Wer schläft, verliert
Seit fünf Jahren präpariert ein Sachse die Skier der tschechischen Biathleten. Mit dem Team erlebte Danielo Müller seither einen rasanten Aufstieg
6. 1. 2016 - Text: Stefan WelzelInterview: Stefan Welzel; Foto: ČSB
Im Biathlon-Sport kommt es nicht nur auf Kraft, Ausdauer und eine ruhige Hand am Schießstand an. Auch das Material unter den Füßen muss stimmen. Tschechiens Biathlon-Nationalmannschaft mischt seit einigen Jahren die Weltspitze auf und gewann bei den Olympischen Spielen in Sotschi fünf Medaillen. Mittendrin: Cheftechniker Danielo Müller aus Zittau. Bis 2010 noch zuständig für die deutsche B-Mannschaft arbeitet er nun bereits die sechste Saison äußerst erfolgreich für Tschechiens Topathleten. Mit PZ-Redakteur Stefan Welzel sprach der 42-Jährige über lange Wettkampftage, den Vorteil warmer Winter und die Tücken der tschechischen Sprache.
Der Chefcoach der tschechischen Biathlon-Auswahl Ondřej Rybář sagte einmal, „Danielo bringt deutsche Präzision und Ordnung in unser Team“. Was hat er damit gemeint?
Danielo Müller: In Tschechien herrscht bezüglich Ordnung und Disziplin eine andere Einstellung als bei uns in Deutschland. Das muss man so sagen. Als ich 2010 hier ankam, hatte ich viele neue Ideen und so viel Ausrüstung mit dabei, dass die anderen überrascht waren. Ich habe damals allen Mitarbeitern klargemacht, dass 100 Prozent nicht reichen und wir für das beste Material hart arbeiten müssen.
Was war denn so anders, als Sie es aus Deutschland gewohnt waren?
Müller: Hier hatte man einfach keinen professionellen Plan für ein umfassendes Skiservice-System. Ich probiere ständig neue Skier und verschiedene Wachse aus, um das Bestmögliche rauszuholen. Und allein das erfordert schon jede Menge Zeit.
Wie sind Sie überhaupt zum tschechischen Team gekommen?
Müller: Nach den Winterspielen in Vancouver haben mich die Tschechen gefragt, ob ich ihr A-Team betreuen könnte. Die Entscheidung ist mir damals nicht leicht gefallen. In Deutschland hatte ich im B-Team immer nur einen Vertrag für ein Jahr bekommen, mein jetziger läuft noch bis 2018. Letztlich war es einfach eine große Chance und ein wichtiger Schritt in meiner Karriere. Hier konnte ich zeigen, was in mir steckt. Im B-Kader der Deutschen fällt das ja nicht so auf. Dass es dann leistungsmäßig so nach oben gehen würde, damit konnte natürlich niemand rechnen.
Welche konkreten Methoden haben Sie eingeführt, die den Tschechen neu waren?
Müller: Mein großer Pluspunkt ist, dass ich die Skibeläge nicht nur wachse, sondern auch ihre Struktur mechanisch verändere. Ich arbeite von Hand spezielle Muster ein, die so nicht vorhanden sind, wenn die Skier vom Hersteller geliefert werden. Damit passe ich den Ski möglichst genau den herrschenden Schneeverhältnissen an. Nach dem Wettkampf kann man diesen Arbeitsvorgang wieder rückgängig machen. So kann ich auf jedes Wetter schnell und individuell reagieren. Ich denke, dass die Erfolge der letzten Jahre auch damit begründet werden können. Das Wachs ist überall mehr oder weniger das gleiche, aber die eingearbeiteten Strukturen sind einzigartig.
Warum ist das so wichtig?
Müller: Durch die Reibung der Unterlage mit dem Schnee entsteht Wärme. Es bildet sich ein Wasserfilm, der den Ski langsamer macht. Deshalb muss der Wasserfluss unterbrochen werden. Das wird immer wichtiger, denn die Winter werden ja auch immer wärmer.
