Ein Leben in der Skulptur
Der Schweizer Künstler Mark Divo pendelt seit neun Jahren zwischen Zürich und der tschechischen Hauptstadt. In Prag will er seine Galerie „the solution“ etablieren
4. 2. 2015 - Text: Stefan WelzelText und Foto: Stefan Welzel
Motoráček und Růzenka bemerken den Gast als Erste und stürmen gleich auf ihn zu. Die französische Bulldogge und ihr Mischlingsjunges durchdringen mit ihrem Knurren und Bellen die sanften Klänge der Musik von Sophie Hunger. Ihr Herrchen sitzt im karierten Pullover an seinem Arbeitstisch, mit altmodischer Hornbrille auf der Nase und Zigarette im Mundwinkel.
Mark Divo ist ein konzeptioneller Querdenker, der in Prag und Umgebung seine bewohnten Skulpturen erschafft und präsentiert. Zugleich fördert er die sogenannte „off-space“-Szene, die sich außerhalb des kommerziellen Kunstbetriebs bewegt. Mit seiner Galerie „the solution“ im Stadtteil Vršovice wagt Divo den ungewöhnlichen Spagat zwischen öffentlichem Wohnzimmer, Kunstwerk, Diskussionsraum und Begegnungsstätte.
„Es sind seit vielen Jahren die gleichen Werke, die ich immer bei mir habe, eine Art lebenslange Sammlung, die ständig erweitert wird“, erklärt der 49-Jährige das Dekor seiner „bewohnten Skulptur“. Auf die Frage, was in dem Raum denn nun Kunstobjekt sei, antwortet Divo entschieden: „Alles. Es ist ein Gesamtkunstwerk.“ Es gehe ihm darum, eine „soziale Skulptur“ zu schaffen, um Interaktion und stetige Veränderung. Divo lehnt sich dabei an Joseph Beuys’ Konzept mit dem gleichen Namen an. „Ich führe es einfach noch etwas weiter“.
Konkret heißt das, dass Divo in „the solution“ klassische Aufgaben eines Galeristen übernimmt, den Ort aber auch für alle möglichen Formen des gesellschaftlichen Zusammenseins öffnet. Im hinteren Bereich entsteht derzeit ein Aktionsraum, wo unter anderem Konzerte stattfinden sollen. Seit Mitte September ist „the solution“ in Betrieb, bisher kuratierte Divo ein halbes Dutzend Ausstellungen. Und er organisiert regelmässig das „critical dinner“, wo Kunstinteressierte und -schaffende zusammen kochen und sich austauschen. Außerdem dient die „soziale Skulptur“ einmal in der Woche als Proberaum für einen Kinderchor aus der Nachbarschaft. Ganz im Sinne Beuys wird der Kunstbegriff damit nicht mehr nur auf das materiell fassbare Artefakt beschränkt.
Anfänge in Berlin
Der Schweizer Künstler begann seine Laufbahn in den späten achtziger Jahren in Berlin, damals in erster Linie noch als Veranstalter von Kulturhappenings in besetzten Häusern. Dann schuf der ehemalige Publizistikstudent eigene Installationen. Nach dem Umzug zurück in seine Heimatstadt Zürich machte er mit der Besetzung des „Cabaret Voltaire“ im Jahr 2002 Schlagzeilen. Als politisch engagierter und inzwischen auch international etablierter Künstler verwies er auf das Problem ungenutzten und leer stehenden Kulturraums.
Seit rund neun Jahren inspiriert Divo nun auch die tschechische Kunstszene mit seinen Ideen. In Kolín nahe Prag baute er 2008 das „D.I.V.O. Institute“ auf, ein Kulturhaus mit einem „Artists in residence“-Programm. Künstler erschaffen ihre Werke dort direkt am und im Haus. Die Ausstellungen werden so zu begehbaren Installationen. Auch der ehemalige unabhängige Präsidentschaftskandidat und Kulturschaffende Vladimír Franz stellte schon in Kolín aus.
Divos bewohnte Skulpturen sind überfrachtet und unübersichtlich. Damit stellt er sein Schaffen der zeitgenössischen Kunst mit ihren oft minimalistischen, klaren Strukturen entgegen. Bei Divo kontrastiert bürgerlicher Biedermeier-Kitsch mit Bildern aus Dutzenden von Putzschwämmen. Die schiere Masse an Objekten führt zur gegenseitigen Relativierung. „Damit werden sie so neutral wie Campbell’s Suppendosen von Warhol“, erklärt Divo. Wer will, kann das als Kritik an der westlichen Überflussgesellschaft deuten. Hier klingt der alte Linksaktivist durch. „Obwohl ich denke, dass diese grobe politische Einteilung in links und rechts gar nicht mehr funktioniert“, so der Weltenbummler.
Verlogene Provinz
Divo lebte, wirkte und stellte auch in Weltstädten wie New York oder London aus. In der tschechischen Hauptstadt fand er ein ziemlich kleine „off-space“-Szene vor. Die Überschaubarkeit ist es jedoch, die Divo gefällt. Es sind letztendlich die zwischenmenschlichen Beziehungen, die ihm Freude bereiten. Divo findet die Künstler, die er kuratieren will, im persönlichen Umfeld, in seinem gut ausgebauten Netzwerk hier, in der Schweiz und der ganzen Welt. Zur Szene in Prag sagt er: „Es wird internationaler. Aber die tschechischen Künstler sind oft etwas provinziell veranlagt.“ Zum Beispiel das Café Sladkovský um die Ecke ist ein solcher Szenetreff. „Dort bewegen sich aber immer die gleichen Leute, fast schon Tag für Tag trinken sie sich das Gehirn weg und machen auch noch einen Kult daraus“, so Divo. Künstlerisch produktiv seien da doch nur die wenigsten.
Was Divo jedoch auffällt, sind die hohen technischen und handwerklichen Fähigkeiten der einheimischen Künstler. „Man merkt schon, dass die Stadt einige Kunstschulen auf höchstem Niveau beheimatet.“ Trotzdem: Einen nennenswerten klassischen, lebendigen Kunstmarkt für zeitgenössische Kunst von europäischem Rang existiert in Tschechien seiner Ansicht nach kaum.
Hierin unterscheidet sich Prag deutlich von Zürich, ansonsten lassen sich die beiden Städte durchaus vergleichen. „Es ist nicht so eine Megapolis wie zum Beispiel New York. Es ist intimer. Vor allem hier in dem Stadtteil“, so Divo. Er hebt vor allem die Architektur, ihre reiche Geschichte und die Lebensqualität in Prag heraus.
In der Künstlerszene werde viel Lokalpatriotismus zelebriert, was nicht unbedingt der beste Aspekt sei, er zeuge im Gegenteil eher von Borniertheit. Leider herrsche hier, ähnlich wie in Deutschland oder Österreich, sehr viel sozialer Neid. Mit dieser Eigenschaft der Tschechen hat Divo so seine Mühe. Doch eben weil die tschechische Gesellschaft eher konservativ sei, gäbe es auch zahlreiche Nischen, die das Leben vor allem in Prag so spannend machen. „Irgendwie mag ich die altmodisch-biedere Verlogenheit und das Provinzielle, das zieht mich an.“
Mehr Informationen zu Aktionen und Ausstellungen in Mark Divos Galerie unter www.thesolution.cz
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