Hilfe für tschechische Kinder in Not
Bürgerinitiative aus Bärnau in der Oberpfalz unterstützt seit 25 Jahren Heime und Waisenhäuser in Böhmen
18. 2. 2015 - Text: Klaus HanischText: Klaus Hanisch; Foto: privat
Die vielen Hilfsgüter lagern in einem Abstellraum, den die örtliche Sparkasse zur Verfügung gestellt hat. Drei Frauen sortieren sie vor und ordnen zu. „Trainingsanzüge und Hausschuhe für Milíře“, legen sie fest, „Bettwäsche und Kinderwagen nach Plesná.“ Ihre Spenden könnten die Helferinnen auch in andere Orte im Nachbarland liefern. Denn Bedarf dafür hat ihre Initiative „Hilfe für tschechische Kinder in Not“ überall gesehen.
Tschechien und Not? „Ja“, sagt Ingrid Meinzinger, „und die Verhältnisse sind in den letzten Jahren eher schlimmer geworden.“ Der deutsche Nachbar, schon lange ein geachteter Partner in der Europäischen Union, und trotzdem auf einer Stufe mit Weißrussland oder Moldawien? „Als wir zum ersten Mal in ein tschechisches Kinderheim kamen und unsere Spenden ablieferten, sagten sie uns dort, das sei so, als ob Weihnachten und Ostern auf den gleichen Tag fallen würden“, blickt Meinzinger zurück.
Seit Jahren ist es dasselbe Problem. „Natürlich haben sie genug zu essen, aber dafür fehlt es an vielen anderen Dingen“, erklärt die Helferin aus der Oberpfalz, „die Heime bekommen einfach zu geringe Zuschüsse vom Staat. Manche sind sogar von Schließung bedroht. Durch unsere Hilfe sparen sie Geld, das sie für etwas anderes sinnvoll ausgeben können.“
Seit 25 Jahren unterstützt die Bürgerinitiative nun Heime im tschechischen Nachbarland. Sie ist in Bärnau zu Hause, einer Stadt in Bayern mit kaum mehr als 3.000 Einwohnern.
Schon davor halfen die Bärnauer. In den achtziger Jahren holten sie Kinder aus verseuchten Gebieten rund um das explodierte Atomkraftwerk Tschernobyl in ihre kleine Stadt. Viermal ermöglichten sie ihnen erholsame Ferienwochen an frischer Luft. Außerdem unterstützten sie einen Konvoi, der einmal jährlich mit Hilfsgütern in die Ukraine fuhr. Danach knüpften die Privatleute Kontakte zu tschechischen Waisen-, Kinder- und Mutter-Kind-Heimen. Denn Bärnau liegt im Landkreis Tirschenreuth nur ein paar Kilometer von Tschechien entfernt.
„Eigentlich wollten wir deutschen Heimen helfen, aber dort wollten sie keine Kleidung oder andere Sachspenden, sondern nur Geld“, wundert sich Meinzinger noch heute. So stießen sie und die anderen Helfer zunächst auf das Kinder- und Waisenhaus in Plesná mit etwa 50 Kindern. „Wir haben einfach eine Ladung mit Hilfsgütern rübergebracht“, erinnert sie sich, „und die haben sich riesig darüber gefreut.“ Anschließend kamen ein Heim für Behinderte in Milíře und ein Säuglingsheim dazu.
Herzliches Verhältnis
Wobei der Beginn abenteuerlich verlief. „Wir mussten unsere Waren in den Fahrzeugen verstecken und anfangs richtig schmuggeln“, schmunzeln die Helfer. Denn tschechische Zöllner vermuteten unseriöse Machenschaften hinter ihren regelmäßigen Transporten. „In der ersten Zeit war uns schon ein bisschen mulmig zumute“, so die Helfer, „doch irgendwann haben sie uns gekannt und dann ist es besser geworden.“ Außerdem hatte man sich in den vielen Jahren direkt am Eisernen Vorhang schon ein dickes Fell zugelegt.
Die Hilfe aus Bayern führte zu sichtbaren Erfolgen. „Es hat sich in den letzten Jahren viel verändert“, stellt Ingrid Meinzinger fest und nennt das Heim in Milíře als Beispiel. „Es war früher eine russische Kaserne, grau, die Bettgestelle rostig, die Fenster ohne Vorhänge“, blickt sie zurück, „und jetzt hat es sich wunderbar entwickelt.“
Das Bettzeug stammt nun aus Bärnau, ebenso die Vorhänge. „Die Verantwortlichen erklären uns immer wieder, dass wir ihnen schon so viel geholfen hätten und immer noch helfen“, freut sich Meinzinger. Ein Dank, der zu weiteren Hilfsaktionen anspornte. Nach den ersten Fahrten kam das Bistum Pilsen auf den Bärnauer Kreis zu. Seitdem unterstützt er mehrere Heime in Pilsen, Klatovy und Havlovice.
Kürzlich fuhren auch Mitarbeiter der Caritas aus Pilsen in Bärnau vor. Sie übergaben die Güter später an Kinder- und Mutter-Kind-Heime ihrer Organisation in der Diözese Pilsen, die zentral vom Haupthaus mit den notwendigsten Mitteln versorgt werden.
Nach dem Verladen setzten sich die Vertreter der Caritas mit den Bärnauer Unterstützern noch zu einem Gespräch zusammen, um Bedürfnisse und Sorgen zu erläutern. Ganz dringend würden gut erhaltene Betten und Bettwäsche, Säuglings- und Kinderkleidung benötigt, erfuhren die Bayern dabei. Dass diese Helfer damit einem großen Kreis von wirklich Hilfsbedürftigen unter die Arme greifen, stellten die Tschechen erneut heraus.
