Wohnen statt essen

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Arbeitsministerium will Zuschüsse für Mietkosten senken – Kritiker fürchten Anstieg der Obdachlosigkeit 

16. 9. 2015 - Text: Katharina WiegmannText: kw/čtk; Foto: S. Welzel

Wer sich keine eigene Wohnung leisten kann, könnte in Tschechien bald vor einem Problem stehen. Das Arbeitsministerium will von der Obdachlosigkeit bedrohten Menschen künftig weniger Zuschüsse zu den Mietkosten in Gemeinschaftsunterkünften zahlen. So steht es im Entwurf für eine Gesetzesänderung, die am Montag bekannt wurde. Die Mietkosten in den Herbergen dürfen künftig nicht mehr als 70 Prozent des Wertes betragen, den die Behörden als angemessen erachten. Bisher waren es 90 Prozent.

Wie viel im Einzelfall ausgezahlt wird, hängt zum Beispiel davon ab, ob es sich um eine alleinstehende Person oder eine Familie handelt. In Prag beläuft sich die Unterstützung derzeit je nach Anzahl der Personen auf 7.600 bis 18.700 Kronen (etwa 280 bis 690 Euro), in kleineren Gemeinden sind es rund 4.700 bis 12.400 Kronen. Den neuen Berechnungen zufolge bekämen Alleinstehende in Herbergen künftig höchstens 5.300 Kronen. Eine vierköpfige Familie würde höchstens mit 13.100 Kronen unterstützt und müsste auf 3.700 Kronen monatlich verzichten.

Das Arbeitsministerium, das für die Zahlungen zuständig ist, hatte in der Vergangenheit immer wieder überteuerte Unterkünfte kritisiert, in denen die Bewohner trotz hoher Kosten unter schlechtesten Bedingungen leben. Die Mieter haben oft keine andere Wahl, als überteuerte Preise in Kauf zu nehmen – weil sie sonst auf der Straße übernachten müssten. Nach Ansicht der Verfasser der Gesetzesnovelle würden die Betreiber die Notlage der Betroffenen ausnutzen und oft „überproportional von den Zuschüssen zum Wohngeld profitieren“.

Die Änderung solle das Geschäft mit der Armut unterbinden, hoffen die Behörden. Die Organisation „Plattform für soziales Wohnen“ (Platforma pro sociální bydlení) kritisiert die geplanten Kürzungen jedoch deutlich – sie gingen auf Kosten der Armen, nicht der Betreiber. „Wir können nicht davon ausgehen, dass die Unterkünfte ihre Preise senken. Die Leute bekommen weniger für das Wohnen und werden die Mieten von dem Geld bezahlen müssen, das sie bisher für Essen aufwenden. Sie werden Hunger haben“, so Štěpán Ripka, ein Sprecher der Initiative. Statt die Zahlungen einzuschränken, solle die Regierung ein Gesetz über den sozialen Wohnungsbau abschließen, fordern Vertreter der „Plattform für soziales Wohnen“. Andernfalls könnten mehr Menschen in die Obdachlosigkeit gedrängt werden, fürchten sie.

Grundsätzlich werden die Zuschüsse für die Unterkunft in einer Herberge an Menschen ausgezahlt, deren Fall „besondere Rücksichtnahme“ verdient, beispielsweise wenn sie Familie oder schulpflichtige Kinder am jeweiligen Ort haben. Das Geld wird auch dann bereitgestellt, wenn es sich um Personen handelt, die keine Unterkunft in regulären Mietwohnungen finden. Oft sind die Herbergen die einzige Alternative zur Obdachlosigkeit.