Kantor erobert Prag
Was sich hinter dem immer noch ungewissen Besuch des russischen Präsidenten verbirgt
14. 1. 2015 - Text: Ondřej KundraText: Ondřej Kundra; Foto: Wjatscheslaw Mosche Kantor im Genfer Völkerbundpalast (2009)/Acvec
Der Vorsitzende des Europäischen Jüdischen Kongresses Wjatscheslaw Mosche Kantor wird Ende Januar in Prag einen Glücksmoment erleben. Nach monatelangen Bemühungen wird er anlässlich des 70. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz auf der Prager Burg eine Konferenz eröffnen, die seine eigene Idee war und die er nun durchgesetzt hat. Das persönliche Glück des Wjatscheslaw Mosche Kantor kann sich aber auch als problematisch erweisen.
Der Moskauer Kantor, der auf der Vermögensskala russischenr Unternehmer den 39. Platz einnimmt, verfügt nämlich über sehr enge Beziehungen zu Präsident Wladimir Putin. Schon seit einiger Zeit wird darüber spekuliert, dass sich unter dem Vorwand eines gottgefällig aussehenden Treffens in Wirklichkeit das politisches Kalkül verbergen könnte, Putin „nach Europa“ zu bringen und ihn dort vor einheimischem und ausländischem Publikum im Glanz des Ruhms zu wälzen, den sein Land dank des unsterblichen Verdiensts am Sieg über Hitler noch immer genießt. Der mögliche Besuch des Kremlchefs, den seine Kritiker als ein öffentliches Desaster bezeichnen, passt aber nicht in ein Schwarz-Weiß-Schema.
Eine andere Zeit
Für Wjatscheslaw Mosche Kantor geht es nicht um eine Premiere. Er organisiert regelmäßig Holocaust-Gedenkfeiern, auch solche, an denen ranghohe Politiker teilnehmen. Vor zehn Jahren gelang es ihm, eine Reihe von Präsidenten und Premiers aus aller Welt nach Auschwitz einzuladen. Diesen Erfolg wollte er beim bevorstehenden runden Jahrestag in Polen wiederholen. Angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Auschwitz-Überlebenden beständig schwindet, entschieden die Polen Anfang des vergangenen Jahres jedoch, die Gedenkfeier anders zu gestalten. Die sonst zahlreich vertretenen Politiker sollten durch Zeitzeugen der nationalsozialistischen Vernichtung ersetzt werden.
Dass Kantor mit seinen Plänen in Polen keinen Erfolg hatte, hängt auch mit der veränderten politischen Situation zusammen. Als nämlich im März vergangenen Jahres Russland die Krim und den Osten der Ukraine besetzte, war es für die polnische Regierung – die sich von Anfang an scharf vom Vorgehen Putins distanzierte – nicht akzeptabel, dass für das Treffen in Auschwitz ausgerechnet eine Person verantwortlich sein würde, die eng mit Putin verbunden ist. Kantor bewegte sich lange Zeit im Kreis der engsten Vertrauten Putins und bereicherte sich, indem er vom russischen Staat eine Reproduktionsklinik kaufte.
Als sich dann die Lage in der Ukraine weiter verschärfte, erteilte Warschau den Plänen Kantors und damit auch einer Einladung Putins eine klare Absage. Mit der Organisation des Treffens in Auschwitz betraute man Ronald Lauder, einen Vertreter des jüdischen Weltkongresses, der eine konkurrierende Institution zu Kantors Europäischem Jüdischem Kongress darstellt. Kurz nachdem Kantor mit seiner Initiative gescheitert war, fasste er einen neuen Plan: Er wendete sich an mehr Präsidenten, Premiers und Parlamentspräsidenten aus aller Welt als je zuvor und organisierte eine Gedenkfeier anlässlich der Befreiung von Auschwitz außerhalb von Polen.
