Honig vom Dach
In Prag leben Bienen auf Einkaufszentren und Bankgebäuden. Imker Jiří Cafourek fährt mit dem Aufzug zu seinen Völkern
15. 4. 2015 - Text: Corinna AntonText und Foto: Corinna Anton
Die Bienen wohnen im siebten Obergeschoss. Der Weg zu ihnen führt durch eine gläserne Schiebetür und den Panoramaaufzug, vorbei an den Büros in der Chefetage, an Männern mit dunklen Anzügen und glänzenden Schuhen. Jiří Cafourek trägt Winterjacke und Turnschuhe, dazu eine Umhängetasche. Optisch passt er nicht in das schicke Bankgebäude im Stadtteil Žižkov. Aber er weiß, wo es zur Dachterrasse geht.
Cafourek ist einer von rund 520 Imkern in Prag – und einer von wenigen, die ihre Bienen auf den Dächern der Großstadt untergebracht haben. Auf dem Gebäude leben vier Völker, um die sich Cafourek kümmert. In den Wintermonaten sind es etwa 10.000 Tiere pro Stock, im Juni und Juli werden es fünf- bis sechsmal so viele sein. „Den Bienen in Prag geht es besser als denen auf dem Land“, sagt der 55-Jährige an einem bewölkten Frühlingsvormittag. Das Brummen der Autos in der Koněvova-Straße übertönt auch in der Höhe noch das Summen der einzelnen Insekten, die sich bei weniger als zehn Grad Celsius schon aus dem Stock wagen.
Die Abgase seien kein Problem, meint der Imker. Sie würden von den Pflanzen gefiltert und nicht ins Bienenhaus gelangen. Außerdem kämen in der Stadt weniger Pflanzenschutzmittel zum Einsatz als auf dem Land. Der Prager Honig sei deshalb genauso gesund wie zum Beispiel der aus dem Böhmerwald. „Viele Leute finden sogar, dass er besser schmeckt als der Honig vom Land“, meint Cafourek und öffnet den obersten Deckel eines der vier Holzkästen. Er zieht eine flache Scheibe heraus. „Das ist das Wabenrähmchen“, erklärt er und kratzt am hellgelben Wachs. Darunter kommt der golden glänzende, flüssige Honig zum Vorschein: „Probieren Sie selbst.“ Er leckt genüsslich seinen Finger ab. Im Durchschnitt esse jeder Tscheche 800 Gramm Honig im Jahr, sagt Cafourek. Er selbst bringe es auf zehn bis 15 Kilo. „Ich mag ihn auf dem Brot, im Kaffee oder Tee oder pur vor dem Schlafengehen.“
Bis an die Moldau
Schmackhaft mache den Prager Honig die Vielfalt der Pflanzen, welche die Bienen hier finden. Denn die ist dem Imker zufolge in der Stadt weit größer als auf dem Land, wo um die Dörfer herum oftmals vor allem Rapsfelder blühen. „Das ist für die Bienen so, wie wenn wir immer nur Reis essen würden. Hier in der Stadt haben sie die Wahl. Sie können in alle Richtungen fliegen und finden überall etwas anderes.“ Die Tiere bewegen sich in einem Radius von bis zu fünf Kilometern, im Idealfall sind es nur zwei. Die Bienen an der Koněvova-Straße in Žižkov sammeln ihren Nektar zwischen dem Vítkov-Hügel mit seinen Ausläufern und dem Parukářka-Park. Wenn sie Durst haben, trinken sie aus der nahen Moldau. Etwa 100 bis 150 Liter Wasser brauche ein Stamm pro Jahr, erklärt Cafourek. Wonach der Honig letztendlich schmecke, das hänge von den Suchbienen ab. Sie erkunden die Umgebung und bringen Geschmacksproben mit in den Stamm.
Wer den Prager Honig kosten möchte, muss wohl noch eine Weile warten. Von den rund 3.500 Bienenvölkern, die in der Hauptstadt umherschwirren, produzierte 2014 jedes etwa 30 bis 40 Kilo der süßen Masse – ein vergleichsweise schlechtes Jahr, sodass die Vorräte schnell aufgebraucht waren. Der Honig von Cafoureks Bienen ist ohnehin unverkäuflich. Er wird mit den Kindern und Jugendlichen, die bei der Ernte helfen, meist direkt verzehrt und an Freunde und Besucher verteilt.
