Die Rückkehr der Nummer eins

Die Rückkehr der Nummer eins

Tschechien gewinnt auch sein letztes Qualifikationsspiel vor der Winterpause. Nationaltrainer Vrba versetzt das Land an der Stätte seiner größten Erfolge in eine wahre Fußball-Euphorie

19. 11. 2014 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: FAČR

Wer am Sonntagabend vor dem Fernseher saß und nicht wusste, wo das Spiel gegen Island stattfindet, dem halfen ein paar Besucher im Stadion nach. Sie streckten ein riesiges Transparent mit der Aufschrift „Trenér číslo 1“ („Trainer Nr. 1“) in die Höhe, das Fangnetz hinter dem Tor zeigte ein Abbild des heutigen Nationaltrainers, der noch vor einem Jahr das Team von Viktoria Pilsen betreute. Die Zuschauer in Pilsen feierten Pavel Vrba wie einen Helden. Schließlich hatte er Viktoria zu zwei Meistertiteln und einem Pokalsieg geführt und ist damit der erfolgreichste Trainer der Vereinsgeschichte. Dass Vrba nun die Nationalmannschaft trainiert, erfreut die ganze Republik: In Pilsen feierten Spieler und Fans den vierten Sieg im vierten Spiel in der Qualifikationsrunde zur Europameisterschaft 2016 in Frankreich. Nach dem 2:1 gegen die Isländer stehen die Tschechen auf dem ersten Rang der Gruppe A – noch vor wenigen Monaten hätte damit wohl niemand gerechnet.

Bis dahin war es ein steiniger Weg. Die kampf- und laufstarken Skandinavier waren als Tabellenführer mit breiter Brust nach Westböhmen gekommen. Das Land mit lediglich rund 320.000 Einwohnern stellt seit Jahren ein erstaunlich gutes Team. Das hat sicher auch etwas mit  Lars Lagerbäck zu tun, der die Mannschaft seit 2011 betreut und zuvor die Nationalteams aus Schweden und Nigeria trainierte. In der zurückliegenden Qualifikation zur WM in Brasilien verpasste Island nur knapp die Sensation: Als Gruppenzweiter scheiterte das Land erst in den Play-offs gegen Kroatien (0:0, 0:2).

Vrba und seine Mannschaft waren also gewarnt. Entsprechend vorsichtig ging die Auswahl das Spiel vor ausverkauftem Haus an. Die Aufstellung verriet einigen Respekt vor dem Gegner, der vor allem für seine effizienten Konter bekannt ist. Manch einer mochte das von Vrba gewählte 4-1-4-1-System als übertrieben ängstlich einstufen. Es stellte sich aber bald heraus, dass die beiden Flügelzangen mit Pavel Kadeřábek und Bořek Dočkal auf rechts sowie Daniel Pudil und Ladislav Krejčí auf links ihre Aufgabe ziemlich angriffslustig interpretierten. Im defensiven Mittelfeld sicherte Jaroslav Plašil für den verletzten Lukáš Vácha ab. Etwas weiter vorne gab wie immer Kapitän Tomáš Rosický den Takt vor.

Der tschechische Schlachtplan war schnell klar: Kontrollierte Offensive war angesagt. Man durfte den Isländern nicht ins offene Messer laufen und zu viel riskieren. Leider machte ausgerechnet Routinier Petr Čech diese Aufgabe ab der neunten Minute ein Stück schwieriger. Nach einem weiten Einwurf der Gäste war der 1,97 Meter große Schlussmann nicht in der Lage, den Ball aus dem Strafraum zu fausten. Nach einer Kopfball-Kombination erzielte Islands Innenverteidiger Ragnar Sigurdsson den Führungstreffer. „Wir sind schlecht in das Spiel gestartet. Der Gegentreffer war mein Fehler. Als Spieler kannst du dann nichts anderes tun, als dich weiter auf das Wesentliche zu konzentrieren und der Mannschaft zu helfen. Ich habe immer daran geglaubt, dass wir das Ding drehen können“, analysierte Čech die Situation nach dem frühen Rückstand.

Die Tschechen erholten sich erstaunlich schnell von diesem Schock. In der 24. Minute kam David Lafata dem Ausgleich schon ziemlich nahe, scheiterte aber am Pfosten. Der Druck der Hausherren steigerte sich und entlud sich – psychologisch ideal – in der 45. Minute. Nach einem Freistoß von Rosický brachte Pudil den Ball fast an der Grundlinie stehend hoch in Richtung Elfmeterpunkt, wo ihn der heranstürmende Kadeřábek mit dem Kopf ins Lattenkreuz beförderte. „Die Mannschaft hat Charakter gezeigt und niemals aufgegeben. Und auch wenn wir schlussendlich etwas Glück benötigten, so haben wir verdient gewonnen, da wir uns mehr Chancen herausspielten“, verteilte Coach Vrba nach dem Schlusspfiff Komplimente.

Das angesprochene Glück zeigte sich in der 61. Minute. Auf einmal schaltete sich auch Defensivspezialist Plašil in den Angriff ein. Seine flache Hereingabe wurde von Jón Bödvarsson über das Standbein von Torhüter Halldórsson ins eigene Gehäuse gelenkt. Auch danach hielten die Tschechen das Tempo hoch. „Das war, was das Passspiel und die Technik angeht, unser bisher bestes Spiel in der Qualifikation. Und für die Zuschauer eine tolle Partie. Auch als Spieler auf dem Platz genießt man das“, sagte Kapitän Rosický. Dennoch musste sein Team bis zum Schluss um die drei Punkte zittern. Fünf Minuten vor dem Ende kam der eingewechselte Gudmundsson rund sechs Meter vor Čech an den Ball. Der reagierte glänzend und machte somit seinen Fehler zu Beginn der Partie wieder wett. „Die zwölf Punkte sind eine gute Ausgangslage, um uns für die EM zu qualifizieren, aber wir brauchen nächstes Jahr wohl noch mindestens zehn weitere, um auf der sicheren Seite zu sein“, so Vrba.

Der langjährige Trainer von Viktoria Pilsen ist nun also auch mit dem Nationalteam auf Erfolgskurs. Die tschechische A-Auswahl hat den besten Start in eine Qualifikation seit 16 Jahren hingelegt – obwohl keines der acht Spiele unter Vrba zu null ausging. Was letztendlich aber zählt, ist der Rang in der Tabelle. Und dort steht, wie auf dem Transparent der Fans, die eins.