Geheimnisvolle Grotte
Der Künstler Reon Argondian hat sich mitten in Prag sein eigenes Reich geschaffen. Ein Besuch bei Trollen, Drachen und lächelnden Dämonen
14. 1. 2015 - Text: Peter HuchText und Foto: Peter Huch
Keine hundert Meter von der Seilbahn am Laurenziberg (Petřín) entfernt liegt eine fremde und ungezähmte Welt. Während etwas oberhalb die Sternwarte den Blick auf fremde Planeten ermöglicht, befindet sich zu ihren Füßen eine geheimnisvolle Grotte, die von Trollen, Drachen und farbenfrohen Frauengestalten bevölkert wird – und von ihrem Schöpfer Reon Argondian.
Das kleine Häuschen nahe der Mittelstation der Seilbahn wirkt mit seinen Drachenskulpturen am Eingang nicht unbedingt einladend, aber es macht neugierig. „Magische Grotte“ nennt sich der mystische Ort. Der Besucher wird von tönernen Dämonen empfangen und von einem Mann, der die Sehnsucht nach der weiten Welt schon im Künstlernamen trägt: Reon leitet der 1948 als Jan Zahradník geborene Maler vom griechischen Wort für „fließen“ ab. In Argondian steckt „Argo“, das Schiff des mythischen Seefahrers Jason.
So wie den Argonauten schwemmte der Fluss des Lebens auch den Prager Sagenfreund in die Ferne, bevor er sich vor einigen Jahren am Petřín niederließ. Seine Heimat fand Reon Argondian für etwa ein Vierteljahrhundert in Frankreich, in den Wäldern der Bretagne. „Ein deutscher Graf vermachte mir in den Wäldern von Quénécan ein ganzes Tal, mit See. Die nächsten Nachbarn waren einige Kilometer entfernt“, erinnert sich der Zivilisationsmüde zurück. Das Gebäude, das er sich dort schuf, sah sowohl von innen als auch von außen aus wie ein Baum, die Räume waren stellenweise sechs Meter hoch. Auch sein Sohn wuchs in den siebziger und achtziger Jahren in dem geheimnisvollen Wald auf, der bald Ziel für Touristen und Künstler werden sollte. Sogar Anschluss an einen Druiden-Kult fand der Tscheche dort. Der Druide und Lebensphilosoph „Le Lucipher“ sollte sein spiritueller Vater werden. Obwohl es verboten war, Fotografien des okkulten Keltenklans zu machen, zeigt er stolz ein Bild von sich mit dem berühmten Freigeist.
Dass Reon Argondian selbst ein Freigeist werden sollte, ist für ihn kein Zufall. „Ich bin Sternzeichen Krebs, wir sind die offensten und musischsten Menschen. Ich stehe dabei im Übrigen Kaiser Rudolf II. sehr nahe.“ Wenn er vom Kaiser spricht, der Ende des 16. bis Anfang des 17. Jahrhunderts in Prag eine alchemistische, übernatürliche Tradition begründete, gerät er ins Schwärmen. „Er war ein kultivierter Mann, ihm war die Kunst wichtiger als der Krieg.“ Auch Rudolf II. soll viel Zeit auf dem Petřín verbracht haben, auf der Wildschweinjagd. Die Fundamente des Gebäudes am Hang, in dem heute der Künstler residiert, wurden allerdings erst später errichtet, es diente ab 1790 der Gärtnerei der Burg.
Dass die Innenräume heute wirken, als wären sie ein Teil von Argondians Gemälde, ist kein Zufall. Maltechnik und Spiritualität greifen bei ihm ineinander. Die Bilder male er wie im Rausch, sagt der Prager. Es seien „visuelle Meditationen“, vergleichbar mit Yoga. „Das fing schon als Kind an, als mir meine Eltern vor 55 Jahren meine ersten Ölfarben schenkten.“ Bis heute habe er mehr als 1.000 teils erotische Ölgemälde geschaffen, so der Künstler. Damit die Werke richtig zur Geltung kommen, sind sie stets in Gebäuden untergebracht, die selbst der Wirklichkeit entrückt sind. So auch im Museum am Petřín, das mit seinen Grottenwänden zugleich Wohnhaus des Künstlers ist. Er lebt zwischen seinen bunten Bildern, umgeben von zahllosen Plastiken kleiner Gnome und Trolle.
Auf den Leinwänden bildet er die Landschaften seiner Träume und Vorstellungen ab. „Meine Bilder“, findet der Maler, „haben ihre Vorläufer bei Hieronymus Bosch“. Die unheimlichen Werke des niederländischen Malers haben durch die Fantasiegestalten einige Gemeinsamkeiten mit denen des Pragers. Doch im Gegensatz zu den abstoßenden Kreaturen des Renaissance-Visionärs, die die Hölle auf Erden zeigen, sind die Bilder Reons friedvoll beseelt. Die Arbeiten mit den Drachen und Zentauren wirken auf den ersten Blick wie infernalische Höllenvisionen und Walpurgisnächte. Doch der Schein trügt – die Wesen lächeln. Sie sind mit sich und der unwirtlichen Welt im Reinen.
Aus dem Asyl ins Museum
Trauer oder Schmerz sind auf den Bildern nicht zu sehen. Weltliche Probleme fanden nie Eingang in Reon Argondians Kunst, obwohl es durchaus Schicksalsschläge gab. 1968 verließ er als 20-Jähriger die Tschechoslowakei, er ließ seine Familie zurück, um in Freiheit zu leben. Zunächst fand er in der Schweiz politisches Asyl, bevor er in Frankreich Fuß fasste. Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus genoss er unerwartet großen Erfolg in Tschechien. Zu einer Ausstellung im Klementinum kamen seinen Angaben zufolge knapp 40.000 Besucher. Das war der Startschuss für das eigene Museum, direkt an der Karlsbrücke, das auch der Grund war, aus der Abgeschiedenheit der Bretagne dauerhaft zurückzukehren.
Mehrere Tonnen Gips und Ton verarbeitete er, um sich eine dauerhafte Grotten-Residenz in seiner Heimatstadt zu schaffen. Dass ihm dabei wieder einmal seine Töpferfertigkeiten zugute kamen, ist eine Ironie der Geschichte: „Das Töpfern lernte ich im Sozialismus, das war das einzige, was ich ausüben durfte, es war mein Schicksal.“
Doch die neue Welt hielt nur wenige Jahre. Probleme mit der Vermieterin zwangen den Künstler 2001, das Mammutprojekt aufzugeben. Er schuf seine bisher letzte Höhle auf dem Petřín, zu deren Besuchern große Künstler zählen, wie Reon Argondian berichtet. Neben der englischen Rockband Led Zepplin habe die Grotte sogar der Schweizer Künstler HR Giger betreten, der Mann, der die Kulissen für den Film „Alien“ schuf. Giger ist für den Prager zwar ein Bruder im Geiste, gruseln soll sich in Argondians Grotte aber niemand. Seine Welten blieben freundlich. „Es ist wie im Theater“, sagt er, „was hinter der Bühne ist, sieht der Zuschauer nicht.“
Die Grotte hat täglich von 11 bis 22 Uhr geöffnet. Zu erreichen ist sie über die Seilbahn am Laurenziberg (Station Nebozízek). Eine weitere Ausstellung wird demnächst in Görlitz in der Galerie „Alena“ eröffnet.
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