Gegen das Regime
Politische Plakatkunst von Pavel Vošický im Neustädter Rathaus
26. 8. 2015 - Text: Sophie KohoutekText: Sophie Kohoutek; Foto: „Slouží vlasti“ („Er dient dem Vaterland“)/Novoměstká radnice
Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 verließen viele tschechoslowakische Intellektuelle und Künstler ihr Land. Darunter befand sich auch der inzwischen 76-jährige Grafiker Pavel Vošický. 1939 in Prag geboren, erinnert er sich heute noch an die große Enttäuschung, als 1945 die Sowjets und nicht die Amerikaner seine Heimat befreiten. Vošický wurde schon in jungen Jahren zum Regime- und Sozialismuskritiker. Die Resignation von 1945 und der Geist der anschließenden Rebellion sind auch in der Ausstellung im Neustädter Rathaus zu spüren, wo rund 50 Werke Vošickýs aus dem Zeitraum zwischen 1960 und 1990 gezeigt werden. Die meisten davon entstanden im amerikanischen Exil ab 1969 und manifestieren Vošickýs politischen Scharfsinn, mit dem er die Zustände in der ČSSR anprangerte.
Die Schau erstreckt sich über drei Stockwerke im historischen Rathausturm. Zusätzlich ist auf der ersten Etage eine Video-Dokumentation über den Autor zu sehen – leider nur in tschechischer Sprache. Im Interview akzentuiert Vošický seine Abneigung gegen das sozialistische System, was sich in seinen Bildern fast schon überdeutlich widerspiegelt. Seinen Plakaten wohnt ein stark karikaturistischer Charakter inne, vieles erinnert an Comic-Strips.
Bei „Er dient dem Vaterland“ („Slouží vlasti“) von 1962 benutzte Vošický dunkle Tinte und Teefarbe, um einen Vogelkäfig zu illustrieren, der mit Fußfesseln ausgestattet ist. Ein Arm geht vom Käfig ab und winkt oder salutiert. Den Großteil der Ausstellung machen Werke mit Abbildungen sozialistischer Führer wie Josef Stalin oder Lenin und anderer bedeutender politischer Figuren des 20. Jahrhunderts aus. So zum Beispiel das Bild „Hoffnung und Hoffnungslosigkeit“ („Naděj a beznaděj“) aus dem Jahr 1987. Es zeigt die ehemaligen tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Beneš und Tomáš Garrigue Masaryk an der Seite Lenins, wie sie die abgeschlagene Stalin-Statue betrachten, die einst auf dem Prager Letná-Hügel wie ein schauriges Menetekel über der Stadt thronte.
Vošickýs Abneigung gegen den Sozialismus fußte auch auf persönlichen Erfahrungen. Anfang der sechziger Jahre wurde Anklage gegen ihn erhoben. Sein „Hass gegen das sozialistische System“ führte zu einer Gefängnisstrafe. Später wurde er in ein militärisches Strafbataillon gesteckt. Trotz seiner Haltung gelang es ihm später – dank der Empfehlung eines Professors und des politischen Tauwetters – an der Akademie für Kunst, Akademie und Design in Prag zu studieren. Seine Flucht im Jahr 1969 endete in New York, wo er bis zu seiner Rückkehr in die Heimat Anfang der neunziger Jahre als Grafiker arbeitete.
Vošický paarte seinen expressionistischen Stil stets mit sozialistischem Realismus. Er bediente sich der agitativen Form kommunistischer Propaganda, um sie in seinen Plakaten gegen diese zu wenden. Wer nach dem Rundgang durch drei Jahrzehnte antikommunistischer Kritik die Muße hat, das Panorama vom Turm des Neustädter Rathauses zu genießen, erhält den Blick über die Stadt in Richtung Letná-Park freihaus. Er führt direkt dorthin, wo vor 60 Jahren die Stalin-Statue stand. Heute symbolisiert an gleicher Stelle ein rotes Pendel die Zeitenwende.
Pavel Vošický – Přišli včas. Neustädter Rathaus (Karlovo nám. 1, Prag 2 ), geöffnet: täglich außer montags 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 50 CZK (ermäßigt 30 CZK), bis 13. September
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