Stadtrundfahrt im Gleichgewicht

Stadtrundfahrt  im Gleichgewicht

Das Verkehrsministerium möchte Segways von den Prager Bürgersteigen verbannen. Sind die elektrisch angetriebenen Stehroller wirklich gefährlich? Ein Selbstversuch auf zwei Rädern

12. 11. 2014 - Text: Corinna AntonText und Foto: Corinna Anton

Ein sonniger Novembersamstag vor dem Hotel Intercontinental. Kristýna verpasst mir einen Helm. Die 23-Jährige ist Fremdenführerin und Segway-Instruktorin. In ihrer orange-rot leuchtenden Jacke wird sie uns zwei Stunden lang auf den elektrisch angetriebenen Einpersonentransportern durch die Stadt geleiten. Ich habe mich einer Gruppe aus Norwegen angeschlossen, zwei Paare um die 50. Die Frauen wirken ein wenig nervös, ohne Norwegisch zu können, verstehe ich das Wort „skeptisch“. Kristýna beginnt mit der Einführung.

Zuerst müssen wir mit unserer Unterschrift bestätigen, dass wir weder schwerer als 115 Kilo noch schwanger sind oder unter Alkoholeinfluss stehen. Der Anbieter Ecotours, über den ich mich für die Tour angemeldet habe, gehört der tschechischen Segway-Vereinigung an, ein Zusammenschluss von Veranstaltern, die sich selbst einige Regeln auferlegt haben. Dazu gehört auch eine Geschwindigkeitsbegrenzung: „In Prag sind wir Fußgänger“, erklärt Kristýna. Für die Tour heißt das, dass wir stets auf Gehwegen oder durch Fußgängerzonen fahren werden, und zwar höchstens mit elf Kilometern pro Stunde. Zuerst sollen wir uns aber auf dem großen Platz vor dem Hotel mit den Geräten vertraut machen.

Ein Segway wiegt etwa 50 Kilo. Die Geräte werden seit 2001 von der gleichnamigen amerikanischen Firma hergestellt. Sie fahren bis zu 20 Kilometer pro Stunde, die Modelle, die auf uns warten, bremsen aber ab 9 km/h automatisch ab – eine Geschwindigkeit, die ich während der Tour nicht erreichen werde. Ich habe Respekt vor der Maschine, die noch an einer Mauer lehnt, weil sie ohne Fahrer nicht stehen kann. Das Gefährt besteht nur aus zwei Rädern und einer Lenkstange, sowie der Plattform, auf die ich vorsichtig erst den linken Fuß setze. Dann den rechten. Es gibt weder Gaspedal noch Bremse. Allein mit meiner Körperhaltung bestimme ich über Stillstand und Beschleunigung: Wenn ich mich leicht nach vorne beuge, fahre ich schneller, wenn ich mich zurücklehne langsamer. Will ich stehenbleiben, muss ich genau die Mitte finden. Auf dem Übungsplatz fahren wir vorwärts und rückwärts, versuchen stillzustehen und eine kleine Rampe zu überwinden. Später wird Kristýna mir erzählen, dass sie die Übungszeit verdoppelt habe, weil eine der beiden Norwegerinnen sehr unsicher war. Es käme auch vor, dass jemand überhaupt nicht zurecht komme, dann könne sie ihn nicht mitnehmen, sagt die Fremdenführerin und Tourismus-Studentin. „Immer hinter mir, in einer Linie“, gibt sie das Kommando zur Abfahrt in Richtung Rudolfinum.

Neugierige Blicke
Die ersten Meter im Straßenverkehr fühlen sich wackelig an, meine Füße verkrampfen sich, weil ich versuche, mich mit den Zehen auf der Plattform festzukrallen. Ich spüre jeden Pflasterstein, die kleinste Bordsteinkante kommt mir wie ein Hügel vor, die Überquerung der ersten Fußgängerampel über Kopfsteinpflaster und Bahngleise ist eine Herausforderung. Beim ersten Stopp vor dem Rudolfinum erzählt Kristýna etwas vom „Dreieck von Kunst, Kultur und Bildung“, von der Tschechischen Philharmonie, der Karls-Universität und dem Kunstgewerbemuseum. Ich konzentriere mich hauptsächlich darauf, ruhig auf der Stelle zu stehen. Weiter geht es auf dem Gehweg über die Mánes-Brücke. Die meisten Fußgänger begegnen uns freundlich, manche neugierig. „Das möchte ich auch mal ausprobieren“, hört man im Vorbeifahren in verschiedenen Sprachen. Auf der Brücke hält ein Geländewagen an und lässt das Fenster herunter: „Wo kann man das leihen?“, will die Beifahrerin auf Englisch von mir wissen.

