Eine politische Frage

Eine politische Frage

Trotz Ukraine-Krise wollen sich tschechische Unternehmen auf dem russischen Markt halten. Sie klagen über Widerstände im eigenen Land

3. 6. 2015 - Text: Corinna AntonText: ca/čtk; Foto: Bradmoscu

Vor dem Beginn der Ukraine-Krise zählte Russland zu den wichtigsten Zielländern tschechischer Exporteure. Nun sind die Ausfuhren drastisch eingebrochen. Im ersten Quartal dieses Jahres lieferten heimische Unternehmen Waren im Wert von knapp 18 Milliarden Kronen (rund 660 Millionen Euro) nach Russland – ein Rückgang um 35,8 Prozent im Vergleich zum vorherigen Quartal.

Einige größere Unternehmen wollen ihr Geschäft mit Russland dennoch aufrechterhalten. Zu ihnen zählen zum Beispiel der Landmaschinenhersteller Agrostroj Pelhřimov, der in Russland derzeit ein neues Werk baut, und der Werkzeugmaschinenentwickler Kovosvit MAS. „Der russische Markt funktioniert, und zwar sehr gut“, sagt dessen technischer Direktor Petr Váradi. „In Russland ist vieles veraltet, die Industrie muss umstrukturiert werden“, fügt er hinzu. Nach Váradis Worten ist es für sein Unternehmen „eindeutig wichtig, dort zu produzieren und sich um jeden Preis in Russland zu halten“.

Wirtschaftsvertreter kritisieren, dass sich die Bedingungen für den Export nach Russland verändert haben. Die staatliche Versicherungsgesellschaft EGAP habe die Konditionen für Unternehmen verschlechtert, klagt etwa Richard Benda, Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft Enkom. „Wir brauchen aber jetzt in der Krise Unterstützung. Ich glaube, das ist eine politische Frage“, so Benda. Vladimír Plašil, Chef der Maschinenbau-Gruppe Alta, spricht von einer traurigen Situation: „Wir sind in die neunziger Jahre zurückgekehrt. Wir lernen, kleine Geschäfte zu machen. Wir können uns nicht mehr auf die EGAP und die Tschechische Exportbank verlassen.“ Die EGAP habe den Versicherungsschutz kürzlich gesenkt, sagt auch Jiří Flégl von der UnicreditBank. Entsprechende Ein- und Verkäufe seien jetzt „mit doppelt so viel Risiko behaftet wie vorher“.

Die Politik hat noch eine andere Erklärung für den Rückgang: Nicht nur die Sanktionen, die von der EU wegen der Ukraine-Krise verhängt wurden, seien für den Einbruch verantwortlich, sagte in der vergangenen Woche Martin Šperl, Abteilungsleiter im Wirtschaftsministerium. Außerdem hätten mehrere Firmen Ende 2014 größere Aufträge abgeschlossen. Für das gesamte laufende Jahr erwarte er einen weniger dramatischen Rückgang. Laut Šperl werde es den großen Firmen gelingen, sich in Russland zu halten; der Staat wolle die Schäden für Unternehmen möglichst minimieren, so der Vertreter des Wirtschaftsministeriums. „Aber wir sind Mitglied der Europäischen Union und müssen uns an ein einheitliches Vorgehen halten. Es ist klar, dass kleine und mittlere Unternehmen das Land jetzt als Risikogebiet betrachten und sich zurückziehen.“

Im Außenministerium verweist Ivan Jukl darauf, dass die tschechische Diplomatie nach neuen Absatzmärkten für Unternehmen suche. Zum Beispiel würden die Vertretungen in Kenias Hauptstadt Nairobi, im kasachischen Astana und in Kuwait ausgebaut. Noch stärker als der Export nach Russland sind Šperl zufolge die Ausfuhren in die Ukraine zurückgegangen: um 36 Prozent im vergangenen Jahr, im ersten Quartal 2015 um 48,1 Prozent.