Im Spiegel der Revolution
Das „Internationale Festival des deutschen Filmerbes” untersucht die Auswirkungen von 1968
5. 3. 2015 - Text: Peter HuchText: Peter Huch; Foto: K. Vachek
Wie hat sich der gesellschaftliche Umbruch 1968 auf das Genre des Dokumentarfilms ausgewirkt? Wo sind die Verbindungspunkte zwischen Franz Josef Strauß, RAF-Terrorismus, Anti-Springer-Protesten und dem banalen Arbeitsalltag im Kaufhaus?
Das Kino Ponrepo versucht mithilfe des „Filmfestival des deutschen Filmerbes” von Donnerstag bis Montag, 12. bis 16. März Antworten auf solche und ähnliche Fragen zu finden. Das Motto der Doku-Tage mit sechs Langfilmen und einem Kurzfilmabend lautet „proti? veřejnost!” („Gegen? Öffentlichkeit!“).
Eröffnet wird es mit einem Kurzfilmblock unter dem Titel „Osmašedesátý – jak filmovat revoluci?“ („68 – wie filmt man eine Revolution?”). Gezeigt werden dabei vier Werke aus den Jahren 1968 und 1969. In Helma Sanders-Brahms „Angelika Urban, Verkäuferin, verlobt” taucht der Zuschauer in das Leben einer 20-jährigen Kölner Waren-hausverkäuferin ein. Sie verdient im Monat knapp 400 Mark und sucht ihre finanzielle Sicherheit in der Ehe, die jedoch noch im selben Jahr geschieden wird. Das Arbeitsleben im modernen Einkaufszentrum mit dem immer gleichen Tagesablauf und der sozialen Entfremdung zehrt an ihrem Seelenheil.
So kritisch, dass ARD und ZDF sich weigerten, sie auszustrahlen oder auch nur Filmmaterial zur Verfügung zu stellen, war 1980 die Anti-Strauß-Doku „Der Kandidat”. Regie führte ein Kollektiv um Volker Schlöndorff, Alexander Kluge und Stefan Aust. Gemeinsam folgten sie dem damaligen CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß, dem Bayern zu klein wurde und der als Bundeskanzler die Geschicke der Republik lenken wollte. Für seinen von Ausschreitungen begleiteten Wahlkampf, bei dem der ehrgeizige Metzgersohn gegen den Sozialdemokraten Helmut Schmidt antrat und bekanntlich verlor, tingelte er von Kameras begleitet durch die Provinz. Finanziert wurde das kritische Porträt hauptsächlich vom damaligen Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein, dem zuvor eine Recherchearbeit gegen Strauß und dessen Atompolitik eine Verhaftung wegen Landesverrats einbrachte.
Der Beitrag „Nový Hyperion aneb Volnost, rovnost, bratrství” („Neues Hyperion, oder Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit”) aus dem Jahr 1992 von Karel Vachek beschäftigte sich mit der Transformationszeit in der Tschechoslowakei nach dem Ende des Kommunismus. Vachek zog durch die von Zigarettenrauch vernebelten Prager Kneipen und folgte den Diskussionen bedeutender Persönlichkeiten genauso wie denjenigen der normalen Bevölkerung.
Man sieht unter anderem den frisch zum Präsidenten gewählten Václav Havel, den kontroversen Schriftsteller Egon Bondy oder ehemalige Funktionäre, die sich an das neue Leben ohne Begünstigungen gewöhnen mussten. Für Vachek war es der erste Film nach über 20 Jahren Berufsverbot. Im Zuge der Normalisierung wurde der Regisseur zur Persona non grata und war deshalb genötigt, sich bis Anfang 1990 als Gelegenheitsarbeiter durchzuschlagen.
Ein brisantes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte behandelt die Produktion „Starbuck Holger Meins” von Gerd Conradt. Das verstörende Porträt beleuchtete 27 Jahre nach dem Hungertod des RAF-Mitglieds Holger Meins dessen Lebensumstände und die Entwicklung hin zum militanten Staatsfeind. Wie wurde aus dem ehemaligen Pfadfinder ein Terrorist, obwohl er eigentlich Künstler werden wollte?
Das Festival bietet einen anspruchsvollen Blick auf revolutionäre Zeiten und ihre Protagonisten. Es sind Filme, die dem Zuschauer nicht gefallen wollen, sondern zum Nachdenken anregen.
Mehr Informationen unter www.nfa.cz/cz/kino-ponrepo
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