Was Cafourek über Bienen und Honig weiß, hat er sich in den vergangenen Jahren angelesen und von erfahrenen Imkern gelernt. Er arbeitet für eine Werbeagentur und engagiert sich ehrenamtlich in Drogen-Präventionsprojekten. 2008 kam er zufällig mit Prager Imkern in Kontakt und hörte, dass die Kinder in der Stadt keinen Bezug zur Natur mehr hätten. Er wollte das Gegenteil beweisen und gründete, nachdem er einen Schnellkurs für Einsteiger absolviert hatte, einen Imker-Kreis für Kinder und Jugendliche. Das Interesse erfreut den 55-Jährigen. Mittlerweile zählt er in Prag acht solcher Gruppen mit etwa 80 Teilnehmern, in ganz Tschechien sind es 118.
Geschützt vor Vandalen
Auf dem Dach in Žižkov sieht Cafourek etwa einmal pro Woche nach dem Rechten, meist mit den den jungen Imkern, die lernen wollen, wie aus Blüten Honig wird. Die Fläche stellt ihnen die Bank kostenlos zur Verfügung – als Imagekampagne und weil der Direktor die Tiere gern von seinem Fenster aus beobachte, wie Cafourek meint. Zwar sei es nicht immer einfach, einen geeigneten Platz auf einem Gebäude zu finden – die Stöcke sollten vor starker Sonneneinstrahlung und Wind geschützt sein, was in luftiger Höhe schwierig ist. Aber aus seiner Sicht überwiegen die Vorteile: „Hier oben gelangen keine Vandalen hin, es wird nichts beschädigt und nichts gestohlen.“ Außerdem gebe es kaum Beschwerden von Nachbarn oder Müttern, die fürchten, ihre Kinder könnten gestochen werden. Weitere „Bienenstöcke mit Ausblick“ betreuen Cafourek und seine jungen Imker unter anderem auf dem Dach des Einkaufszentrums Chodov in Prag 4. Zuhause in Rakovník, etwa 50 Kilometer westlich von Prag, hat er keine eigenen Völker. „Ich wohne in einem Plattenbau, ich habe nicht einmal einen Garten.“
Das Imkern und die Kurse für den Nachwuchs sind für Cafourek noch immer ein Hobby; damit geht es ihm wie den meisten Kollegen im Land. Nur vier Prozent seien Großimker, die mit mehr als 150 Völkern von der Arbeit mit den Bienen lebten, so Cafourek. Wer als Amateur einsteigen wolle, der brauche nicht viel. Ein Holzkasten koste etwa 2.500 Kronen, ein Bienenvolk rund 2.000 Kronen. Eine Mitgliedschaft in einem Verband sei nicht nötig, nur eine Registernummer laut Veterinärgesetz. „Und es wäre gut, keine Allergie zu haben, aber selbst das ist kein Ausschlusskriterium. Ich kenne Imker, die allergisch sind. Sie müssen sich immer mit Hut und Handschuhen schützen.“ Auch er streift sich einen Imker-Anzug über, bevor er den Bienenstock komplett öffnet, und zündet seine Imkerpfeife an. Weil Bienen ursprünglich nur zwei natürliche Feinde hatten – Feuer und Bären – verwenden Züchter bis heute Rauch, wenn sie sich den Tieren nähern. Der Instinkt der Insekten sorgt dafür, dass sie sich ruhig verhalten, sobald sie Feuer wittern.
Der Rauch wirkt. Als der Imker ein Wabenrähmchen voller Bienen aus dem Holzkasten zieht, bleiben die Tiere auf den Waben sitzen. Der Imker streichelt sie mit der bloßen Hand. Er freue sich schon auf seinen ersten Stich, sagt er mit einem Augenzwinkern. Für die Imker sei das Gift der Bienen „wie Doping“. Im vergangenen Jahr erwischte es ihn etwa 20 Mal. Aber für ein paar Kilo des würzig-süßen Stadthonigs nimmt er das gern in Kauf.
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