrscheinlich hätte sie ohnehin keine Chance gehabt, ihrem Gatten zu widersprechen, oder sie war selbst ganz begeistert. Es war im Mai 1889, vor 125 Jahren, als Karl Wittgenstein in Kladno seine eigene Stahlhütte gründete – und ihr nicht nur den Namen, sondern sehr wahrscheinlich auch das Gesicht seiner Frau verlieh: Die Poldi-Hütte, die im Lauf der Zeit alle Höhen und Tiefen der böhmischen und tschechischen Geschichte durchmachte, hat ihre Eigentümer und ihren Namen zwar mehrfach gewechselt. Als Markenzeichen ist ihr aber bis heute ein Damenkopf in Profilansicht erhalten geblieben, von dem es heißt, er müsse Wittgensteins Gattin Leopoldine gehört haben.

Wittgenstein, 1847 bei Leipzig geboren, war bereits ein bedeutender Industrieller, bevor er die Poldi-Hütte gründete. Außerdem hatte er Erfahrung in der Branche: Er war Direktor und Miteigentümer des Prager Stahl­unternehmens, das in Kladno Minen und Hütten betrieb. Das neue Stahlwerk sollte seine eigene Firma werden.

Der Name seiner Frau brachte dem Vorhaben offenbar Glück: Das Werk etablierte sich schnell auf dem heimischen Markt als Hersteller von Edelstahl und konnte schon bald mit führenden Produzenten und Pionieren auf dem Gebiet in aller Welt mithalten. Schon 1897 hatte der Betrieb 20 Vertretungen in Europa und Russland. Die Firma erhielt prestigeträchtige Aufträge, etwa auf den Schlachtschiffen der österreich-ungarischen Monarchie. In den böhmischen Ländern war die Poldi-Hütte damals auch der erste Hersteller von Elektrostahl, der Rohrstahl namens „Poldi anticoro“ aus dem Jahr 1910 war weltweit eine der rostfreien Stahlarten. Ein Jahr zuvor wurde Poldi-Stahl für den Bau des Rennwagens Blitzen Benz eingesetzt, der mit 211,51 Stundenkilometern einen Geschwindigkeitsweltrekord aufstellte.

Dass die Aktiengesellschaft „Poldina huť“ nach 1918 der Monopolhersteller von Edelstahl in der Tschechoslowakischen Republik wurde, erlebte der Firmengründer nicht mehr. Karl Wittgenstein, der sich mit seinen Geschäften in der Stahl-Branche ein Vermögen erwirtschaftet hatte, starb 1913 in Wien. Einen Namen hatte er sich aber auch als großzügiger Mäzen von Wissenschaft und Kunst gemacht, der unter anderem Sigmund Freud, Johannes Brahms, Gustav Mahler und Gustav Klimt unterstützte. Eines seiner acht Kinder war Ludwig Wittgenstein, der zu den bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts zählt.

Konkurrenz für Krupp
Die Firma konnte auch nach dem Tod des Gründers noch einige Erfolge feiern: Die hochwertigen Stahlprodukte aus Kladno wurden vor allem in der Flugzeug- und Automobilindustrie eingesetzt. Ein spezielles Hartmetall namens „Poldi diadur“ machte dem damaligen Monopolisten Krupp ernsthafte Konkurrenz. Zu den wichtigsten Aufträgen zählten in den dreißiger Jahren Lieferungen für den Bau der Harbour Bridge in Sydney.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Poldi-Hütte verstaatlicht und mit den benachbarten Hütten des Prager Stahlunternehmens zum Staatsbetrieb „Spojené ocelárny“ zusammengelegt. Der Name und damit die Marke Poldi blieb jedoch für die Hütte, in der Werkzeug- und Edelstahl hergestellt wurde, erhalten. In dieser Zeit war auch einer der vielleicht berühmtesten Stahlarbeiter des Landes in der Poldi-Hütte beschäftigt: Der Schriftsteller Bohumil Hrabal zeichnete später in einigen Erzählungen ein eindrucksvolles Bild der Menschen und der Arbeit unter Stalin-Porträts und kommunistischen Spruchbändern in der Poldi-Hütte.

Spätestens als das kommunistische System zusammenbrach, waren die goldenen Zeiten der „Poldi“ aber endgültig vorbei. Nach 1989 brachen für die Firma die Absatzmärkte weg. Der Konzern, der 20.000 Menschen beschäftigt hatte, machte Verluste. Im Februar 1992 wurde der Staatsbetrieb in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich jedoch weiter, bis zu Beginn des Jahres 1993 die Stahlproduktion eingestellt werden musste.

Den Ausweg aus der wirtschaflichen Misere suchte die Regierug damals in einer schnellen Privatisierung. Doch die sofortige Rettung blieb aus. 66 Prozent der Anteile an der Poldi-Hütte gingen in den Besitz der Firma Bohemia Art des Unternehmers Vladimír Stehlík über. Dieser hatte im Gegensatz zum Poldi-Gründer Karl Wittgenstein weder Erfahrung auf dem Gebeit noch das nötige Kapital für Modernisierungen. Das Unternehmen geriet in Konkurs und musste die Produktion zeitweise einstellen. Erst der nächsten Eigentümerin, der Gesellschaft Scholz Stahlzentrum – Ost, gelang es, die konkursgeschädigte Firma zu stabilisieren. Sie erhielt den Namen Poldi Hütte und wurde als tschechische GmbH Bestandteil des deutschen Konzerns Scholz AG. Seit Herbst 2012 hat sie wieder einen neuen Eigentümer und fungiert unter dem Namen Poldi s.r.o.