Ein Jahr nach Nagygate

Ein Jahr nach Nagygate

Die größte Politaffäre des Landes: Bisher brachte sie den Regierungswechsel, einige Anklagen und viele offene Fragen

18. 6. 2014 - Text: Martin NejezchlebaText: mn/čtk; Foto: ČTK/Šulová Kateřína

 

Es waren Szenen wie aus einem Politthriller von Oliver Stone. Vor dem Regierungsamt auf der Prager Kleinseite sprangen vermummte Polizisten aus weißen Lieferwagen. An der gesamten Operation, die vor einem Jahr, am 13. Juni 2013, begann und mehrere Tage andauerte, beteiligten sich über 400 Polizisten. 150 Millionen Kronen (etwa 5,5 Millionen Euro) und mehrere Kilo Gold wurden beschlagnahmt. Acht Personen kamen in Untersuchungshaft, darunter Jana Nagyová, die engste Mitarbeiterin und Bürochefin des damaligen Premiers Petr Nečas. Die Geliebte des Regierungschefs – die seit der Heirat im September Nečasová heißt – entpuppte sich als Schlüsselfigur in einem Korruptions- und Abhörskandal von in Tschechien bis dahin einzigartigem Ausmaß. Nečas musste zurücktreten, Neuwahlen folgten im Herbst. Kritik am Vorgehen der Polizei wurde laut und in der Tat scheint es, als wäre die Beweislage bei manchen der vier Einzeltatbestände lückenhaft. Die „Prager Zeitung“ bringt ein Jahr nach „Nagygate“ einen Überblick. Was genau wird untersucht und wo stehen die Ermittler heute?

Vier Ermittlungsstränge

Der Maulwurf in der Justiz
Bei ihm fingen die Ermittlungen an: Libor Grygárek, damals Stellvertreter des Oberstaatsanwaltes in Prag, wurde verdächtigt, gegen Geld geheime Informationen nach außen getragen und dem berüchtigten Lobbyisten Roman Janoušek geholfen zu haben, sein Problem mit den Schweizer Behörden zu lösen: Die Staatsanwälte hatten rund 13 Millionen Franken auf Janoušeks Schweizer Konten eingefroren. Die Polizei hörte Grygárek ab, die Spur führte sie zu Nagyová und weiteren Korruptionsfällen.

Die Strippenzieher
In den Abhörakten der Polizei taucht neben Janoušek auch der Name Ivo Rittig auf. Beide gelten als Paten – Unternehmer, die im Hintergrund die politischen Strippen ziehen. Janoušek wurde im Rahmen von „Nagygate“ zum Verhör beordert, das Büro von Rittig wurde vor einem Jahr durchsucht. Er soll über Nagyová an der Verteilung von Staatsposten und Staatsaufträgen beteiligt gewesen sein.

Die Geheimdienstaffäre
Dieser Tatbestand kommt in den nächsten Wochen vor Gericht. Jana Nagyová soll den militärischen Geheimdienst mehrfach dafür benutzt haben, an Informationen über politische und private Widersacher zu gelangen – auch die Ex-Frau des Premiers, Radka Nečasová, ließ sie beschatten. Sie wollte Beweise für ihre Untreue sammeln.

Der Rebellen-Deal
Bei der Razzia festgenommen wurden auch die Ex-Abgeordneten Ivan Fuksa, Petr Tluchoř und Marek Šnajdr. Die drei Bürgerdemokraten hatten im September 2012 zunächst gegen ein umstrittenes Steuerpaket der Regierung gestimmt; ehe diese jedoch eine neuerliche Abstimmung mit der Vertrauensfrage verband, legten die sogenannten „Rebellen“ ihr Mandat nieder. Später kamen alle drei auf lukrativen Posten in staatlichen Unternehmen unter. Laut der Polizei soll Nagyová den Deal mit den drei Abgeordneten vermittelt haben. Der Nečas-Regierung sicherte das das vorläufige Überleben.

Wo stehen die Ermittler heute?
Im Abhörskandal sollen in den nächsten Wochen vier Verdächtige vor Gericht kommen. Darunter die heutige Ehefrau des Ex-Premiers und der einstige Chef des militärischen Geheimdienstes Ondřej Páleník
Im Juli hat das Oberste Gericht entschieden, dass die drei „Rebellen“ Fuksa, Tluchoř und Šnajdr wegen der Niederlegung ihrer Mandate nicht strafrechtlich verfolgt werden dürfen, da sich darauf ihre Immunität als Abgeordnete bezieht. Gegen Nečas wird in diesem Fall weiter ermittelt.

Der vermeintliche Maulwurf Grygárek steht unter Anklage wegen seiner Freundschaftsdienste für Janoušek. Seine Zusammenarbeit mit den Paten soll laut Polizei jedoch weitaus intensiver gewesen sein. Strafrechtlich verfolgt wird er dafür bislang nicht.

Völlig unklar ist, woher die sichergestellten Millionen und das Gold stammen und wem sie dienen sollten. Der Verdacht, die Reichtümer könnten mit den Manipulationen öffentlicher Aufträge durch die Paten zusammenhängen, wurde bislang nicht bestätigt.

Immer wieder wurden Stimmen über Verfahrensfehler bei der Polizei laut. So beschwerten sich die Geheimdienstler Páleník und Jan Pohůnek beim Verfassungsgericht, dass der Fall nicht in Prag, sondern von der Oberstaatsanwaltschaft in Olomouc behandelt wird. Die Staatsanwaltschaft argumentiert mit möglicher Einflussnahme durch die Verquickung mit dem Fall Grygárek. Zudem wurde Kritik über das Durchsickern der Abhörprotokolle privater Gespräche zwischen Nagyová und Nečas laut.