Kommentar: Flüchtlinge als Chance

Kommentar: Flüchtlinge als Chance

Tschechische Politiker handeln falsch

24. 6. 2015 - Text: Marcus HundtText: Marcus Hundt; Foto: hdptcar

 

Mit vier Prozent machen Ausländer in Tschechien einen geringen Anteil an der Gesamtbevölkerung aus. In Ungarn und der Slowakei besitzt nur jeder 100. Einwohner die Staatsangehörigkeit eines anderen Landes, in Polen sogar nur jeder 400. Trotzdem wehren sich diese Länder vehement gegen die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Flüchtlingsquoten. Demnach sollen lediglich 40.000 Menschen, die 2014 vor allem aus Syrien und Eritrea nach Italien und Griechenland kamen, auf die EU-Staaten verteilt werden. Davon betroffen seien laut EU nur „schutzbedürftige Flüchtlinge“.

In Syrien herrscht Krieg, die Menschen in Eritrea leiden unter einer Militärdiktatur. Die Quotenregelung wäre nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Trotzdem wehren sich fast alle ehemaligen Ostblockstaaten, die heute der EU angehören, gegen diesen Schritt. Dabei galt doch gerade dort – während des Sozialismus – die Solidarität als ein Schlüsselwert. Junge Leute aus dem sozialistischen Ausland – vor allem aus Afrika – wurden in Polen oder der damaligen ČSSR ausgebildet. Die Menschen, die mit dieser Solidarität von Staats wegen aufgewachsen sind, wollen heute nicht mehr helfen. Haben sie Angst, etwas von ihrem nach 1989 erworbenen Wohlstand einzubüßen? Warum wehren sie sich gegen eine gerechte Aufteilung der Flüchtlinge, die Faktoren wie das Bruttoinlandsprodukt und die frühere Zahl von Asylbewerbern berücksichtigt? Nach dem Verteilungsschlüssel müsste Tschechien nur 1.200 Menschen aufnehmen. Das Argument, das Land habe keine Erfahrung mit „fremden Kulturen“, darf nicht gelten. Die aktuelle Situation sollte eher als Chance begriffen werden, etwas gegen diesen Missstand zu tun.

Im Parlament herrscht Konsens und auch Präsident Zeman keift gegen die Quoten. Die Politik hat dem Volk aufs Maul geschaut – und handelt trotzdem falsch. Die Solidarität, und dafür stehen die Flüchtlingsquoten, ist auch heute ein Schlüsselwert. Sie ist ein Prinzip der europäischen Demokratie. Ganz Europa hat die Pflicht, in Not geratenen Menschen zu helfen.