Gesucht, gefunden

Gesucht, gefunden

Mehr als 6.700 Dinge wurden im vergangenen Jahr im Prager Fundbüro abgegeben. Jetzt wird es eng für Koffer, Kinderwagen und Kupferkabel

26. 5. 2014 - Text: Corinna AntonText und Foto: Corinna Anton

Das Messie-Syndrom ist das erste, was dem Besucher in den Sinn kommt. Hier müssen Menschen leben, die sich einfach nicht trennen können, die krankhaft alles aufheben, was sie sehr wahrscheinlich nie wieder brauchen werden: Alte Sonnenbrillen und ein abgewetzter Fußball liegen neben einer kleinen flauschigen Stoffgiraffe, ein ausgedienter Kinderwagen steht neben zerkratzten Skischuhen. Drei Räume voller Krempel, der ohne System in Regale gelegt wurde, Kupferkabel neben Winterjacken, Autoreifen zwischen einem Drucker und einem Keyboard.

Doch der Eindruck täuscht. Kleine Papierstreifen verraten, dass das Chaos ein System hat. „Es ist alles nach Monaten geordnet“, sagt Dana Koubková. An dem Regal, vor dem sie steht, klebt ein Zettel mit der Aufschrift „März“.

Koubková ist kein Messie, sondern die Hüterin der Dinge im städtischen Fundbüro. Was in Prag verlorengeht und von einem ehrlichen Finder entdeckt wird, landet auf ihrem Schreibtisch. Dort werden Snowboards, Handtaschen und Regenschirme mit einer Nummer versehen, zu jedem Fall wird ein Protokoll angefertigt und abgeheftet.

Erst danach kommen die Fundstücke ins Lager: Geldbeutel in eine Kiste, Schlüssel in ein Fach, neue Fahrräder zu alten, der Rest in eines der vielen Regale, wo die Sachen bleiben, bis sich ihr Eigentümer meldet. Manche nur wenige Tage, andere ein paar Wochen. Und einige werden künftig wohl sogar Jahre in den Lagern des Fundbüros ausharren müssen. Denn seit Anfang des Jahres gelten für Koubková und ihre Kollegen neue Regeln. Das Gesetz, das im Januar in Kraft getreten ist, schreibt vor, dass Fundstücke jetzt drei Jahre aufbewahrt werden müssen, wenn sich der Eigentümer nicht meldet. Bisher galt nur eine Frist von sechs Monaten.

Neben dem Büro mit dem kleinen Lager in der Karolína-Světlá-Straße in der Prager Altstadt hat die Stadt derzeit zwei weitere Lager. „Aber demnächst werden wir wohl ein drittes brauchen“, glaubt Eva Novaková, die im Magistrat die Abteilung für Gewerbe- und Bürgerangelegenheiten (Odbor živnostenský a občanskosprávní) leitet und auch für das Fundbüro zuständig ist. Im vergangenen Jahr hat sie 6.342 Protokolle für mehr als 6.700 Fundstücke gezählt, in diesem schon über 1.700 registrierte Gegenstände bis Mitte April.

Etwa ein Viertel der gefundenen Dinge kann dem Eigentümer in der Regel zurückgegeben werden, weil er sich meldet, oder weil zum Beispiel gefundene Koffer oder Handtaschen auch einen Hinweis auf seine Identität liefern. In den Lagern stehen aber auch einige Koffer, in die niemand hineingeschaut hat. „Wenn sie mit einem Schloss gesichert sind, das wir nicht öffnen können, ohne es zu beschädigen, dann dürfen wir die Koffer nicht aufmachen“, erklärt Novaková die Gesetzeslage. Dass so viele Gepäckstücke in der Obhut ihrer Mitarbeiter sind, liegt daran, dass auch die Fundstücke vom Prager Flughafen im städtischen Fundbüro landen. Vor allem Passagiere, die in Prag nur umsteigen, melden sich oft nicht. Womöglich wissen die wenigsten, denen auf einem Transitflug etwas abhanden kommt, dass sich die Reisetaschen aus aller Welt unweit der Karlsbrücke türmen. Manches wird vielleicht auch gar nicht vermisst, wie etwa die großen Sonnenschirme, die in keinen Koffer passen und am Flughafen immer dann liegen bleiben, wenn die Sommersaison vorbei ist.

