„Aus der Krankheit ist eine Epidemie geworden“
Auf dem tschechischen Weinmarkt wird seit Jahren gepanscht und gefälscht. Jetzt will der Staat eingreifen – diskutiert wird auch ein Verbot des Fasswein-Verkaufs. Ein solcher Schritt würde tausenden Weinhändlern die Existenz kosten
26. 2. 2015 - Text: Ivan DramlitschText und Foto: Ivan Dramlitsch
Ähnlich wie viele seiner Mitbürger begegnet Viktor Juliš der Politik mittlerweile mit Gleichgültigkeit. Was im Prager Parlament und in den Parteizentralen so vor sich geht, interessiert den Weinladenbesitzer kaum noch. Doch die Meldung von vergangener Woche, wonach das tschechische Landwirtschaftsministerium erwägt, den Verkauf von Fasswein („sudové víno“) zu verbieten, löst bei dem Endvierziger deutliche Nervosität aus. „Natürlich geht mir das an die Nieren. Über die Hälfte meines Umsatzes mache ich mit Fasswein. Wenn das verboten wird, kann ich den Laden dichtmachen“, so der Vater von vier Kindern. Ähnlich wie Viktor Juliš geht es tausenden anderen Weinhändlern in der Republik, denen das Fassweingeschäft die Existenz sichert.
50 Millionen Liter Schwarzimporte
Die „Sudovka“, wie sie von den Tschechen genannt wird, ist beim Kunden äußerst beliebt. Der Händler zapft dabei den Rebensaft direkt aus dem „Keg“, einem Mehrwegfass, in eine Plastikflasche oder ein anderes mitgebrachtes Gefäß. Im Schnitt kostet der Liter rund 1,80 Euro – billiger ist Wein in Tschechien kaum zu bekommen. Zum gehobenen Weingenuss sind diese Schoppen freilich nicht geeignet. In der Regel handelt es sich um anspruchslose Zechweine, bestenfalls um solide Tafelweine. Überhaupt sind an der allgemeinen Qualität der Fassware mittlerweile berechtigte Zweifel angebracht: Laut Daten der Staatlichen Lebensmittelinspektion (SZPI) ist Fasswein eines der am häufigsten gefälschten landwirtschaftlichen Produkte.
Bei 471 Kontrollen sind im vergangenen Jahr ein Drittel der Proben durchgefallen. Dazu gehören einerseits gepanschte Weine – mit Wasser verdünnte, mit Glycerin aufgesüßte oder mit kräftig Ascorbinsäure, teilweise oberhalb des gesetzlichen Grenzwertes, haltbar gemachte Schoppen. Zum anderen wird die Herkunft verschleiert: Billigste Ware aus Mazedonien, Ungarn oder Spanien wird dabei als mährisch deklariert. Und oft passiert beides. Schätzungen gehen von jährlich etwa 50 Millionen Litern solcher Schwarzimporte aus.
Dass mit dem tschechischen Weinmarkt etwas nicht in Ordnung ist, pfeifen die Spatzen allerdings nicht erst seit gestern von den Dächern. Kenner der Branche beobachten schon seit Jahren, dass gepanscht und gefälscht wird, und betroffen ist nicht nur der Fasswein-Markt. „Das ist ein Problem, das den Keller des Kleinwinzers genauso betrifft wie die Mega-Produzenten und die großen Namen auf unserem Weinmarkt. Aus einer Krankheit ist längst eine Epidemie geworden“, beklagt Jan Čeřovský, Tschechiens bekanntester Weinblogger und intimer Kenner der Szene. Seit Jahren prangert er in seinen Artikeln die Missstände im tschechischen Weingeschäft an; bisher mit nur wenig Erfolg. Einem möglichen Fasswein-Verkaufsverbot steht er trotzdem skeptisch gegenüber: „Das ist viel zu einfach und wird deshalb nicht funktionieren. Nach außen macht das vielleicht Eindruck, ein paar Leute da oben werden sich auf die Schultern klopfen und in Medien Reden schwingen, dass die Weinhändler dieses Opfer für ein höheres Ziel eben bringen müssten. Und die Wein-Mafia wird fröhlich weitermachen“, so Čeřovský.
