Ferien in der Hölle
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen schickt eine Familie für zwei Monate zurück ins „Protektorat Böhmen und Mähren“
3. 6. 2015 - Text: Katharina WiegmannText: Katharina Wiegmann; Foto: Česká televize
Als Beitrag des Tschechischen Fernsehens zum 70. Jahrestag des Kriegsendes kündigte der öffentlich-rechtliche Sender ČT1 die neue Serie mit dem provokanten Titel „Urlaub im Protektorat“ an. Dabei wird eine siebenköpfige Familie aus Nordböhmen auf eine Zeitreise in eine der dunkelsten Epochen der Landesgeschichte geschickt. In einem alten Bauernhaus unweit der slowakischen Grenze müssen die drei Generationen Kühe melken, das Land bestellen und sich vor allem den politischen Gegebenheiten der Zeit zwischen 1939 und 1945 anpassen. Das bedeutet unter anderem: verpflichtender Deutschunterricht für die Kinder, erzwungene Abgaben und nächtliche Razzien deutscher Soldaten. Das Publikum kann Familie Lustyk-Dočekalová seit dem 23. Mai zweimal die Woche dabei zusehen, wie sie diese Aufgaben meistert.
Die Reise beginnt in den Studios des Fernsehsenders, wo sie mit zeitgemäßer Mode und Accessoires ausgestattet werden. In der Kutsche geht es anschließend dem gemeinsamen Abenteuer entgegen. Noch weiß die Familie nicht, wohin es geht.
Die Unwissenheit der Teilnehmer über die Zeit, in der sie sich in den nächsten zwei Monate zurechtfinden müssen, gehört zum Konzept, das die Autorin Zora Cejnková mit ihrem Team entworfen hat. „Bestimmt in die Erste Republik“, freut sich Ivana, die Mutter dreier Söhne und Tochter von Jarmila und Jiří, den mitreisenden Großeltern. Lediglich über eines herrschte vorab Klarheit: Hält die Familie gemeinsam durch, wartet eine beträchtliche finanzielle Entlohnung in Form von Goldmünzen.
Angekommen im malerischen Bauernhaus schwindet die Euphorie plötzlich. Eine Ansage macht klar: Familie Lustyk-Dočekalová befindet sich nicht etwa in den Goldenen Zwanzigern, sondern im von den Nationalsozialisten ausgerufenen „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“.
Dass dieses Konzept Aufmerksamkeit und Kritik wecken würde, dürfte für die Autorin absehbar gewesen sein. „Wie weit ist es bis Big Brother Auschwitz?“, titelte der Berliner Tagesspiegel. Spiegel Online stellte fest, die Serie drehe die Skandalisierungsschraube von Reality-Soaps ein Stück weiter. Auch israelische und britische Medien widmeten der tschechischen Produktion noch vor der Erstausstrahlung ihre Aufmerksamkeit.
Trotz des skandalträchtigen Titels: Die Sendung verzichtet auf die für Reality-Shows typischen wackeligen Kameras und die ausführliche Ausbreitung intimster Details der Protagonisten. Im Mittelpunkt steht der Alltag auf dem Hof, den die Familie täglich meistern muss. Jede Woche bekommen sie zusätzliche Aufgaben wie das Bauen einer Treppe zur Freilufttoilette.
Von Zeit zu Zeit kommt aber auch Besuch, der neue Hauslehrer für die Söhne Kuba und Marek, zwei Damen, die vorübergehend der Großstadt entfliehen müssen – und natürlich die Deutschen, erst in Gestalt von harmlosen Ausflüglern, später brüllend und in Uniform. Alle sind professionelle Schauspieler und folgen einem Drehbuch. Kommentare und sporadisch eingeblendetes historisches Filmmaterial sollen den Zuschauern die Hintergründe in wenigen Sätzen und Bildern näherbringen.
Man wolle „erlebte Geschichte“ zeigen, bewirbt das Tschechische Fernsehen das Format. Vorbild sei die britische Serie „The 1900 House“. „Unsere Serie will kein leichtes Spiel mit der Vergangenheit betreiben. Im Laufe der acht Folgen ereignen sich Geschichten, die in Wirklichkeit hätten passieren können. Wir wurden von Chroniken inspiriert und haben mit Historikern gearbeitet. Wir zeigen den Zuschauern einzigartiges Archivmaterial zum Leben im Protektorat“, unterstreicht die Produzentin Lenka Poláková die Seriosität der Unternehmung „Urlaub im Protektorat“.
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