Die Eigentümer, die ihre verlorenen Dinge abholen, kommen dagegen oft aus Prag und Umgebung. Vater und Sohn, die gerade das Fundbüro betreten, sind so ein klassischer Fall. „Ja, das da ist unserer“, ruft der Junge schon in der Tür und deutet auf einen Turnbeutel. Aber weil das ja jeder behaupten könnte, muss Koubková die angeblichen Eigentümer genau fragen, was sie verloren haben. Für die beiden Prager, die auf der Suche nach der verlorenen Sporttasche sind, ist das kein Problem. Koubková zieht schwarze Kinderturnschuhe mit neongelben Streifen aus dem Beutel. Sie sehen genau so aus, wie der Vater sie schon am Telefon beschrieben hatte, bevor er ins Fundbüro kam. Der Sohn greift nach den Sachen, die er in der Metro verloren hatte, drückt sie fest an sich, der Vater begleicht die Rechnung: 26 Kronen verlangt Koubková in diesem Fall – zwei Kronen pro Tag ist der Satz für alle verlorenen Dinge.

Seltsame Funde
Kaum haben sie das Büro verlassen, betritt ein Polizist den Raum. „Die Stadt- und die Staatspolizei sind die häufigsten Finder“, weiß Novaková. Die meisten Fahrräder haben sie gebracht, einige Stapel Autoreifen, Rollstühle und Kinderwagen. Heute hat der Beamte einen platzsparenden Fund dabei: eine Monatskarte für den Prager Nahverkehr, einen Schlüsselbund und einen Studentenausweis. In mehrfacher Ausfertigung füllt Koubková das Protokoll aus, setzt ihre Unterschrift neben die des Finders und des Polizisten. Auch ein Ausweis hatte eigentlich zum Fund gehört. Für amtliche Dokumente gibt es aber eigene Regeln. Sie müssen an die Behörde geschickt werden, die sie ausgestellt hat. Auch Kreditkarten landen nicht im Fundbüro, sondern bei der jeweiligen Bank.

„Große Reichtümer haben wir hier nicht“, lacht Novaková und deutet auf das Fach mit der Aufschrift „Geld“. Wenn sich in einem verlorengegangenen Portemonnaie noch ein paar Münzen befinden, werden sie hier verstaut.
Mehr als über einen Geldbeutel oder eine Handtasche freut sich Koubková über eigentlich wertlose Funde: „Am schönsten ist es, wenn Spielsachen oder Kuscheltiere abgegeben werden. Wenn die Eltern mit ihren Kindern kommen, um sie zu holen, sieht man richtig, wie sich die Kinder freuen.“ Die seltsamsten Fundstücke waren für Koubková eine Prothese – und ein Sarg. „Der war allerdings leer.“

Auch die Urne, die noch immer im Regal steht, hat keinen Inhalt, versichert sie pietätvoll. Es ist egal, ob es um einen Rollstuhl oder einen Geigenkoffer, ein Fitnessgerät oder ein altes Radiogerät geht: Koubková und Novaková haben eine eigenartige Beziehung zu all diesen Dingen, die sie niemals als wertlosen Krempel bezeichnen würden. Mit Respekt bezeichnen sie die Kinderwagen und Laptops, Feuerlöscher, Tonskulpturen und Rasenmäher, die sie verwahren, als „Eigentum anderer Menschen“, die theoretisch jeden Moment anrufen oder im Büro stehen könnten. Erst wenn die gesetzliche Frist von bisher sechs Monaten, nun drei Jahren abgelaufen ist, fangen sie an, über die Fundstücke zu bestimmen. Denn dann beginnt der Verkauf, der nach der „Umschlag-Methode“ organisiert wird, wie Novaková erklärt. Die Stadtverwaltung veröffentlicht die Besichtigungstermine, zu denen Interessierte die Ware in Augenschein nehmen können. Oft sind es Händler, die einen Basar organisieren. Sie geben ihre Gebote für die Fundstücke in einem geschlossenen Umschlag ab, am Ende gehen die Sachen an den Meistbietenden.

Das Platzproblem kann aber auch die nächste anstehende Versteigerung nicht lösen. Zwar hat Koubková schon einiges für den Verkauf vorbereitet. Auf der anderen Seite des Büros wartet aber bereits kürzlich abgegebene, noch unsortierte Ware. Viele Koffer sind dabei, aber auch vollgestopfte Plastiktüten, deren Inhalt keinen besonders wertvollen Eindruck macht. Novaková seufzt. Bei welchem Fund es sich tatsächlich lohnt, ihn drei Jahre aufzuheben, ist schwer zu sagen. Vieles hat schließlich einen ideellen Wert. Allerdings gibt es Grenzen: „Manchmal müssen wir die Polizei schon ermahnen, dass sie nicht jeden kaputten Regenschirm hierher bringt“, sagt Novaková und dreht sich um. Schon wieder steht ein Polizist vor der Tür.