Bellos letzte Reise
Vít Volhejn arbeitete als Manager in der Finanzbranche. Jetzt verbrennt er tote Haustiere – und tröstet ihre Herrchen
21. 10. 2015 - Text: Corinna Anton
Die Schachtel mit den Papiertaschentüchern steht bereit. Das Büro von Vít Volhejn ist schlicht eingerichtet. Helle Möbel, Computer, Drucker. Und auf dem Schreibtisch die Taschentücher. „Hier haben schon viele Männer richtig laut geweint“, sagt der 51-Jährige. „Hier zeigen sie ihre Gefühle. Dafür sind wir da.“ So wie er spricht und zuhört, sachlich, ruhig, aufmerksam, könnte Volhejn ein Therapeut sein. Für viele ist er das wahrscheinlich auch. Aber seine Berufsbezeichnung lautet anders. Der Prager betreibt das Unternehmen „Kerberos“, das erste Tierkrematorium der Hauptstadt. Seit zwei Jahren verbrennt er tote Hunde, Katzen, Meerschweinchen oder Papageien und übergibt die Asche an deren ehemalige Besitzer.
Wenn in Tschechien ein Haustier sterbe, erklärt Volhejn, dann gebe es drei Möglichkeiten. Wer einen großen Garten mit ausreichend Abstand zum Nachbarn habe, der könne die Überreste dort vergraben. In Prag trifft das aber auf die wenigsten zu. Also müssen die Herrchen oder Frauchen ihre Lieblinge an eine „Tierkörperbeseitigungsanstalt“ übergeben, wo sie wie Abfall behandelt werden – oder sich an ein Tierkrematorium wenden. „Als unser erster Hund starb, gab es in Prag auch noch einen Tierfriedhof, aber der wurde aufgelöst“, erklärt Volhejn. Er und seine Frau arbeiteten beide in der Finanzbranche. Als sie schwer krank wurde, stieg das Ehepaar aus. Sie wollten etwas Sinnvolles machen, sagt der Tierbestatter.
Wie ein Familienmitglied
Ein würdevoller Abschied von einem Vierbeiner: für Volhejn keineswegs ein Luxus, den sich nur Wohlhabende leisten. Vielen Klienten gehe es finanziell sehr schlecht, „aber sie machen das für ihren Hund, weil er für sie ein Familienmitglied ist“. Der Preis für die Verbrennung richtet sich nach dem Gewicht. Hunde bis vier Kilo – und in diese Kategorie fallen in Prag viele – kosten 2.000 Kronen (etwa 70 Euro), dazu kommen 200 Kronen für die billigste Urne. Wer ein besonderes Gefäß aus Marmor oder Holz, mit einer Einsenkung für ein Teelicht oder mit Schriftzug möchte, kann auch ein Vielfaches dafür ausgeben.
Im Büro klingelt Volhejns Handy. Es geht um Rigo, einen Cocker Spaniel, 15,2 Kilo schwer. Die meisten Kadaver holt Volhejn selbst ab. Diesmal kommt ein Tiertransporter. Den toten Hund hat der Mann mit der gelben Warnweste nebenan abgeliefert, der Bestatter bestätigt den Empfang. Zwei Zettel werden mit Stempel versehen und unterschrieben, alles wird dokumentiert, denn den Trauernden ist es wichtig, dass sie auch wirklich die Asche ihres eigenen Haustiers bekommen.
Wenn sie wollen, können sie nebenan noch einmal in Ruhe Abschied nehmen. Volhejn bereitet dann die Tiere dafür vor, richtet sie so her, dass ihre Besitzer sie in schöner Erinnerung behalten. Im Raum hat er Kerzen und Blumen aufgestellt. Passende Musik liegt bereit, auch eine Rede hat er ausformuliert, die er bei Bedarf halten kann. Eine solche Zeremonie wollen aber die wenigsten. Sie geben sich damit zufrieden, dass sie die Asche ihres Haustiers in einer hübschen Urne mit nach Hause nehmen können.
Eine Einäscherung dauert etwa anderthalb bis vier Stunden, je nach Größe. Zwei bis vier Tiere verbrennt „Kerberos“ pro Tag. Zu 70 Prozent sind es Hunde, zu 20 Prozent Katzen, dann folgen andere Haustiere. Die Obergrenze liegt bei etwa 80 Kilo. Er könne davon leben, sagt Volhejn, der mittlerweile etwa 1.500 Kadaver bestattet hat.
An seinen ersten Fall kann er sich noch gut erinnern. Fertík habe er geheißen. „Das war etwas Neues für mich, ich hatte ja noch nie ein totes Tier in der Hand“, sagt der ehemalige Manager. Eine Schulung hat er nicht gemacht, seine Frau absolvierte einen Kurs bei der Veterinärbehörde, das sei vorgeschrieben. Den Rest brachten sie sich selbst bei. Der Ofen kam aus England, einschließlich Gebrauchsanweisung. Er steht nun im Krematorium in Zápy, etwa 20 Kilometer vom Büro im Prager Stadtteil Strašnice entfernt, außerhalb der Stadtgrenze, weil niemand gerne ein Krematorium in der Nachbarschaft hat.
Der schwierigste Moment
Die Hinterbliebenen können sich aussuchen, ob sie bei der Verbrennung dabei sein, sich vorher in Strašnice ein letztes Mal verabschieden oder sich einfach die Urne per Post schicken lassen wollen. Auf Wunsch fährt Volhejn auch zum Tierarzt, wenn jemand seinen Vierbeiner einschläfern lassen muss. „Das war und ist für mich immer der schwierigste Moment, wenn ich das lebende Tier sehe und weiß, dass es bald sterben wird“, verrät Volhejn und schaut traurig über den Rand seiner Brille.
Ist es nicht ein trauriger Beruf, tote Tiere zu verbrennen? Es sei nicht immer angenehm, sagt der Bestatter, aber die Arbeit mache ihm Spaß. Vor allem gehe es darum, den Menschen zuzuhören, jeder habe eine andere Geschichte, die ihn mit seinem Hund oder seiner Katze verbinde – im Gedächtnis geblieben ist Volhejn zum Beispiel ein Polizeihund, den die Beamten brachten. „Er war von der Stadtpolizei, aber die Rechnung haben sie als Privatpersonen bezahlt.“ Auch ein paar berühmte Klienten habe er schon betreut, sagt der Bestatter, ihre Namen will er aber nicht verraten.
Insgesamt seien es mehr Frauen als Männer, die Altersspanne reiche von 20 bis 93.
In die Finanzbranche will Volhejn nicht zurück. Die Mischung aus geistiger und körperlicher Arbeit gefällt ihm gut, und vor allem der Kontakt mit den Menschen. Außerdem denkt er sich gern etwas Neues aus, die Internetseite hat er zum Beispiel selbst gestaltet. Eine große Expansion plant er aber nicht, obwohl er noch Kapazitäten hat.
Und auch potenzielle Kunden gibt es noch viele: Etwa 100.000 Hunde seien in Prag gemeldet, meint der Bestatter. „Davon sterben jedes Jahr schätzungsweise 10.000.“ Dass die meisten von ihnen in einer „Tierkörperbeseitigungsanstalt“ landen, macht ihn traurig. „Aber nicht wegen des Geschäfts, sondern wegen der Hunde“, sagt Volhejn mit trauriger Miene – und man nimmt ihm ab, dass er das auch so meint.
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