Gefährdeter Markt
Winzer Marek Vybíral ist Chef und Eigentümer des renommierten Familien-Weinguts „Krásná hora“. Die Weinaffäre betreffe ihn nicht direkt, denn es gehe dabei ausschließlich um die „billigsten und minderwertigsten Weine“ auf dem Markt. Dennoch ist er überzeugt, dass etwas geschehen muss, wiewohl er ein Verbot von Fasswein ebenfalls für falsch hält: „Diese Dinge gefährden den Markt als Ganzes, deshalb muss gehandelt werden. Ein totales Verbot will eigentlich keiner. Es geht um mehr Kontrolle. Und da gibt es verschiedene Möglichkeiten.“ In der Tat ist in der Sache noch keine Entscheidung gefallen. Der Gesetzentwurf des Ministeriums schlägt mehrere Varianten vor; eine will den Fassweinverkauf auf den Winzer (ab Hof) beschränken, in einem anderen werden Gebinde diskutiert, die fälschungssicher sind, außerdem werden strengere und rigidere Kontrollen und Sanktionen empfohlen. Diskutiert werden auch Modelle wie lizenzierte Verkaufsstellen mit klar zuzuordnender Verantwortlichkeit.
Dass die Sache mit dem Fasswein an manchen Stellen stinkt, gesteht auch Weinhändler Juliš ein. Deshalb hat er gegen mehr Kontrolle und härtere Strafen nichts einzuwenden. „Ich bekomme meine Fässer direkt vom Winzer, den ich kenne und dem ich vertraue. Da stehe ich hundertprozentig dahinter, und habe vor Kontrollen keine Angst. Die Panscher und Fälscher gehören natürlich aus dem Verkehr gezogen. Ein Verbot von Fasswein ist aber grober Unfug – da stecken doch die Großproduzenten dahinter“, echauffiert sich der Weinhändler.
Runder Tisch geplant
Der Hinweis auf die sogenannten Großproduzenten kommt nicht von ungefähr. Tatsächlich lohnt es sich der Frage nachzugehen, wem ein Fasswein-Verbot am meisten nutzen würde. Und Juliš ist nicht der einzige in der Branche, der dabei auf die „Weinfabriken“ zeigt; jene Erzeuger, die jährlich Millionen Flaschen möglichst preiswert auf den Markt werfen. Dazu muss man wissen: Rund 70 Prozent sämtlichen Weines wird in Supermärkten und Discountern abgesetzt – mit dem entsprechenden Preisdruck seitens der großen Ketten. Gefragt ist möglichst viel Ware für möglichst wenig Geld. Während jedoch der Weinkonsum insgesamt steigt, stagniert der Flaschenverkauf im Supermarkt und Discounter – ein deutliches Indiz dafür, dass sich der Billigwein-Markt Richtung Fassware verschiebt. Eine Entwicklung, die den großen Flaschenproduzenten nicht behagt, man kämpft hier um die gleiche Zielgruppe.
Mitte März soll ein großer Runder Tisch unter der Leitung der Regierung konkrete Maßnahmen beschließen, um verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen, noch bevor es zum großen Knall kommt. Denn was passieren kann, wenn einer ganzen Branche flächendeckend das Vertrauen entzogen wird, zeigt das Beispiel Österreichs. Im Zuge der Glykol-Affäre in den achtziger Jahren brach der dortige Weinmarkt komplett zusammen und brauchte zehn Jahre, um wieder auf die Beine zu kommen. Ein solches Szenario wünscht sich in Tschechien niemand.
„Online-Medien sind Pioniere“
Kinderwunsch nicht nur zu Weihnachten