Kulturschock unter Brüdern
Der slowakische Historiker Juraj Varga trauert dem gemeinsamen Staat nach
8. 7. 2015 - Text: Katharina WiegmannInterview: Katharina Wiegmann; Foto: Juraj Varga/Michal Barbuščák
Juraj Varga ist Historiker, 28 Jahre alt und hat eine klare Meinung zur Teilung der Tschechoslowakei. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sich die Länder nicht getrennt.
Warum und wie lange leben Sie schon in Tschechien?
Juraj Varga: Ich habe schon während der Schulzeit interessante Jahre in Prag verbracht. Nachdem ich in Nitra in der Slowakei meinen Uniabschluss gemacht hatte, wollte ich für mein Dissertationsprojekt in Geschichte hierher kommen. An der Karls-Universität arbeiten die besten Forscher auf dem Gebiet. Ich bin für zwei Jahre hier und werde versuchen, mehr über ein paar Aspekte der slowakischen Vergangenheit herauszufinden.
Fühlen Sie sich hier wie ein Ausländer?
Varga: Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass ich als Ausländer wahrgenommen werde. Ich spreche Slowakisch, was natürlich alle Tschechen sofort merken. Ich bemerke dann schon eine Veränderung in der Wortwahl und auch im Verhalten. Junge Tschechen fragen mich, warum ich nicht Tschechisch lerne. Sie verstehen mich nicht. Kürzlich hatte ich einen richtigen Kulturschock: In einer Bar habe ich auf Slowakisch bestellt und der tschechische Barkeeper fing an, Englisch mit mir zu sprechen. Ich habe wiederum auf Slowakisch geantwortet und er auf Englisch. Das kam mir sehr verdreht und komisch vor. An der Universität ist es aber anders, alle sind offen, freundlich und tolerieren meine Sprache.
Wie nah sind sich Tschechien und die Slowakei heute?
Varga: Beide Länder haben eine gemeinsame Geschichte: Von der kulturellen Annäherung und Kooperation im 19. Jahrhundert bis zur gemeinsamen Staatsgründung im 20. Jahrhundert. Für diejenigen, die sich an die siebziger und achtziger Jahre erinnern, existiert noch diese gefühlte Bruderschaft. Interessant finde ich auch das Phänomen, dass alle meine slowakischen Freunde sich noch immer eher tschechisch synchronisierte Filme ansehen. Dasselbe gilt für Bücher. Ich habe vielleicht ein Dutzend Übersetzungen verglichen – die slowakischen Übersetzer haben einfach eine beschränktere Vorstellung von Sprachbildern. Tschechen schauen sich keine slowakischen Versionen von Filmen an, außer vielleicht einige slowakische Fernsehserien.
Welche Unterschiede sehen Sie zwischen beiden Ländern?
Varga: Zunächst einmal gibt es riesige Unterschiede zwischen den Regionen auch innerhalb der Länder, zwischen Bratislava und der Ostslowakei, zwischen Prag und Mähren. Grundsätzlich finde ich, dass Tschechen direkter sind, während Slowaken Fragen manchmal ausweichen. Auf Prag bezogen fällt mir auf, dass die Leute wenig lächeln. Eine entscheidende Gemeinsamkeit ist, dass die Menschen in beiden Ländern anderen gerne sagen, was richtig oder falsch ist und es ihnen dabei ein bisschen an Taktgefühl fehlt. Die andere Gemeinsamkeit ist die Verbreitung von Korruption in allen Bereichen.
Hätte man Sie damals gefragt: Wären Sie für oder gegen die Teilung gewesen?
Varga: Ich hätte auf jeden Fall dagegen gestimmt. Es ist sehr schade, dass das Land sich getrennt hat, nur weil ein paar verrückte Männer mehr Macht wollten. Die normale Bevölkerung in den beiden Ländern hatte eine enge Verbindung und es ist paradox, dass diese Verbindung nach 22 Jahren nur bei denjenigen weiter existiert, die älter als 30 sind.
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