Systemversagen mit Todesfolge
Nach einer Messerattacke trauert das Land um einen 16-jährigen Schüler und diskutiert den Umgang mit psychisch gestörten Gewalttätern
22. 10. 2014 - Text: Stefan WelzelText: sw/čtk; Foto: ČTK/Luboš Pavlíček
Die Internetseite des Psychiatrischen Krankenhauses im mährisch-schlesischen Opava ist zur Zeit nicht zugänglich. „Wir arbeiten an einer neuen Webseite“, steht dort geschrieben. Ist dem wirklich so oder wollen die Verantwortlichen die Klinik aus dem medialen Schussfeld nehmen? Der Zeitpunkt scheint auf jeden Fall merkwürdig. Dienstag vergangener Woche erstach eine junge Frau in der Kleinstadt Žďár nad Sázavou einen 16-jährigen Schüler und verletzte drei weitere Personen. Die Täterin drang um halb acht Uhr morgens in das Gebäude der Wirtschafts-Mittelschule ein und griff eine Schülerin an, worauf ein Klassenkamerad zu Hilfe eilte und selbst Opfer der Attacke wurde. Die kurze Zeit später eingetroffene Sondereinheit der Polizei konnte die 26-jährige Angreiferin überwältigen. Erst im Februar dieses Jahres war sie aus der stationären Behandlung der Anstalt in Opava entlassen worden.
Der schockierende Vorfall löste in der Republik eine Diskussion über die Handhabe im Umgang mit psychisch gestörten Gewalttätern aus. Dies vor allem deswegen, weil die unter Schizophrenie leidende Täterin bereits vor zwei Jahren straffällig wurde. In Havířov nahe der slowakischen Grenze nahm sie in einer Grundschule eine Siebenjährige als Geisel und verletzte dabei eine Lehrerin. Der Vorfall verlief ohne drastische Folgen für die Opfer. Nach nicht einmal anderthalbjähriger Behandlung in der geschlossenen Abteilung wurde die Angreiferin wieder freigelassen. Die Ärzte hielten ihre Entlassung für unbedenklich und verordneten lediglich die regelmäßige Einnahme von Medikamenten. Gesundheitsminister Svatopluk Němeček (ČSSD) leitete kurz nach dem Vorfall am Dienstag eine Untersuchung ein, um herauszufinden, ob die zuständigen Fachkräfte der Klinik korrekt vorgingen.
„Meiner Erachtens haben wir richtig gehandelt. Aus unserer Sicht bestand kein Grund mehr für eine stationäre Behandlung oder dafür, die Patientin einer regulären Haftanstalt zu übergeben“, beteuerte Ivan Drábek, Leiter des Krankenhauses, noch am Dienstagnachmittag. Das Bezirksgericht von Opava folgte dieser Argumentation und entließ die spätere Täterin in ambulante Behandlung und in die Obhut ihrer Mutter. Tomáš Kamrádek, Sprecher des Gerichts, verwies auf die besseren Möglichkeiten, im Kreise der Verwandten vollständig zu genesen. „Eine Verlegung in ein Gefängnis wäre da nicht hilfreich gewesen“, so Kamrádek.
Der sozialdemokratische Bürgermeister von Havířov Zdeňek Osmanczyk sieht das anders. „Das System ist so, wie es ist. Unsere Gesetze sind dem Täter gegenüber zu wohlwollend. Hier werden bestimmte Fälle maßlos unterschätzt.“ In den Schulen seiner Stadt ordnete Osmanczyk nach der Geiselnahme im Jahr 2012 eine strengere Eingangsüberwachung an. Dennoch findet das Stadtoberhaupt, dass solche Vorfälle wohl nur schwer zu verhindern seien.
Nun reagierte auch Bildungsminister Marcel Chládek. Der Sozialdemokrat ordnete an, die Sicherheitsvorkehrungen an den Schulen zu überprüfen. Auch er sprach sich für eine bessere Kontrolle mittels Videoüberwachung aus.
Inzwischen ist die Debatte zur Chefsache geworden. Premierminister Bohuslav Sobotka (ČSSD) räumte einen Tag nach der Tat in Žďár nad Sázavou ein, dass das System staatlicher Institutionen versagt haben könnte. Präsident Miloš Zeman äußerte Bedenken, eine Frau mit dieser Vorgeschichte ambulant behandeln zu lassen. Am gleichen Tag gab der Gesundheitsminister bekannt, dass Klinikleiter Drábek von seinem Posten zurückgetreten sei und die Schuld für die Entlassung der Patientin auf sich nehme.
Das junge Opfer der Gewalttat wurde vergangenen Montag unter Anteilnahme zahlreicher Mitschüler sowie lokaler politischer Würdenträger in Žďár nad Sázavou beigesetzt. Die Täterin sitzt derweil in Haft und ist wegen Mordes angeklagt worden. Über den Stand der von Němeček angeordneten Untersuchung sowie einen möglichen Termin für die Gerichtsverhandlung wurde von offizieller Seite noch nichts bekanntgegeben.
„Online-Medien sind Pioniere“
Kinderwunsch nicht nur zu Weihnachten