Mangelnde Solidarität
Die Visegrád-Staaten setzen den Zusammenhalt der EU aufs Spiel. Ein Kommentar
8. 9. 2015 - Text: Josef FüllenbachText: Josef Füllenbach; Foto: Vláda ČR
Das Prager Treffen der Regierungschefs der vier ostmitteleuropäischen Visegrád-Länder vom vergangenen Freitag zementierte die Ablehnung jeder verpflichtenden Quoten-Regelung mit dem Ziel einer gerechteren Verteilung der asylsuchenden Flüchtlinge. Das war nicht anders zu erwarten. Durch lautstarke populistische Propaganda hatten sich die vier schon seit längerem auf einen Weg begeben, der innenpolitisch keinerlei Spielraum mehr für eine solidarische Lastenteilung erlaubt. Die Pflöcke sind nun tief eingerammt; das lässt für die anstehenden Verhandlungen auf EU-Ebene nichts Gutes ahnen. Denn die Länder, die derzeit die Hauptlast tragen, werden sich wohl nicht erneut, wie noch beim Gipfel Ende Juni, auf das Prinzip Freiwilligkeit einlassen.
Die westlichen EU-Mitglieder könnten in den nächsten Wochen der Versuchung erliegen, die von der Kommission vorgeschlagene Quotenregelung durch Mehrheitsentscheidung gegen die östlichen Mitglieder durchzudrücken. Der Lissabon-Vertrag gäbe das her. Aber für den Zusammenhalt der EU wäre das ein schwerer Schlag. Die Zustimmung zur EU würde in ihrem östlichen Teil weiter Schaden nehmen. Schon jetzt zeichnet sich ein neuer Riss zwischen Ost und West ab. Die Auffassungen über Solidarität nach innen und außen klaffen weit auseinander. Der gemeinsame Wertekanon verflüchtigt sich, wo er sich in der Krise bewähren müsste.
Alle in Europa tragen einen Teil der Schuld an der verfahrenen Situation. Zu lange hat man sich weggeduckt, das Ausmaß der Aufgabe verschwiegen, das Asylsystem nicht der Herausforderung angepasst. Doch während nun, da das Haus brennt, die einen beherzt alles unternehmen, um die schwere Krise zu meistern, ergehen sich die anderen in Abwehrmanövern, Ausflüchten und Schuldzuweisungen. Schlimmer noch, die ohnehin vorhandene Angst in der Bevölkerung vor den Flüchtlingen wird von den Verantwortlichen weiter geschürt. Ex-Präsident Klaus hat eine Petition initiiert, die zum Schutz der tschechischen Grenzen auch den Einsatz der Armee fordert; Zeman, kaum aus China zurück, hat sich dem sofort angeschlossen. Manche fragen sich schon, ob das Land, ob die östlichen EU-Mitglieder allmählich nach Osten abdriften. Dann dürften aus diesem Raum weitere Emigranten, wie schon 1948, 1956, 1968 oder 1981, Zuflucht im Westen suchen – und finden.
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“