Nur ein Trostpreis für Jágr

Nur ein Trostpreis für Jágr

Die Eishockey-WM endet mit einem Zuschauerrekord, enttäuschten Gastgebern und einem verdienten Weltmeister

20. 5. 2015 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: Pavel Lebeda

Nach 121 Pflichtspielen im Nationaltrikot ist Schluss. Tschechiens Eishockey-Superstar Jaromír Jágr glitt am vergangenen Sonntag zum letzten Mal als Auswahlspieler über den Rink. Zur Enttäuschung aller Tschechen in der Prager O2-Arena trat der 43-Jährige mit einer Niederlage ab. Das Team von Trainer Vladimír Růžička verlor das Duell um Bronze gegen die USA mit 0:3. Einen Tag zuvor unterlagen die Gastgeber in einem hochklassigen Halbfinale den Kanadiern mit 0:2. Die Nordamerikaner sicherten sich am Sonntagabend ihrerseits den 25. Weltmeistertitel gegen überforderte Russen mit 6:1.

„So ist das im Sport. Manchmal läuft es, manchmal nicht“, sagte Jágr nach dem USA-Spiel. Der schon etwas ergrauten Stürmer spricht mit viel Gelassenheit und mehr als zwei Jahrzehnten Profierfahrung, in denen er alles gewinnen konnte, was sein Sport hergibt. Eine Niederlage im Spiel um Platz drei einer WM haut Jágr nicht mehr um, auch wenn er sich seinen Abgang sicher schöner vorgestellt hat. „Der Gegner war über 60 Minuten gesehen einfach besser. Unser erster und vierter Block hat sich ein paar gute Chancen geschaffen, aber insgesamt kam heute zu wenig von uns.“

Diese Analyse verdeutlicht das größte Problem der tschechischen Auswahl: Es mangelt an Qualität in der Breite. Wenn die Offensive um Leistungsträger wie Jágr, Jakub Voráček oder Tomáš Plekanec schwächelt, fehlt die Durchschlagskraft. Gegen solide Schweizer, Deutsche oder auch talentierte Finnen mag es dennoch zum Sieg reichen. Doch gegen Kaliber wie Kanada, die USA oder Russland läuft das Team im tiefroten Bereich. Hinzu kommen Defizite in der Defensive. Die Zahl der tschechischen Verteidiger in der NHL nimmt stetig ab. Mit Michal Jordán und Jan Hejda verdienen nur zwei von neun Verteidigern, die bei der Heim-WM in der Auswahl standen, ihr Geld in Nordamerika. „In naher Zukunft wird es unsere Aufgabe sein, gute junge Verteidiger zu suchen, die hinter Hejda und Jordán die Lücken schließen“, zeichnete Coach Růžička nach dem Ausscheiden die nächsten Schritte des Betreuerstabes vor. Wenn das tschechische Team in Duellen gegen Kanada oder die USA bald wieder eine bessere Figur machen will, sind Fortschritte in diesem Bereich unumgänglich. Dass der junge und nicht allzu NHL-erfahrene US-Sturm müde tschechische Verteidigungslinien im wahrsten Sinne des Wortes alt aussehen ließ, enttäuschte Fans wie Experten gleichermaßen.

Auf Růžička wartet also viel Aufbauarbeit. Dafür erhält der 51-Jährige vom Verband vorerst genügend Zeit. Er soll auch bei der nächsten Weltmeisterschaft 2016 in Russland an der Seitenbande stehen. Die Korruptionsvorwürfe, die kurz vor den Spielen in Prag und Ostrava gegenüber Růžička laut wurden, sind im medialen Echo der WM verhallt. Man traut dem ehemaligen NHL-Center zu, wieder an erfolgreiche Zeiten anzuknüpfen. Doch das Problem des tschechischen Eishockeys ist ein strukturelles und keines, das den normalen Leistungszyklen einer kleinen Nation entspringt. Immer weniger Kinder und Jugendliche entscheiden sich hierzulande, den finanziell und logistisch aufwendigen Sport zu betreiben und weichen auf Fuß- oder Floorball aus.

Diese Entwicklung tat der Begeisterung für den Eishockey-Sport zumindest auf Fanseite jedoch keinen Abbruch. 741.690 Zuschauer in den beiden Stadien bedeuten einen neuen Rekord in der Geschichte der Weltmeisterschaft. Im Schnitt kamen mehr als 11.500 Menschen pro Spiel. 88 Prozent der Tschechen sollen zumindest einmal in den vergangenen zweieinhalb Wochen ein Match im Fernsehen verfolgt haben. Und die Veranstalter rechnen mit einem Gewinn von über zehn Millionen Kronen (etwa 360.000 Euro). Auch viele Spiele ohne tschechische Beteiligung waren ausverkauft.

Jackpot für Kanada

Für einen versöhnlichen Abschluss der sportlich attraktiven WM sorgten die Kanadier. Das völlig entfesselt aufspielende Team um Kapitän Sidney Crosby dominierte die „Sbornaja“ in allen Belangen. Nach 50 Minuten hieß es 6:0. Jewgeni Malkin glückte lediglich noch der Ehrentreffer. Die Russen zeigten sich als schlechte Verlierer und verabschiedeten sich in die Kabine, ohne die Hymne des Siegers standesgemäß bis ans Ende mitanzuhören.

Die Freude der Kanadier trübte das nicht. „Es ist ein großartiges Gefühl. Wir hatten eine tolle junge Truppe, die richtig hungrig war auf Erfolg“, erklärte der 27-jährige Crosby nach der Siegerehrung. Der Star der Pittsburgh Penguins schrieb mit dem Titel auch ein Stück Eishockey-Geschichte. Als 26. Spieler schloss er sich dem „Triple Gold Club“ an. Zu diesem gehören all jene, die in ihrer Karriere sowohl mindestens einmal die Olympischen Spiele als auch die Weltmeisterschaft und den Stanley Cup gewonnen haben. Außerdem holten sich die Ahornblätter den Jackpot über eine Million Schweizer Franken für zehn Siege in zehn Spielen innerhalb der regulären 60 Minuten.

Auch Jaromír Jágr wurde eine große Ehre zuteil. Er erhielt die Trophäe für den wertvollsten Spieler der Weltmeisterschaft. Es war ein stilvoller Schlussakkord seiner Nationalmannschaftskarriere, den er selbst allerdings nicht mehr mitbekam – er weilte bereits im Urlaub. Es scheint, als hätte der Routinier das Ende dieses Kapitels schneller verarbeitet als seine Fans.