Für das Vaterland
Pegida-Chef spricht in Prag – Demonstration an bayerisch-tschechischer Grenze geplant
4. 11. 2015 - Text: Marcus HundtText: Marcus Hundt; Foto: ČTK/Roman Vondrouš
Mitte vergangener Woche am Friedensplatz (Náměstí Míru) in Prag: Menschen schwenken die Nationalflagge und singen gemeinsam die Hymne „Kde domov můj“. Eigentlich nichts Ungewöhnliches. Schließlich spielt sich das Ganze am Nationalfeiertag ab, der an die Gründung des tschechoslowakischen Staates am 28. Oktober 1918 erinnert. Doch der Schein trügt. Denn abseits von Staatsakten oder sportlicher Großereignisse bleiben die Fahnen hierzulande eher in der Mottenkiste. Und die Frage, wo die eigene Heimat liegt, wird vielleicht oft gedacht, aber nur selten gesungen.
Handelt es sich um eine neu entfachte Liebe zum Vaterland? Nein, aus patriotischen Gefühlen kamen die rund 300 Menschen am Feiertag nicht auf dem Friedensplatz zusammen. Eher aus Angst vor dem Islam, aus dem Willen heraus, sich gegenüber fremden Kulturen abzugrenzen. Zu der Kundgebung aufgerufen hatte die islamfeindliche Bewegung „Blok proti islámu“, die seit September mit der rechtspopulistischen Parlamentariergruppe Úsvit zusammenarbeitet. Und seit neuestem auch mit dem Pegida-Bündnis aus Dresden. Deren Chef und Mitgründer Lutz Bachmann sprach am 28. Oktober zum ersten Mal direkt zu den „tschechischen Sympathisanten“. Denn sein Anliegen ist nicht allein auf Dresden (am Montagabend versammelten sich dort erneut etwa 8.000 Pegida-Anhänger) oder Deutschland beschränkt, sondern schließt – dafür steht auch der Name seiner Bewegung – alle „patriotischen Europäer“ ein, die sich „gegen die Islamisierung des Abendlandes“ stellen. In Prag sagte er, „es ist wichtiger als alles andere, alle europäischen Patrioten zu vernetzen“. Sie müssten „zusammenarbeiten, um die Gefahr [der Islamisierung] endlich zu beseitigen“.
Noch bevor Bachmann sein „Hoch auf die deutsch-tschechische Freundschaft“ anstimmen konnte, zeigten vor allem jüngere Tschechen, dass sie die Parolen der Islamgegner ablehnen. Laut Polizeiangaben verzögerten etwa 30 Gegendemonstranten den Beginn der Veranstaltung. Mit Megafonen und Transparenten forderten sie einen offeneren Umgang mit Asylsuchenden.
Foto mit Musterschülern
Auch in anderen Städten folgten zahlreiche Menschen dem Aufruf des „Blok proti islámu“. In Brünn kamen angeblich bis zu 1.500 Demonstranten zusammen. In Ostrava, Liberec und Ústí nad Labem versammelten sich laut Polizei zwischen 400 und 600 Menschen. „Die Aktionen sollen auf die große Gefahr für Europa hinweisen, die vom Ansturm islamischer Migranten ausgeht“, bemerkte der Pressesprecher der Bewegung und kündigte an: Am 17. November, am „Tag des Kampfes für Freiheit und Demokratie“, werde auf der Prager Burg eine Demonstration zur Unterstützung von Staatspräsident Miloš Zeman stattfinden. Dieser hatte sich in den vergangenen Wochen mehrfach negativ zu Flüchtlingen und dem Islam geäußert und dabei absurde Ängste geschürt.
Ganz anders meldete sich Karel Schwarzenberg, Tschechiens ehemaliger Außenminister und Zemans einstiger Kontrahent bei den Präsidentschaftswahlen, zu Wort. Erst Ende der vergangenen Woche verurteilte er auf einer Konferenz in Prag die „Hysterie vor Flüchtlingen“ in seinem Land, die er als „Ausdruck tschechischer Minderwertigkeitsgefühle“ empfindet. Schwarzenberg schäme sich dafür, „wie hinterwäldlerisch wir hier leben“.
Die Regierung des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Bohuslav Sobotka orientiert sich lieber weiterhin am Stammtischgerede und platten Argumenten anstatt sich mit den Ängsten seiner Landsleute wirklich auseinanderzusetzen. Und spielt damit auch xenophoben Bewegungen wie „Blok proti islámu“ in die Karten. Sobotka sendet falsche Signale aus, wenn er sich wie vor wenigen Tagen mit handverlesenen „Vorzeige-Flüchtlingen“ schmückt. Ein Foto aus dem Regierungsamt, das ihn mit syrischen Studenten im Anzug zeigt, beinhaltet nur eine Botschaft: Habt keine Angst, wir nehmen nur die Guten auf, vor den Bösen schützen wir euch. Mit diesem Aschenputtel-Prinzip – die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen – entzieht sich der tschechische Staat seiner gesamteuropäischen Verantwortung.
„Macht die Grenzen dicht!“
Die diffusen Ängste vor einer vermeintlichen Islamisierung sind in Tschechien, der Slowakei, Polen oder den östlichen Bundesländern besonders verbreitet. Also in den Regionen, in denen die Menschen kaum Erfahrungen mit Ausländern sammeln konnten, weil es dort viel zu wenige davon gibt. Befragt man etwa die Menschen, die sich in der vergangenen Woche am Prager Friedensplatz oder auf den Marktplätzen von Brünn oder Ostrava versammelten, nach persönlichen Erlebnissen mit Flüchtlingen, so müssten sie sich eingestehen, dass sie keine Antwort darauf haben.
Dennoch werden sich viele Gleichgesinnte am 8. November im bayerischen Grenzort Schirnding zusammenfinden. Tschechen wie Deutsche wollen dort – ähnlich wie vor einem Monat im sächsischen Sebnitz – an einer von Pegida und Úsvit organisierten Demonstration teilnehmen. Einen Tag lang wollen sie ein „klares Zeichen“ für den „Wiederaufbau der Grenze“ setzen. Jörg Nürnberger (SPD), Kreis- und Gemeinderat im Landkreis Wunsiedel, erkennt darin einen „Angriff auf die guten Beziehungen zwischen Deutschland und Tschechien“. Die Demonstranten hätten seiner Ansicht nach keine Lehren aus der Geschichte gezogen: „Gerade über den Grenzübergang in Schirnding sind im Herbst 1989 viele Bürger aus der DDR in die Bundesrepublik geflüchtet.“ Die offenen Grenzen seien das Ergebnis des Kampfes für Freiheit und Demokratie.
Am 17. November soll in Tschechien genau daran erinnert werden. Die angekündigte Demonstration auf der Prager Burg hat nichts mit den Werten gemeinsam, für die tausende Tschechen und Slowaken vor über 25 Jahren auf die Straße gingen. Auch die jüngste Kundgebung am Friedensplatz führt den Feiertag ad absurdum. Die dort geäußerten Parolen widersprechen den von Staatsgründer Masaryk verfolgten Idealen eines demokratischen Humanismus. Der Sohn eines slowakischen Vaters und einer deutschen Mutter bezeichnete sich selbst als Tschechen und versuchte als Präsident, die verschiedenen Nationen in einem gemeinsamen Staat zu einen. Warum hat am 28. Oktober 2015 niemand öffentlich daran erinnert?
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“