Insgesamt unterstützen sie mittlerweile fast ein Dutzend Heime in Tschechien. Besonders eng ist mittlerweile der Kontakt zum Kinderheim in Plesná, in dem Mädchen und Jungen ab dem dritten Lebensjahr wohnen.
Mehrfach im Jahr fahren die bayerischen Helfer dorthin. An Ostern übergeben sie nicht nur Schuhe, Sportsachen oder Fahrräder, sondern auch viele Osterhasen. „Zwischen uns und den Kindern und ihren Betreuern hat sich ein herzliches Verhältnis entwickelt“, versichern die Bärnauer. Besonders deutlich wird das beim Sommerfest, bei dem sie die Kinder jedes Jahr nicht nur versorgen, sondern auch unterhalten. Dann stehen nicht nur Bratwürste, Kaffee und Kuchen auf dem Programm. „Wir waren schon gemeinsam im Prager Zoo oder in einem Park bei uns in Bärnau“, erinnert sich Meinzinger. Zuweilen werden an diesem Kindertag Luftballons aufgeblasen, an die jeweils ein Zettel mit dem Namen eines Kindes angebunden wird. Dann lässt die Gruppe sie gemeinsam in den Himmel aufsteigen. „Das bereitet den Kindern immer besondere Freude“, haben die Bärnauer beobachtet. Dafür revanchieren sie sich im Laufe des Nachmittags mit verschiedenen Tänzen unter Anleitung eines Tanzlehrers.
Fleißige Hände
Kurz vor Weihnachten kommen die Helfer mit mehreren voll beladenen Fahrzeugen, bestückt mit Spenden aus dem gesamten Landkreis Tirschenreuth. Und sie haben nicht nur Kleidung oder Bettwäsche dabei, wie üblich. Vielmehr erhält jedes Kind dann auch ein liebevoll verpacktes Weihnachtspäckchen. „Für die Kinder sind diese Weihnachtsüberraschungen immer etwas ganz besonderes“, erzählen die Bärnauer, „denn viele von ihnen haben noch nie zuvor ein eigenes Päckchen bekommen.“
Die Bärnauer Hilfsinitiative besteht, wie in vergleichbaren Fällen üblich, nur aus wenigen Mitgliedern. Neben Ingrid Meinzinger rufen Gretl Schwägerl, Gerlinde Weigl, Waltraud und Erich Lang immer wieder zu Spenden für Tschechien auf. Und sie bleiben nicht ungehört. „Es hat sich herumgesprochen“, fasst Meinzinger knapp zusammen. Ein großer Kreis von Spendern aus einem Umkreis von bis zu 40 Kilometern unterstützt ihre Aktionen. Viele regelmäßig. Manchmal auch mit kleineren Geldbeträgen. „Zweimal sogar 1.000 Euro“, so Meinzinger.
Fleißige Hände aus einem Helferkreis greifen zusätzlich zu, wenn die Spenden zu „verarbeiten“ sind. Mit Spendenaktionen oder durch die Teilnahme an Weihnachtsmärkten versucht die Initiative, weiter Not zu lindern. Geholfen haben immer nur private Spender. Unterstützt wird die Initiative lediglich bei Formalien durch die Stadtverwaltung.
Gab es Reaktionen durch die Politik, vor Ort oder auf höherer Ebene? „Nein“, lacht Ingrid Meinzinger kurz und erstaunt. Kein Dank von deutschen Politikern. Auch nicht von tschechischen. Immerhin eine Ehrenmedaille der kleinen Stadt Bärnau erhielt die Initiative für ihren unermüdlichen Einsatz. „Wir haben all die Jahre mehr oder weniger im Untergrund gearbeitet“, merkt Meinzinger ironisch an. Einmal habe jemand von ihnen den Bischof in Regensburg angeschrieben. Er habe geantwortet, die Kirche könne nichts geben. Aber: „Er hat uns eine Geldspende überwiesen, 200 Euro, privat von seinem Geld“, blickt Meinzinger zurück.
Zuweilen veranstalten andere für sie Sammelaktionen. Wie die Grundschule und Pfarrei in Altenstadt. Oder die Frauen-Union in Plößberg. Sie trugen viele und oft fast neue Sachen zusammen, die mehrere Transporter füllten. Bei Spendenaufrufen weisen die Bärnauer immer wieder darauf hin, dass vor allem Baby- und Kinderkleidung bis zu 18 Jahren sowie Bettwäsche, Matratzen, Schul- und bestimmte Spielsachen benötigt werden. Außerdem Fahrräder, Geschirr, Baby-Nahrung, Windeln und Hygiene-Artikel, Kinderbetten und -wagen, Schultaschen, Reisetaschen, Koffer oder Haushaltsartikel. Für nötige Anschaffungen hofft die Initiative auch auf finanzielle Unterstützung. So benötigt sie für die Mutter-Kind-Heime auch Erwachsenenkleidung bis Größe 40, neben der Kleidung für Kinder und junge Leute bis 18 Jahren.
Ist ihre Hilfe eines Tages nicht mehr notwendig? Das können sich die Bärnauer derzeit nicht vorstellen. „Seit kurzem hat das Heim in Plesná eine neue Direktorin und sie hat uns sogleich darum gebeten, bei ihnen zu bleiben und weiter zu helfen“, so Meinzinger.
Der Dank dafür? Die große Freude der Heimleitungen, der Kinder und Mütter. „Wenn Sie einmal die leuchtenden Kinderaugen gesehen haben, wird Ihnen klar, dass die Hilfe nicht erlahmen darf“, sagen die Bärnauer.
„Online-Medien sind Pioniere“
Kinderwunsch nicht nur zu Weihnachten