Von Tel Aviv nach Prag
Interview

Von Tel Aviv nach Prag

Interview mit David Stecher, dem neuen Leiter des Prager Literaturhauses deutschsprachiger Autoren

29. 11. 2012 - Text: Friedrich Goedeking

Seit zwei Wochen hat das Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren (PLH) mit David Stecher einen neuen Leiter. Mit seiner Bibliothek und seiner ständigen Ausstellung erinnert das PLH an jene Epoche der Prager Literaturgeschichte von 1880 bis 1945, in der deutschsprachige Autoren, unter ihnen vor allem solche jüdischer Herkunft, literarische Werke von Weltrang schufen. Als Tscheche 1969 in Prag geboren – wobei ihm aber schon als Kind die deutsche Sprache vertraut war – und als ehemaliger Vizepräsident der jüdischen Gemeinde in Prag scheint Stecher gute Voraussetzungen für sein neues Amt mitzubringen. Friedrich Goedeking hat ihn zu seiner Person, seinen Zielen und seinen liebsten Schriftstellern befragt.

Der Wechsel in der Leitung des Prager Literaturhauses kam für viele überraschend.
Stecher: Meine Vorgängerin Lucie Černohousová erwartet ein Kind. Da ich seit 2004 dem Verwaltungsrat des Literaturhauses angehöre und die deutsche Kulturszene durch meine Tätigkeit als Leiter des Tschechischen Zentrums in München von 2004 bis 2008 kenne, ist die Wahl auf mich gefallen.

Die deutsche Sprache ist Ihnen von Kindheit an vertraut.
Stecher: Deutsch habe ich vor allem bei meiner deutschsprachigen Großmutter, die in der Nähe von Cheb (Eger) wohnte, gelernt.

Auch mit dem Judentum sind Sie eng verbunden.
Stecher: Ich komme aus einer jüdischen Familie. Einer meiner Großväter wurde von den Nationalsozialisten bereits im Oktober 1939 deportiert und ist wenig später umgekommen. Meine Eltern haben den Terror des Nazi-Regimes überlebt, weil sie von katholischen Nonnen versteckt wurden. Ich selbst war Vorsitzender des Aufsichtsrates und Vizepräsident der jüdischen Gemeinde in Prag. Außerdem war ich Beauftragter für die Entschädigung von noch lebenden Opfern nationalsozialistischer Gewalt. In den Jahren 2008 bis 2012 habe ich das Tschechische Zentrum in Tel Aviv in Israel aufgebaut.

Ihre Familie war auch unter den Kommunisten Repressionen ausgesetzt.
Stecher: Stimmt. Aus diesem Grund sind meine Eltern in den achtziger Jahren in die Bundesrepublik ausgereist. Ich selbst konnte erst nach der Wende Germanistik studieren, weil viele unserer Verwandten im westlichen Ausland wohnten und ich als Feind des kommunistischen Regimes verdächtigt wurde.

Sind Sie mit den Zielen und Aufgaben des Literaturhauses schon länger vertraut?
Stecher: Ich habe die Gründerin des Literaturhauses Lenka Reinerová und den ehemaligen tschechischen Botschafter in der Bundesrepublik František Černý schon Ende der neunziger Jahre kennengelernt. Die Vertiefung der kulturellen Beziehungen zu Deutschland war mir immer ein wichtiges Anliegen. Ich habe deshalb im Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds mitgearbeitet und dann die Leitung des Tschechischen Zentrums in München übernommen.

Mit welchen Schwierigkeiten hat das Literaturhaus zu kämpfen?
Stecher: Es war noch nicht möglich, alle Räume unseres Hauses, das wir vor vier Jahren übernommen haben, zu renovieren. Wir müssen versuchen, mit einem kleinen Budget ein gutes und anspruchsvolles Programm zu machen. Durch meine Tätigkeiten in München und Tel Aviv habe ich bereits Erfahrungen damit, wie man auch mit begrenzten Mitteln und einem kleinen Team gute Leistungen erbringen kann. Wir finanzieren unsere Arbeit vor allem mit Hilfe von Sponsoren, zu denen unter anderem die Firma E.ON, die Robert-Bosch-Stiftung sowie der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds gehören. Viel Unterstützung erfahren wir auch durch die Prager Behörden. Das Rathaus von Prag 2 hat uns tatkräftig dabei unterstützt, dass wir damals dieses Gebäude in der Ječná beziehen konnten.

Welche Schwerpunkte sind Ihnen wichtig?
Stecher: Ich möchte die Förderung der Stipendiaten intensivieren. Wir vergeben zum einen Stipendien an tschechische Autoren für einen Aufenthalt in der Bundesrepublik. Umgekehrt laden wir deutsche Schriftsteller zu uns nach Prag ein. In diesem Jahr waren unter anderem die Autoren Peter Kurzeck und Tanja Dückers unsere Gäste. Ich möchte in Zukunft den einmonatigen Aufenthalt unserer Gäste verlängern und dafür die Zahl der Stipendiaten etwas reduzieren. Außerdem will ich unsere Präsenz über Prag hinaus erweitern. 2015 wird Pilsen Kulturhauptstadt Europas sein. Dabei möchten wir mit Beiträgen und Veranstaltungen aus unserem Haus mitwirken.

Der Deutsch-Unterricht an tschechischen Schulen hat in den letzten Jahren an Bedeutung verloren. Wie reagieren Sie darauf?
Stecher: Wir verstärken den Kontakt zu den Schulen in Prag und darüber hinaus in der ganzen Republik. Die im September eröffnete multimediale Ausstellung zur Prager deutschen Literatur stößt bei Deutschlehrern und ihren Schülern auf großes Interesse. Jede Woche ist mindestens eine Schulklasse bei uns zu Gast, die sich mit Hilfe der Ausstellung einen Überblick über die deutschsprachige Prager Literatur verschafft. Daran schließen sich dann unter Führung unserer MitarbeiterInnen literarische Spaziergänge durch die Stadt Prag an, bei denen wir den Schülern die Geburtshäuser, die Cafés und andere Treffpunkte der damaligen Autoren zeigen.

Wie steht es mit dem Bekanntheitsgrad des Literaturhauses in Deutschland?
Stecher: In Deutschland haben wir uns mittlerweile einen guten Ruf erarbeitet. Fast jeden Tag besichtigen deutsche Touristen unsere ständige Ausstellung. Als vor einer Woche der deutsche Bundestagspräsident Norbert Lammert in Prag weilte, hat er sich spontan entschlossen, unser Haus zu besuchen.

Eine abschließende Frage an den neuen Leiter des Literaturhauses: Welches sind Ihre tschechischen und deutschen Lieblingsautoren?
Stecher: Arnošt Lustig, Elfriede Jelinek und Martin Walser.

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