„Grenzen verschwinden nicht, sie wandern“
Künstler Hubert Lobnig über sein Ausstellungsprojekt am ehemaligen Eisernen Vorhang
15. 10. 2014 - Text: Franziska Neudert
Hubert Lobnig und Iris Andraschek realisieren seit den achtziger Jahren gemeinsame Projekte im öffentlichen Raum. Vor fünf Jahren errichteten die beiden Künstler am Grenzübergang zwischen dem tschechischen Slavonice und dem österreichischen Fratres ihre Installation „Wohin verschwinden die Grenzen? – Kam mizí hranice?“. 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs lud das Künstlerpaar Kollegen aus Polen, Tschechien und Österreich ein, die Installation zu erweitern. Auf dem stillgelegten Fahrstreifen entlang der Grenze entstand eine etwa vier Meter hohe und 20 Meter lange Metallkonstruktion, die aktuelle Arbeiten zum Grenzdiskurs vereint. Im Gespräch mit PZ-Redakteurin Franziska Neudert erklärt Hubert Lobnig, warum eine Auseinandersetzung mit dem Thema wichtig ist.
Was hat Sie zur künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema Grenze bewogen?
Lobnig: Wir sind beide in Grenzbezirken aufgewachsen, Iris Andraschek in Horn im Waldviertel und ich in Völkermarkt in Südostkärnten. Wir haben bereits 2005 und 2007 Arbeiten an der tschechisch-österreichischen Grenze realisiert. Auf die Idee, am Grenzübergang zwischen Fratres und Slavonice eine Arbeit zu realisieren, sind wir 2009 gekommen, weil wir die Orte, ihre Geschichte und die Grenzsituation sehr spannend fanden und weil es 2009 eine grenzüberschreitende Landesausstellung gab, bei der die meisten Besucher diesen Grenzübergang benutzten.
Warum haben Sie das Projekt nun wieder aufgenommen? Was treibt Sie dabei an?
Lobnig: Uns schien es sinnvoll, das Projekt wiederaufzunehmen, hat sich doch die Diskussion um Grenzen seit damals weiterbewegt und zugespitzt. Die Grenzübergänge innerhalb der Schengen-Länder sind zum Großteil abgebaut, und alles was an Grenze im klassischen Sinne erinnert, ist verkauft und demontiert worden. Die Grenzhäuser wurden privatisiert, die Anbauten, Befestigungen, Schranken, Kontrollhäuschen verschwinden. Wir sind innerhalb der EU ein gutes Stück freier geworden, aber auch beklommen in Anbetracht der Flüchtlingsströme aus Kriegs- und Krisengebieten und in Vergegenwärtigung der andernorts neu errichteten Zäune und Mauern.
Wer sind die Künstler, die sich am Projekt beteiligen?
Lobnig: Wir haben acht Künstler, die sich in ihrer Arbeit dezidiert mit dem Verschwinden und den Verschiebungen der Grenzen von Nationalstaaten beschäftigen, dazu eingeladen, hauptsächlich mit Fotoarbeiten an dem Projekt teilzunehmen. Dazu gehören aus Tschechien Lukáš Houdek und Abbé. J. Libansky. Aus Polen beteiligen sich Agnieszka Kalinowska und Zbigniew Libera sowie Katrin Hornek, Heidi Schatzl, Johanna Tinzl und Stefan Flunger aus Österreich.
Wie würden Sie die Frage beantworten: Wohin verschwinden die Grenzen?
Lobnig: Sichtbare Grenzen werden innerhalb der Europäischen Union nach einem festgelegten Zeitplan abgebaut und verschwinden – zumindest scheinbar. Entsprechend paradox ist der Satz ,Wohin verschwinden die Grenzen?‘. Würden sie wirklich verschwinden, müssten wir nicht fragen, wohin. Sie wandern. Einerseits an die EU-Außengrenzen, wo sie in sehr ähnlicher Erscheinungsform wie Stacheldrahtzäunen, Absperrungen, Mauern, strengen Personen- und Warenkontrollen wieder auftauchen. Andererseits verschieben sie sich weg von der Grenze in das Land hinein, in eine Diskussion über die Aufwertung der Regionen, in überwachte und eingezäunte Siedlungen, in Diskussionen und Maßnahmen zu Sicherheit, Migration und Aufenthaltsrecht.
Welche Rolle spielen Grenzen heute?
Lobnig: Sie sind sehr wichtig für die Abschottung von Reich und Arm, von Nord und Süd. Aber auch für die Identitätsbilder neuer Staaten spielen sie eine große Rolle, wie man derzeit an den Konflikten in der Ukraine oder in Nahost sehen kann.
Inwiefern sind die ehemaligen Grenzen des Eisernen Vorhangs Ihrer Meinung nach heute noch relevant?
Lobnig: Es gibt positive Elemente der Relevanz, wie zum Beispiel die Diskussion um die Nationalparks des Grünen Bandes oder die vielen gemeinsamen Veranstaltungen und Projekte der Nachbarländer. Andererseits sind die ehemaligen Grenzen immer noch präsent, da sich die Geschichten, die an ihnen vorgefallen sind, tief in das kollektive Bewusstsein eingegraben haben. Durch die jahrzehntelange, teilweise sehr systematisch betriebene Abschottung vom Nachbarn dauert es jetzt lange, bis die Kontakte wieder aufgenommen werden. Die Sprach- und Mentalitätsgrenzen sind noch sehr stark ausgeprägt. Das kann man in Fratres und Slavonice, die ein langes Kapitel gemeinsamer Geschichte verbindet und wo die Sprache diesseits und jenseits der Grenze durchlässig war, gut nachvollziehen. Das Gefüge wurde mit dem Einmarsch der Deutschen empfindlich gestört, zerstört und nach 1945 abrupt abgebrochen. Heute spürt man, wie schwierig es ist, zusammen zu leben, zu arbeiten, zu feiern, sich gemeinsam zu organisieren, was gerade hier in relativer Isolation dringend notwendig wäre.
Was wollen Sie mit dem Projekt idealerweise beim Besucher bewirken?
Lobnig: Denkanstöße geben und eine offene, ehrliche Diskussion auslösen, die sehr differenziert auf die Geschichte und Gegenwart blickt und nicht vereinfacht. Wir interessieren uns vor allem für die Kommunikation mit unseren Nachbarn und wir finden es wichtig, zur politischen Weltlage Stellung zu beziehen.
Die Installation ist bis Oktober 2015 am Grenzübergang Fratres/Slavonice zu sehen. Weitere Informationen unter www.hubertlobnig.com
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