Legenden der Straße

Legenden der Straße

Stadtbibliothek präsentiert internationale Ausstellung für Street Art und Graffiti

3. 10. 2012 - Text: Sabina PoláčekText: Sabine Poláček; Foto: městem posedlí

„Bald ist es zwanzig Jahre her, als ich das erste Mal auf die Sprühdose drückte. Ich war 13 Jahre alt“, erinnert sich der Graffiti-Künstler mit dem Writer-Namen Pasta Oner, der damals unzählige Kilometer durch das nächtliche Prag lief und die Wände besprühte. „Während die meisten Altersgenossen schliefen, beobachteten wir Sprayer von Dächern und Schornsteinen aus das Flimmern der Stadt. Wir entdeckten Orte, die der Großteil der Menschen nie betreten hat.“ Das Leben, das er führte, weckte in ihm Gefühle, die er eng mit der Straße verbindet. Gerade dieses „Adrenalin“ will Kunsthistoriker Radek Wohlmuth, Kurator der Ausstellung „Městem posedlí“ (zu Deutsch: „Von der Stadt besessen“), den Besuchern näher bringen.

Am 10. Oktober eröffnet in der Prager Stadtbibliothek die internationale Ausstellung für Street Art und Graffiti; die Schirmherrschaft hat der Prager Magistrat übernommen. „Městem posedlí“ präsentiert zahlreiche Werke tschechischer und ausländischer Künstler wie etwa aus Deutschland, Frankreich, USA und Polen. „Es handelt sich um eine kontroverse, atypische Ausstellung, da sich Graffiti eigentlich immer auf der Straße und oft in der Illegalität bewegt“, sagt Wohlmuth. Die so genannten Writer wollen auf der einen Seite kein Teil des offiziellen Kunstbetriebs sein. „Auf der anderen Seite unterstreichen gerade die städtischen Galerieprojekte den künstlerisch hohen Wert ihrer Arbeiten.“

Um der Street Art- und Graffiti-Kunst mehr Authentizität zu verleihen, werden die Bilder und Installationen nicht als fertige Gegenstände in der Stadtbibliothek gezeigt. Die Besucher sollen vielmehr durch verschiedene Aktionen – auch an anderen Orten außerhalb der Stadtbibliothek – das Schaffen eines Künstlers hautnah beobachten können und mehr über die Techniken wie Tagging oder Bombing erfahren. Einer dieser Künstler ist Pasta Oner, der mit anderen drei Akteuren bereits eine Hauswand in der Národní třída gestaltete, um auf dieses Kunstereignis aufmerksam zu machen.

Neue Impulse für die Stadt
Obwohl bereits 2008 das internationale Street-Art- und Graffiti-Festival „Names“ in Prag stattfand, wo diese Ausdrucksform zum ersten Mal der breiten Öffentlichkeit gezeigt wurde, gilt die internationale Ausstellung „Městem posedlí“ als erste ihrer Art, da die Werke in einem prestigeträchtigeren Umfeld präsentiert werden. Einige der rund 40 Künstler, die damals am Festival teilnahmen, sind auch dieses Mal dabei. „Es handelt sich nicht um Laien, sondern um Legenden. Es sind erfahrene Künstler, die die Writer-Szene wesentlich beeinflusst haben und deren Objekte eine hohe Qualität aufzeigen“, betont Kurator Wohlmuth. Dazu zählt zum Beispiel auch Point, der in Galerien unter seinem bürgerlichen Namen Jan Kaláb auftritt und die Ausstellung „Městem posedlí“ konzipierte. Kaláb gehört zu den Mitbegründern der tschechischen Graffiti-Szene. Zudem ist er einer der wenigen, der einen Abschluss der Kunsthochschule vorweisen kann. Und es war auch Kaláb, an den die Prager Stadtverwaltung herantrat, um ein Konzept für diese Ausstellung zu entwickeln. „Ohne den Mut und ohne die Begeisterung der jungen Leute würde die Stadt langweilig bleiben, ohne neue Impulse“, sagt die Stadträtin Aleksandra Udženija (ODS). „Dennoch müssen für alle Fassaden-Projekte Genehmigungen eingeholt werden.“

Doch was nützt eine Genehmigung, wenn Gegner der Aktion auf die Barrikaden gehen wie etwa im Fall der Nusle-Brücke (Nuselský most), die in den siebziger Jahren errichtet wurde. Zur Ankündigung der Ausstellung „Městem posedlí“ sollten die acht Pfeiler des so genannten „Nuselák“ von den Graffiti-Künstlern in Szene gesetzt werden. Dazu kam es jedoch nicht. Zu groß war der Protest seitens des Architekten Stanislav Hubička, der Graffiti als „unwürdig“ empfand, und seitens der Denkmalschützer, die den Zustand der Betonoberfläche gefährdet sahen. „Außerdem rechnete man von Anfang an damit, dass unsere Bemalungen mit der geplanten Restaurierung der Brücke verschwinden“, so Pasta Oner, der in den Anfängen mit Jan Kaláb alias Point das erste Radioprogramm rund um Graffiti und Street Art gründete.

Dennoch könnte die Ausstellung „Městem posedlí“ mit ihren verschiedenen Aktionen zum Publikumsmagnet werden. Schließlich bringt sie den Besuchern Kunstformen näher, mit denen sie laut Wohlmuth nicht vertraut sind. „Die Ausstellung bietet den Besuchern die Chance, Graffiti wertzuschätzen und sie nicht gleich als Schmiererei oder Sachbeschädigung abzustempeln.“

Městem posedlí, 10. Oktober 2012 bis 13. Januar 2013, Rahmenprogramm: Městská knihovna (Mariánské náměstí 1/98, Prag 1), Vorträge und Aktionen der Künstler finden an unterschiedlichen Orten statt, mehr Infos unter www.mestemposedli.cz und www.taktum.cz