Die Tschechische Republik bildete für diesen Plan eine ideale Adresse. Da ist einmal das Konzentrationslager Theresienstadt als ein Sammellager, von dem aus die Juden in die Gaskammern deportiert wurden. Zum anderen gehört die jetzige politische Führung Tschechiens zu denjenigen, die in Europa am stärksten proisraelisch auftreten. Kantor wandte sich deshalb im vergangenen Jahr an das Büro des Präsidenten in Prag und bot an, eine eintägige Konferenz auf der Prager Burg zum Thema „Der Antisemitismus und die Bedrohung durch den wachsenden Radikalismus in Europa“ zu organisieren. Am folgenden Tag sollte dann eine Gedenkfeier in Theresienstadt stattfinden.
Die Beamten auf der Prager Burg musste Kantor, wie die Betreffenden selbst sagen, nicht groß überreden. Nicht nur, weil der Milliardär gleich zu Anfang erklärte, dass seine Organisation den Großteil der Kosten selbst übernehmen und der öffentliche Haushalt Tschechiens nicht wesentlich belastet würde. In der Anwesenheit weltweit führender Politiker in Prag sahen Zemans Mitarbeiter vor allem eine Chance, das Prestige des Präsidenten auf der internationalen Bühne zu erhöhen, und ihn so vor der tschechischen Öffentlichkeit und Wählerschaft als Akteur zu präsentieren, der nicht nur zuhause anerkannt ist, sondern auch auf dem größeren Schachbrett der Welt.
In den Schatten stellen
Die Vorbereitungen für dieses Ereignis liefen einige Monate zuvor im Hintergrund. Die Koordination übernahm nach Absprache des Präsidenten, des Premiers und des Chefdiplomaten das Außenministerium. Größeres Aufsehen erregte die Vorbereitung erst, als im November vergangenen Jahres der Tschechische Rundfunk darüber berichtete und die Nachricht mit der Mitteilung verband: „Zeman lädt Putin nach Tschechien ein.“ Zwischen den Berichten über Putins zunehmend aggressives Auftreten und seine Eroberungspläne wirkte das wie eine Provokation und schürte die Spekulationen darüber, ob Zeman – bekannt als Verbündeter und Verteidiger der Interessen des Kremls – sich nicht an einer Aktion beteiligt habe, die darauf abzielt, die westliche Einigkeit gegenüber Russland aufzulösen und Putin auf der internationalen Bühne zu legitimieren.
Angesichts der zuvor von Zeman öffentlich geäußerten Unterstützung des russischen Vorgehens gegen die Ukraine (und seiner Lobeshymne auf die „Wahrheitsliebe“ russischer Politiker, der er den „misstrauischen Westen“ gegenüberstellte) machten solche Spekulationen durchaus Sinn. Putins Einladung nach Prag, die Zeman Ende des vergangenen Jahres bestätigte, konnte den russischen Machthaber in einer neuen Rolle zeigen: als Vertreter der Macht, die im Zweiten Weltkrieg Nazideutschland besiegt und mitgeholfen hat, der Ära der Konzentrationslager ein Ende zu bereiten.
Ein solches Auftreten würde zwar den Kreml nicht aus seiner internationalen Isolierung befreien, aber die russische Propaganda könnte nichtsdestotrotz gerade mit diesem Bild arbeiten, wenn sie versucht, die Öffentlichkeit in einer Reihe europäischer Länder davon zu überzeugen, dass der Herrscher im Kreml ein positiver Akteur ist. Im Lichte ausführlicher Informationen und der Art und Weise entsprechend, wie das Treffen vorbereitet wurde, sind die Dinge aber offenbar einfacher. Kantors Hauptziel ist sehr wahrscheinlich nicht ein kompliziertes politisches Spiel um Putin. Vielmehr hat er den persönlichen Ehrgeiz, ein möglichst prunkvolles Ereignis zu inszenieren, das die polnische Konkurrenzveranstaltung in den Schatten stellen soll.
