„Nur nicht wieder überrannt werden“
Eine deutsch-tschechische Arbeitsgruppe soll zwischen Berlin und Prag vermitteln. Ein Kommentar
11. 11. 2015 - Text: Josef FüllenbachText: Josef Füllenbach; Foto: APZ
Wenn man in der Politik nicht mehr so recht weiß, wie es weitergehen soll, dann gründet man eine Arbeitsgruppe. Das zeugt von Tatendrang und gibt dem Bürger das Gefühl, die Politik kümmere sich: Es geht voran! Was bislang vor allem auf nationaler Ebene ein probater Ansatz war, soll nun das angeschlagene deutsch-tschechische Verhältnis wieder ins Lot bringen. Namentlich in der Flüchtlingspolitik lag man in den letzten Wochen über Kreuz, gab es von beiden Seiten gelegentlich schrille Töne, fühlte sich Tschechien gar durch die Abstimmung im Rat der Innenminister durch eine von Deutschland angeführte und inspirierte Mehrheit regelrecht überfahren. Keine Frage, in der Flüchtlingskrise geriet der vorwiegend über die Medien ausgetragene Schlagabtausch zuletzt immer emotionaler; man gewann den Eindruck, dass beide Seiten einander nicht einmal mehr in Ruhe zuzuhören vermögen.
Da kommt die Meldung gerade recht, dass nun eine deutsch-tschechische Arbeitsgruppe gebildet werden soll, „die sich eben mit der Frage der Migration befassen wird“, wie Außenminister Zaorálek bestätigte. Auf Prager Seite soll Vladimír Špidla die Gruppe leiten, hier früher Premierminister, dann EU-Kommissar und nun seit bald zwei Jahren Chefberater von Premierminister Sobotka. Also ein erfahrener Mann, auf der deutschen Seite bestens eingeführt und dank seiner sehr guten Deutschkenntnisse ein Garant für die Verständigung. Zudem steht er in mancher Hinsicht der deutschen Flüchtlingspolitik näher als einem Teil der tschechischen Regierung, wo sich Innenminister Chovanec und Finanzminister Babiš gelegentlich durch Ausfälle gegen Berlin hervortun, die allenfalls in böhmischen Dorfkneipen und auf der Prager Burg Gefallen finden.
Kaum zu bewältigen
Laut Zaorálek will Tschechien über die Arbeitsgruppe „mit Deutschland die künftigen Schritte koordinieren, damit wir genau wissen, was zu erwarten ist und demnächst nicht wieder von der Situation überrannt werden“. Im Interesse der besseren Verständigung ist der Gruppe – über deren weitere Zusammensetzung noch nichts bekannt ist – gewiss Erfolg zu wünschen.
Ein Blick auf die politische Drehbühne der letzten Tage in Berlin nährt freilich Zweifel, ob man durch eine Arbeitsgruppe die künftige Entwicklung der deutschen Flüchtlingspolitik wird besser einschätzen können. Solange nämlich der deutsche Innenminister auf Geheiß des Kanzleramts nächtens seine eigenen Worte vom Nachmittag widerrufen muss, aber dann flugs aus Bayern und vom Senior der Regierung, Finanzminister Schäuble, Rückenstärkung erfährt, vom Koalitionspartner SPD jedoch als Chaot geziehen wird, bis ihm endlich sogar die Kanzlerin mit einer Vertrauensbekundung beispringt – solange dürfte es auch einem Špidla schwer fallen, im Berliner Dickicht einen roten Faden zu finden.
Aber vielleicht wird ja der Austausch mit Prag in Berlin jene stärken, die die derzeitige Praxis beenden wollen, wahllos jedem, der sich in Deutschland als Syrer vorstellt, „primären Schutz“ mit dem Anspruch auf Familiennachzug zu gewähren, weil diese einseitig grenzenlose Großmut die von Berlin geforderte faire Lastenteilung unterläuft. Und weil die Folgen dieser Praxis kaum noch zu bewältigen sind.
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