Zurück in die Vergangenheit
Die Wiederbelebung des Swing – auch 80 Jahre nach seinem Aufkommen ist der Stil überaus populär
30. 1. 2013 - Text: Yvette PolášekText: Yvette Polášek; Foto: Martina Hloudková
„Glattes Eis – ein Paradeis für den, der gut zu tanzen weiß“. So schrieb Friedrich Nietzsche einst in seiner „Fröhlichen Wissenschaft“. Treffende Worte nicht nur für klirrend-kalte Wintertage und unfreiwillige Rutschpartien, sondern auch für Freunde des Schwofens in der aktuellen Ballsaison. Noch bis zum März können Tanzbegeisterte an den schönsten Orten Prags wie im Palais Žofín oder im Palais Lucerna auf dem Parkett schweben wie einst Fred Astaire und Ginger Rogers. Doch nicht bei allen Bällen spielt die Musik im Dreivierteltakt.
Am Freitag, 1. Februar findet im denkmalgeschützten Radiopalác ein Swing-Gala-Abend mit der Live Band des preisgekrönten Klarinettisten Felix Slováček statt. Seit über 40 Jahren begleitet er Karel Gott auf seinen Tourneen und spielte in Deutschland bei renommierten Symphonie- und Rundfunkorchestern. „Ich bin bereits in den achtziger Jahren im Radiopalác aufgetreten“, erinnert sich Slováček, den der 2012 renovierte Saal überraschen dürfte. Der Radiopalác, zwischen 1922 von 1925 von Alois Dryák im Stil des Rondokubismus konzipiert, war schon damals ein beliebter Ort für gesellschaftliche und kulturelle Veranstaltungen. Mit der großen Swing-Gala soll diese Tradition fortgeführt werden. Weitere Termine dieser Art bietet der Prager Veranstaltungskalender in diesem Jahr, so etwa die Auftritte von Ondřej Havelka mit seinen Melody Makers, die die „Perlen des Swing“ präsentieren werden.
Neben den europäischen Metropolen wie London, Paris oder Berlin hat die mitreißende Swing-Musik auch in Prag die Herzen der Leute zurückerobert. Vor allem junge Menschen haben den Sound der dreißiger und vierziger Jahre für sich neu entdeckt. Nicht Hip Hop, sondern der 1927 entstandene Lindy Hop ist es – Vorläufer der heutigen Swing-Tänze – der eine ganze Generation regelrecht von den Sitzen reißt.
Prager Clubs wie JAM Café, Groovy Cats oder Cross Club locken mit Party-Events und auch Tanzschulen haben sich dem scheinbar europaweiten Nostalgie-Fieber angepasst und bieten Unterricht in Lindy Hop, Balboa, Shag, Charleston und Boogie Woogie, die alle zur Swing-Familie zählen. Egal ob die traditionelle Variante mit Benny Goodman, Cab Calloway und Billie Holiday oder der mit Hip Hop-Beats, Gypsie-Klägen oder Drum’n’Bass untermalte Electroswing: Für Partys im Stile der zwanziger bis vierziger Jahre ist Vintage-Kleidung angesagt – von Plisseeröcken bis hin zu Hosenträgern, Schiebermützen, Humphrey Bogart-Hüten und Perlenketten für den Charleston.
Sehnsucht nach Nostalgie?
Stellt der Hype bei den Twens die Wiederbelebung einer vergangenen Ära dar oder ist er lediglich ein geschickter Schachzug der Musikindustrie? Beflügelt womöglich eine krisenhafte Gegenwart die Sehnsucht nach Nostalgie? Oder verbirgt sich hinter dem Trend eine Art Rebellion gegen die Konventionen der Gesellschaft? Jan Kabelka, der seit 2011 an der Tanzschule Swing Busters unterrichtet, ist sich unschlüssig über die Gründe für das Comeback des Genres. „Vielleicht ist es die Suche nach neuen Werten, die die Sehnsucht nach alten Zeiten und traditionellen Rollenmustern weckt. Aber vielleicht auch nur der Spaß an dem sehr ausgelassenen Tanz und die Lust, sich anders zu kleiden“, erklärt der 30-Jährige, der in Prag erst Architektur studierte, dann aber seiner Leidenschaft Tanz erlag.
Laut Kabelka sind Swing, Blues und Jazz sowie die moderne elektrische Variante inzwischen weltweit zum Trend geworden. Es sei nicht nur die Musik, sondern auch der Tanz, der fasziniert. „Lindy Hop ist ein Paartanz, bei dem der Mann zwar führt und die Frau folgt, aber der beiden genügend Improvisation und kreativen Spielraum überlässt“, erläutert er.
Neuer Trend oder alter Hut?
Trotz der Begeisterung vieler mag Kabelka dennoch nicht von einem „neuen“ Trend sprechen. „Die Jazz- und Swing-Szene gab es immer schon in Prag. Und Retro-Wellen wie damals in den achtziger und neunziger Jahren gibt es in der Musik immer wieder.“ Klarinettist Slováček, der im Mai seinen siebzigsten Geburtstag und sein fünfzigstes Bühnenjubiläum mit einer Gala feiern will, kann in Prag eine gestiegene Beliebtheit für Swing nicht erkennen. Gebucht werde er heute mit seiner 17-köpfigen Band genauso häufig wie früher. Dennoch ist die Fan-Gemeinde über die Jahre hinweg gewachsen; der Lindy Hop hat sich den Elektrobeats angepasst. „Elektroswing kenne ich nicht“, gibt Slováček offen zu. Als erfahrener Musiker weiß er aber alles, was man zum authentisch klingenden, traditionellen „Retro-Sound“ braucht. Mit seiner Klarinette und einem Sopran-Saxophon im Koffer ist er fünfzig Jahre um die Welt gereist. In Prag will er den alten amerikanischen Swing im Radiopalác wieder aufleben lassen.
Electroswing
Der sogenannte Electroswing entstand vor etwa zehn Jahren. Er bezeichnet eine Kombination aus der Jazzmusik der zwanziger und dreißiger Jahre und elektronischer Musik. Meist werden Instrumentalisierung, Gesang und Rhythmik aus dem Swing übernommen und mit elektronischen Klängen und Basslinien untermalt. Neben Elementen des Swing werden auch Charleston, Rock’n’Roll, Klezmer und Gypsy-Jazz in die Musik integriert. Das erste Album, auf dem Swing mit elektronischen Klängen vereint wurde, erschien 1992. Als sogenannter Swing House ging diese Kompilation des französischen Labels G-Swing in die Musikgeschichte ein. Der Swing House begeisterte ein breites Publikum, bis er um die Jahrtausendwende wieder verschwand.
Nach musikalischen Experimenten einiger Künstler wurde der Electroswing um 2005 durch die Musiker Parov Stelar und Caravan Palace populär. Seitdem erfreut sich die Musikrichtung großer Beliebtheit. Weltweit finden in zahlreichen Ländern Electroswing-Partys statt. So zum Beispiel auf dem Flughafen Berlin-Tempelhof, der im vergangenen Jahr von über 10.000 Tanzfreunden besucht wurde. In Prag findet seit 2008 das „Prague Spring Swing Festival“ (PSSF) statt. In diesem Jahr werden von 12. bis 15. April unter anderem Ondřej Havelka und die Melody Makers erwartet.
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?