Eine Bestätigung dafür liefert die Tatsache, dass das Treffen in Tschechien zeitgleich stattfindet wie die Gedenkfeier in Auschwitz und dass nicht nur die Siegermächte, sondern zum Beispiel auch die Vorsitzenden der Europäischen Kommissionen eingeladen wurden. Hinzu kommt, dass Kantor bei den Verhandlungen auf dem Hradschin und im Černín-Palais nach Aussagen einer Reihe tschechischer Diplomaten niemals darauf gedrungen hat, dass die Anwesenheit Putins für ihn wichtiger sei als die anderer Politiker. Nicht einmal das Büro des Präsidenten entwickelte nach Informationen, die der Zeitschrift „Respekt“ vorliegen, eine größere Aktivität in diese Richtung. Kantor beharrte freilich darauf, einige wichtige Mitarbeiter Putins einzuladen, die wegen der Annexion der Krim auf der Sanktionsliste der EU stehen. Die tschechische Diplomatie lehnte es ab, diesen Personen die Einreise zu erlauben, was Kantor sehr erzürnt hat und weswegen er die Vorbereitung der Konferenz zunächst stoppte. Schließlich gab er nach und so wird man in Prag keinen der umstrittenen russischen Politiker zu sehen bekommen.
Was Putin betrifft, so ist bis jetzt nicht sicher, ob er überhaupt nach Prag kommt. Präsident Miloš Zeman, der die Einladungen verschickte, hat bisher von Russland keine offizielle Antwort erhalten. Putin kann sich im letzten Augenblick noch entscheiden, was er in der Vergangenheit wiederholt getan hat. Vielleicht trifft er seine Entscheidung erst dann, wenn er weiß, wer wirklich letzten Endes nach Prag fährt. Dann kann er abwägen, in welchem Maße ihm ein Auftritt in Prag gelegen kommt. Einige Politiker haben ihre Teilnahme nämlich noch nicht offiziell bestätigt. Von den bekannten Politikern habe n bisher der Vorsitzende der EU-Kommission Jean-Claude Juncker und der amerikanische Präsident Barak Obama eine klare Absage geschickt.
Signale und Realität
Die Karten könnten nächste Woche neu gemischt werden, bei einer weiteren Runde diplomatischer Gespräche über die Krise in der Ukraine im kasachischen Astana, wo der russische Präsident mit dem ukrainischen Präsidenten in Anwesenheit der deutschen Kanzlerin und des französischen Präsidenten verhandeln wird. Gegenwärtig ist noch immer nicht ausgeschlossen, dass unter bestimmten Bedingungen – wenn es zum Beispiel zwischen den Teilnehmern zu einem Zerwürfnis kommt oder Probleme auftauchen, die eine schnelle Klärung fordern – die Gespräche in Prag fortgesetzt werden könnten, direkt nach der Konferenz zum Holocaust.
Hiesige Diplomaten und vor allem der Präsident signalisieren schon längere Zeit, dass sie Ambitionen haben, zwischen der Ukraine und Russland die Rolle des Vermittlers zu spielen. So nannte Miloš Zeman zum Beispiel den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko einen „ Mann des Friedens“. Außerdem hat er schon öfters öffentlich angeboten, Putin und Poroschenko an einen Tisch einzuladen, wofür Prag jetzt ein idealer Ort sein könnte.
Bis jetzt sind das allerdings eher Spekulationen. Zwischen den tschechischen Politikern gibt es bisher keine abgestimmten Aktivitäten in dieser Hinsicht. Die Mitarbeiter im Außenministerium machen kein Geheimnis aus ihren schlechten Erfahrungen mit Kantor, der dazu neigen soll, sie abwertend zu behandeln. Was unter anderem zur Folge hat, dass man auf tschechischer Seite die ganze Angelegenheit für problematisch hält. Die Dinge könnten sich auch dadurch weiter zuspitzen, dass Polen sich nun befremdet zeigt, dass die tschechische Konferenz die Veranstaltung in Polen in den Schatten stellen könnte. Das wahrscheinlichste Szenario dürfte wohl so aussehen, dass das Treffen auf der Burg ohne die wichtigsten Politiker der Welt, einschließlich Putin, über die Bühne gehen wird.
Der Text erschien zuerst in der Wochenzeitschrift „Respekt“ Nr. 3/2015, Übersetzung: Friedrich Goedeking
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