Kafka auf Kur
Studenten bringen die Sanatoriums-Aufenthalte des Schriftstellers auf die Bühne – Aufführungen in Prag, Pilsen und Brünn
7. 5. 2015 - Text: Katharina WiegmannText: Katharina Wiegmann; Foto: Boris Blahak
Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, daß er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen. „Es ist möglich“, sagt der Türhüter, „jetzt aber nicht“. Da das Tor zum Gesetz offensteht wie immer und der Türhüter beiseite tritt, bückt sich der Mann, um durch das Tor in das Innere zu sehn. Als der Türhüter das merkt, lacht er und sagt: „Wenn es dich so lockt, versuche es doch, trotz meines Verbotes hineinzugehn. Merke aber: Ich bin mächtig. Und ich bin nur der unterste Türhüter. Von Saal zu Saal stehn aber Türhüter, einer mächtiger als der andere. Schon den Anblick des dritten kann nicht einmal ich mehr ertragen.“ (aus Kafkas „Der Process“)
„Ich bin krank.“ Der schmale dunkelhaarige Mann auf der Bühne hustet. Um ihn herum übertreffen sich die Ärztinnen an Optimismus und im Brustton der Überzeugung, dass die vorgetragenen Vorschläge helfen werden. Diese geballte, lebensbejahende Energie wirkt auf Doktor Franz Kafka offensichtlich eher zusätzlich bekümmernd. Lunge und Gehirn haben sich gemeinsam gegen ihn verschworen, davon ist er überzeugt. Ob ihm überhaupt noch zu helfen ist, daran zweifelt er selbst am stärksten. Dennoch lässt er sich wiederholt zu Sanatoriums-Aufenthalten überreden.
Von den Versuchen, die Lungenleiden des Schriftstellers zu lindern, berichtet das Stück „Kafka auf Kur“ der „Karlstruppe“, dem deutschsprachigen Studententheater der Prager Karls-Universität. Ende April wurde es am Goethe Institut uraufgeführt, drei weitere Vorstellungen gibt es bis Anfang Juni in Prag, Pilsen und Brünn zu sehen. Die Grundlage für die Handlung bilden Textauszüge aus Kafkas Briefen und Tagebüchern sowie der Roman „Der Process“. In einem namenlosen Sanatorium verschmelzen die Fragmente: Der Türhüter, der im „Process“ den Eingang zum Gesetz bewacht, wird zum Bestatter (dargestellt von Tadeáš Cibula), der im Keller der Anstalt die Toten wäscht und den Patienten vermeintliche Auswege aus dem Kampf mit der Krankheit anbietet. Eine wirkliche Heilung, den endgültigen Freispruch aus dem Sanatorium, schließen diese Deals jedoch aus.
Kafkas Kurschatten
Auch wenn der Alltag sich um das Leiden, die Behandlung und die Genese dreht – im Mikrokosmos der Kur spielt auch das Zwischenmenschliche eine wichtige Rolle. Und dass Kafka (Stanislav Krejčí) in dieser Hinsicht, besonders mit Blick auf das weibliche Geschlecht, kein Kind von Traurigkeit war, ist der Nachwelt durch zahlreich publizierte Briefsammlungen und Biographien hinlänglich bekannt. Im Sanatorium der Karlstruppe kommt ihm die zarte Pflegerin Klara (Erika Hamplová) näher. Ihre Rolle bleibt leider sehr eindimensional und darauf reduziert, dem leidenden Kafka einen empathischen Gegenpol an die Seite zu stellen. Dabei hätte es für die weibliche Hauptrolle eigentlich eine sehr schöne Vorlage gegeben: Dora Diamant, die letzte große Liebe des Prager Schriftstellers, die während seines letzten Sanatorium-Aufenthalts im österreichischen Kierling viel Zeit mit ihm verbrachte.
Inszeniert hat das Stück der Germanist Boris Blahak, der sich in seiner Dissertation mit den deutschen Regionalismen in den literarischen Texten Franz Kafkas beschäftigt hat. Auch das Thema Sprache fließt in das Stück mit ein, basierend auf einem Brief, den der Schriftsteller 1920 aus dem Südtirol an seinen Kollegen und Freund Max Brod schickte. Er beschreibt darin, wie er während eines Abendessens im Sanatorium mit seinem eigentümlichen Deutsch aneckt, überhaupt mit seiner Identität als Deutscher aus Böhmen. Erst als er sich als Jude zu erkennen gibt, wird er für die deutsche Runde greifbar, sind sie „wissenschaftlich zufriedengestellt“. „Menschlich“ allerdings nicht. Der Prager Doktor bleibt alleine zurück.
Diese Themenvielfalt könnte die rund 90 Minuten überfrachten, funktioniert aber erstaunlich gut. Die Zuschauer werden mitgenommen in Kafkas übervolles Gedanken-Universum, in dem die Grenzen zwischen der Realität und seinen Werken bisweilen verschwimmen. Die eingangs zitierte Passage aus der Türhüter-Parabel im „Process“ ist wohl der Schlüssel zum Stück: Möglicherweise trägt der ausgezehrte Schriftsteller die Medizin, die für seine Heilung notwendig wäre, selbst in sich – und die Tür zu ihr steht, wie diejenige zum Gesetz, grundsätzlich offen. Allerdings können sich weder der Zuschauer noch der Protagonist dessen sicher sein. Und vielleicht sind die Krankheit und das Leiden auch ein Stück Identität. Worauf sich also verlassen, wem vertrauen? Die Frage bleibt offen.
Kafka auf Kur. Nächste Vorstellungen: 7. Mai, 18 Uhr (Divadlo Dialog, Pilsen), 14. Mai, 19 Uhr (Divadlo Barka, Brünn), 4. Juni, 18 Uhr (Baráčnická rychta, Prag), Dauer: 90 Minuten (ohne Pause)
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?