Arbeitslos, verknechtet, befreit

Arbeitslos, verknechtet, befreit

Brünn erklärt unbezahlten gemeinnützigen Arbeitsdienst für verfassungswidrig. Für Arbeitslose eine Erlösung

6. 12. 2012 - Text: Ivan DramlitschText: Ivan Dramlitsch; Foto: reflexni-obleceni.cz

Über Politik kann man mit Martin Severa (Name von der Redaktion geändert) nicht sprechen. Die interessiert den 44-Jährigen nämlich nicht. Deshalb liest er auch keine Zeitung. „Alles Diebe, die da oben“, so sein Kommentar zum politischen Geschehen. Dass jedoch vergangene Woche ein höchstrichterliches Urteil gesprochen wurde, welches ihn direkt betrifft, hat er sehr wohl mitbekommen. Denn Martin Severa ist einer von knapp 50.000 tschechischen Arbeitslosen, die im vergangenen Jahr zum sogenannten „öffentlichen Arbeitsdienst“ verpflichtet wurden. Diesen erklärte das Verfassungsgericht nun für verfassungswidrig. „Zur Abwechslung mal eine gute Nachricht. Denn das ist nichts anderes als Zwangsarbeit“, so Severa.

Arbeit gegen Arbeitslosengeld
Der Arbeitsdienst ist Teil der sogenannten Sozialreformgesetze, die die ODS-geführte Regierung im November 2011 gegen den erbitterten Widerstand der Opposition und der Gewerkschaften durchgepeitscht hatte. So wurden Arbeitsämter ermächtigt, Arbeitslose, die länger als zwei Monate ohne Arbeit sind, zu sogenannten gemeinnützigen öffentlichen Dienstleistungen zu verpflichten. Unentgeltlich waren sie zu leisten. In der Regel handelte es sich dabei um Tätigkeiten wie Straßenkehren oder Schneeschippen im Winter. Wer dies ablehnte, musste damit rechnen, dass ihm sämtliche Sozialleistungen gestrichen wurden. Auch Severa wurde zur Straßenreinigung verdonnert, obwohl er dem lange Zeit „mit allerlei Tricks“ aus dem Weg gehen konnte. Doch irgendwann hieß es, entweder zum Besen greifen oder gar kein Geld.

Über seine – immerhin nur kurze – Zeit als „öffentlicher Dienstleister“ redet er mit Verachtung: „Totaler Unsinn und Zeitverschwendung. Möglichst wenig tun, möglichst effektiv die Zeit totschlagen, möglichst schnell einen Vorwand finden, die Sache zu schmeißen. Das war die Devise.“ Der von der Regierung stets ins Feld geführte angeblich motivierend wirkende Effekt der Maßnahme scheint zumindest bei Severa nicht gefruchtet zu haben.

Breites Bündnis dagegen
Die Sozialdemokraten hatten gleich nach Verabschiedung der Reformgesetze gegen das gesamte Gesetzespaket beim Verfassungsgericht Klage eingereicht. Die Brünner Richter gaben der Klage jedoch nur in einigen wenigen Punkten statt. Die Reform als Ganzes stellten sie nicht in Frage. In Sachen unentgeltliche Arbeitspflicht urteilte das Gericht jedoch relativ deutlich und zog den Vergleich zur Zwangsarbeit. Es widerspreche dem freien Willen und der freien Entscheidung, denn eine Ablehnung des Arbeitsdienstes bedeute den Verlust der Arbeitslosenunterstützung, welche aus den Versicherungsbeiträgen resultiert, die die Betroffenen jahrzehntelang gezahlt haben können. Und: „Diese Verpflichtung kann zu Gefühlen der Erniedrigung führen, die bei Einzelnen zur Verletzung ihrer persönlichen Würde beitragen können“, so Gerichtspräsident Pavel Rychetský in der Urteilsbegründung.

Gegen die Arbeitspflicht wehrten sich nicht nur Sozialdemokraten. Auch Gewerkschaften, zahlreiche Arbeitsloseninitiativen, Menschenrechtsgruppen und sogar Vertreter von Arbeitsämtern äußerten teilweise massive Kritik an der Regelung. Sie alle wiesen auf die ihrer Meinung nach offensichtliche Verfassungswidrigkeit des Gesetzes hin. Auch dem von den Befürwortern ins Feld geführte Argument, dass die Verpflichteten dadurch bessere Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt hätten, widersprachen die Kritiker. So legte beispielsweise die Initiative „ProAlt“ Zahlenmaterial vor, wonach lediglich vier Prozent der von den Zwangsmaßnahmen Betroffenen den Sprung in den ersten Markt geschafft haben. Nach dem Urteil machte sich Genugtuung bei den Gegnern der „Zwangsarbeit“ breit. „Dass die öffentliche Dienstleistung ein ausgemachter Blödsinn ist, wussten wir von vornherein. Es ist gut, dass es wenigstens jemanden in diesem Staat gibt, der kluge Entscheidungen trifft“, kommentierte Gewerkschaftschef Jaroslav Zavadil den Gerichtsentscheid.

Ende einer Schikane
Von Regierungsseite kam die Reaktion, die es immer gibt, wenn Gerichte die Gesetze einer Regierung kassieren: Man „respektiere das Urteil“, auch wenn man „nicht mit allem einverstanden“ sei, man werde die Urteilsbegründung „genaustens prüfen“ und dann die „nowendigen Kosequenzen ziehen“, bemühte Premier Nečas die stereotypen Polit-Floskeln.

Die Arbeitsämter haben jedenfalls sofort reagiert und bieten den Arbeitsdienst nurmehr als „freiwillige Aktivität“ an. Laut aktuellen Informationen möchte das Arbeitsministerium das Institut als solches allerdings beibehalten. Die Regelung soll dabei unter Berücksichtigung des Verfassungsgerichtsurteils neu gestaltet werden. Unter anderem ist eine Entlohnung der Tätigkeit im Gespräch.

Das alles interessiert Martin Severa wenig. Er ist froh, dass die „Schikane“ vorerst vorbei ist. Der Politik traut er kein bisschen: „Wie gesagt, alles Diebe da oben.“