Für den Titel – und die eigene Karriere
Die größten deutschen Talente spielen bei der U21-EM in Tschechien auch um ihre Zukunft
3. 6. 2015 - Text: Klaus HanischText: Klaus Hanisch; Foto: ČTK/Michal Krumphanzl (Christian Günter (SC Freiburg) und Torschütze Moritz Leitner (VfB Stuttgart) umjubeln den Ausgleichstreffer beim Testspiel in Prag am 18. November 2014, Endstand: 1:1)
Jetzt müssen die Spieler beweisen, ob sie tatsächlich zu Höherem berufen sind. Denn bei der U21-Europameisterschaft in Tschechien spielt ab 17. Juni die künftige Elite des deutschen Fußballs vor. Das steht spätestens fest, seit sechs Europameister der deutschen U21 von 2009 im vorigen Jahr mit der A-Nationalmannschaft die WM in Brasilien gewannen.
Und Deutschland sieht sich auch diesmal in der Favoritenrolle. „Wir fahren nicht dorthin, um nur teilzunehmen“, gab der deutsche U21-Trainer Horst Hrubesch seinen Spielern schon im letzten Jahr vor, „die Mannschaft hat das Format, um den Titel mitzuspielen.“
Zumal es in Tschechien bis 30. Juni auch um die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2016 in Rio geht. Dafür genügt schon die Teilnahme am Halbfinale. „Mein Traum ist es, noch einmal bei Olympia dabei zu sein“, hat Hrubesch weiteren Druck aufgebaut. Schon seit 1988 spielte Deutschland nicht mehr bei einem olympischen Fußballturnier mit.
Die entscheidenden Weichen für diese Ziele wurden Ende März gestellt. Rund um die Vorbereitungsspiele der deutschen U21 gegen Italien (2:2) und England (2:3) verkündete Bundestrainer Joachim Löw damals, dass er keine Talente mehr für seine A-Nationalelf abberuft. Damit war klar: Deutschland wird mit seinen besten Nachwuchsspielern zur Europameisterschaft nach Tschechien reisen.
Und Löw ging noch einen Schritt weiter. Erst ab der Saison 2015/16, also nach der U21-EM, will er mit dem Umbau der „großen“ Nationalmannschaft beginnen. Dieser Prozess könne „mehrere Monate“ dauern, machte Löw klar. Dabei will er vermehrt neue, junge Kräfte an die Weltmeister von 2014 heranführen.
Daher wissen die deutschen U21-Nationalspieler: Bei der EM geht es um ihre persönliche Zukunft auf internationaler Ebene. Spielen sie gut und gewinnen sie sogar den Titel, steht ihnen eine große Karriere bevor.
Schon vor dem ersten Anpfiff in Tschechien können sich mehrere Akteure Hoffnung auf das A-Team machen. Allen voran die Torhüter, nachdem die altgedienten Roman Weidenfeller (Dortmund) und Ron-Robert Zieler (Hannover) zuletzt keine unumstrittenen Leistungen mehr boten. „Ich habe vier gute Spieler zur Auswahl, leider kann auf dieser Position nur einer spielen“, bedauerte Hrubesch. Die Entscheidung darüber ließ er lange offen, wobei er sich letztlich zwischen Marc-Andre ter Stegen (FC Barcelona) und Bernd Leno (Bayer Leverkusen) entscheiden muss – wahrlich ein Luxusproblem.
Ter Stegen steht mit Barça im Endspiel der Champions League und kommt daher mit großem Selbstvertrauen nach Tschechien. „Er ist ein sehr guter Torhüter, kann mit dem Fuß alles und wird noch besser“, bescheinigte ihm Konkurrent Manuel Neuer nach den Halbfinals seiner Bayern gegen Barça in der Champions League. „Marc strahlt große Ruhe und Souveranität aus und hat in Spanien noch einmal einen Sprung gemacht“, ergänzte Löw. Obwohl er von Barcelona nur in den Pokalwettbewerben eingesetzt wurde.