Auf der Kleinseite rollen wir durch die Neruda-Gasse in Richtung Burg. Die beiden Norweger sind schon mutig, fahren, wo Platz ist, Slalom und springen über die Bordsteinkante. Die beiden Frauen dagegen lassen sich von Kristýna helfen, als es ein Stück steil bergab geht. Auch ich suche noch die richtige Balance. Das Gerät reagiert sensibel auf die kleinste Gewichtsverlagerung und ich muss mich auf jede Bewegung konzentrieren, als ich meine Kamera aus dem Rucksack hole und Fotos mache. Passanten, die vor einem Geschäft plötzlich stehenbleiben, Touristen, die beim Gehen nur auf ihr Telefon oder einen Stadtplan schauen, und Hunde in Meerschweinchengröße, die sich unberechenbar über den Bürgersteig bewegen, fordern meine Konzentration. Im größten Gewühl kommen wir nicht schneller vorwärts als die Fußgänger. Wenn der Gehsteig enger wird, weil eine Laterne oder ein Straßenschild den Weg versperrt, muss ich entweder lange warten, um alle Entgegenkommenden passieren zu lassen, oder langsam fahren und hoffen, dass die Fußgänger  Verständnis haben. „Segway ist ja eine gute Sache, aber doch nicht hier“, höre ich eine französische Touristin zu ihren Begleitern sagen.

Angst vor Unfallgefahr
Ähnlich sieht es auch das tschechische Verkehrsministerium, das die Fahrzeuge von den Bürgersteigen verbannen möchte. Die Stehroller dürften sich einem Gesetzesvorschlag zufolge nur noch auf Fahrradwegen oder in vom jeweiligen Rathaus ausgewiesenen Zonen bewegen. Grund für die geplante Einschränkung ist den Behörden zufolge die steigende Zahl der Zusammenstöße mit Fußgängern. Das Verkehrsministerium weist darauf hin, dass hauptsächlich Touristen mit Segways unterwegs seien: Weil sie meist ungeübt im Umgang mit den Geräten seien und sich damit deutlich schneller bewegten als Fußgänger, käme es zu Unfällen. Auch Kristýna kennt das Problem. Ja, es gebe andere Unternehmen, die sich nicht an die Regeln hielten und rücksichtslose Fahrer, sagt sie diplomatisch. Tatsächlich finden sich in Prag mehr als ein Dutzend Veranstalter, die geführte Touren für etwa 1.000 bis 2.000 Kronen (etwa 35 bis 70 Euro) pro Person anbieten. Hinzu kommen Firmen, die nur die Geräte verleihen, ohne Begleitung. Längst nicht alle gehören der Vereinigung an.

Unsere Tour geht nach gut zwei Stunden ohne Zusammenstöße zu Ende. Ich habe mich mit der Maschine angefreundet und den Blick auf Prag in der Novembersonne genossen. Von der Burg sind wir über die Loreto-Kirche und das Strahov-Kloster gefahren, durch die Gärten am Petřín-Hügel wieder bergab, schließlich vorbei am Nationaltheater und Altstädter Ring zum unteren Ende des Wenzelsplatzes und zurück zum Hotel. Wir haben deutlich mehr gesehen als man zu Fuß in derselben Zeit schaffen würde. Die norwegischen Touristen haben von Kristýna einen herrlichen Blick auf die Burg und ein paar Tipps bekommen, was sie sich in den nächsten Tagen genauer anschauen sollen. Sie sind zufrieden mit der Tour und schütteln ihre Beine aus. Auch ich habe noch ein wenig steife Knie und kalte Finger, als ich wieder festen Boden unter den Füßen habe. Spaß gemacht hat es trotzdem.