Beste Erinnerungen an Tschechien
Sein Konkurrent Leno ist für dessen Klub-Manager Rudi Völler hingegen schon „Deutschlands Torhüter Nummer 2“ nach Manuel Neuer. Leno spielte regelmäßig für Bayer und absolvierte bereits 26 Spiele in der Champions-League. Prinzipiell fehlt es der deutschen Auswahl nicht an internationaler Erfahrung. Aus London kommt eine große Nachwuchs-Hoffnung des FC Arsenal, Serge Gnabry. Ein anderer Spieler in der englischen Liga ist Löw schon konkret aufgefallen. „Wir werden es sicher bald mal mit Emre Can probieren“, so der Bundestrainer. Can spielte eine starke Saison beim FC Liverpool, bevorzugt in der Dreier-Abwehrkette – und gerade dort braucht die deutsche A-Elf dringend Verstärkungen.
Die könnte auch Robin Knoche sein, der mit dem VfL Wolfsburg deutscher Vizemeister und Pokalsieger wurde. Völlig fehlt den „Großen“ derzeit ein Mittelstürmer, Kevin Volland (Hoffenheim) kann sich in Tschechien für diese Position nachdrücklich empfehlen. Zumal als Kapitän der deutschen Auswahl.
Im deutschen Mittelfeld stehen sich die kreativsten deutschen Spieler fast auf den Füßen, so Maximilian Arnold aus Wolfsburg oder der lange verletzte Leon Goretzka von Schalke 04. Trotzdem könnte die EM speziell für den Schalker Max Meyer zu einem Sprungbrett werden. Nicht wenige halten ihn für das größte Talent im deutschen Fußball.
Fraglos ein Rückschritt ist das Turnier hingegen für den Dortmunder Innenverteidiger Matthias Ginter. Er war letztes Jahr in Brasilien dabei und darf sich deshalb bereits Weltmeister nennen. „Es war mein Wunsch, die EM zu spielen“, so Ginter. In Tschechien will er „zu Rhythmus und alter Stärke“ zurückfinden, nachdem er für Dortmund nur 14 Bundesligaspiele in der abgelaufenen Saison absolvieren durfte. Ginter erlebte den K. o. der deutschen U21 vor zwei Jahren in der Vorrunde mit und will nun „unbedingt dieses Turnier gewinnen.“ Dafür erwartet Hrubesch gerade von Spielern wie ihm jedoch mehr Führung als zuletzt.
Doch der Trainer ist optimistisch. „Das Team hat einen starken Charakter“, so der 64-Jährige, „und spielerisch ist diese Mannschaft auf dem Niveau wie 2009“. Hrubesch muss es wissen, denn damals gewann Deutschland unter seiner Leitung erstmals eine U21-EM. Jene sechs Europameister von damals, die 2014 in Brasilien den WM-Titel holten, waren Manuel Neuer, Jerome Boateng, Mats Hummels, Benedikt Höwedes, Mesut Özil und Sami Khedira. Nun sieht Hrubesch seinen Kader sogar breiter aufgestellt als bei der EM 2009. „Damals hatten wir um die 22 Spieler, diesmal kann ich aus 35 bis 40 Spielern wählen“, sagte Hrubesch.
In sein vorläufiges Aufgebot mit 28 Akteuren berief er überraschend sieben Spieler von Zweitligist 1. FC Kaiserslautern, der zwar den jüngsten Kader aller Erst- und Zeitligisten aufwies, aber am Ende lediglich den vierten Rang in Liga 2 belegte.
Hrubesch selbst hat an Tschechien beste Erinnerungen: Hier gewann er bereits einen EM-Titel – als Coach der deutschen U19 vor sieben Jahren. Seine Spieler müssen jedoch auf der Hut sein. Spanien, Sieger der U21-Endrunden von 2011 und 2013, scheiterte in der Qualifikation an Serbien. Dabei hatte die heimische Sportzeitung „Marca“ noch 2013 gejubelt: „Der Fußball bleibt unter spanischer Herrschaft.“ Immerhin konnten sich Leistungsträger von damals international durchsetzen: Thiago spielt mittlerweile für Bayern München, Isco bei Real Madrid und Morata bei Juventus Turin.
Zur Europameisterschaft dürfen all jene Spieler fahren, die zu Beginn der Qualifikation jünger als 21 waren. Deshalb hätten auch die A-Nationalspieler Julian Draxler, Shkodran Mustafi oder Erik Durm in Tschechien spielen können, obwohl sie schon in Brasilien dabei waren. Und Mario Götze. Doch als Torschütze des entscheidenden Treffers gegen Argentinien im WM-Finale 2014 wurde er bereits zu Höherem berufen.
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