Haben das die Tschechen vorher nicht berücksichtigt?
Müller: Die Mittel sind nun mal begrenzt. Deutsche, Norweger oder Schweden haben ihre eigenen Maschinen, mit denen sie feste Strukturen in die Skier einarbeiten. Die Tschechen müssen mit wesentlich weniger Geld auskommen und können sich diese ganze Ausrüstung gar nicht leisten. Deshalb habe ich meine eigene Methode entwickelt. Vor allem in warmen Wintern sind die von Hand eingearbeiteten Strukturen von großem Vorteil, weil man sie schnell umsetzen kann und sie den Ski optimal zum Laufen bringen.
Wie ist die Stimmung zwischen den verschiedenen Service-Teams? Tauscht man sich untereinander aus oder hält man sich eher bedeckt?
Müller: Privat kommen wir alle sehr gut miteinander aus. Aber eigentlich wird nie über die Arbeit gesprochen. Seine Methoden hütet jeder wie ein Staatsgeheimnis. Auch wenn wir abends zusammen ein Bier trinken gehen, behält sie jeder für sich.
Die Erfolge der tschechischen Biathleten in den letzten Jahren sind beeindruckend …
Müller: … und müssen erst einmal verarbeitet werden. So viele Medaillen wie die Tschechen in den letzten Jahren gewonnen haben, das ist schon etwas Besonderes.
Bei den Männern läuft es im Moment aber nicht ganz so rund.
Müller: Ondřej Moravec und Michal Šlesingr sind schon lange in der erweiterten Weltspitze. Starke Nerven sind im Spitzensport wohl entscheidend, und genau da scheint im Moment bei den Männern der Wurm drin zu sein, vor allem am Schießstand.
Gabriela Soukalová hingegen scheint ihre Nerven im Griff zu haben und führt derzeit sogar den Weltcup an …
Müller: Junge Athletinnen wie Veronika Vítková oder eben Gabriela Soukalová schnitten schon bei der Junioren-WM 2009 in Kanada besser ab als die Deutschen. Da zeigte sich bereits, dass in Tschechien besondere Talente nachrücken.
Welchen Anteil haben Sie persönlich an diesem Erfolg?
Müller: Mit schlechten Skiern ist man nicht konkurrenzfähig. Die Leistungsdichte im Spitzensport ist enorm. Wer schläft, verliert. Das gilt auch für uns Skitechniker.
Wie bildet sich ein Skitechniker eigentlich weiter?
Müller: Indem er ständig Neues ausprobiert. Ein Beispiel: In den drei Wochen von Sotschi haben wir insgesamt tausend Paar Skier getestet. Wir machen uns mehr Arbeit als andere Nationen und gleichen damit die Nachteile unseres kleinen Budgets aus.
Das klingt nach langen Arbeitstagen …
Müller: Klar. Wir stehen oft ein bis zwei Stunden vor allen anderen auf. Je nachdem, wann das Rennen beginnt, kann das auch schon mal fünf Uhr morgens sein. Prinzipiell arbeite ich schon fünf bis sechs Stunden vor dem Startschuss. Die Skier müssen ja nicht nur präpariert, sondern auch eingefahren werden.
Sprechen Sie eigentlich Tschechisch?
Müller: Am Anfang hatte ich noch den Ehrgeiz, die Sprache zu lernen. Aber inzwischen habe ich das aufgegeben, weil Tschechisch einfach unglaublich schwer ist.
Und wie kommunizieren Sie mit Ihren Kollegen?
Müller: Auf Englisch, das funktioniert eigentlich ganz gut.
Haben Sie viel mit den Athleten zu tun?
Müller: Wir testen die verschiedenen Skier natürlich immer zusammen mit den Sportlern. Und da hat man logischerweise viel Kontakt, meist in den Tagen vor einem Wettkampf. Jeder Servicemann betreut zwei Athleten und bearbeitet somit je rund 40 Paar Skier. Bei mir sind das Veronika Vítková und Michal Šlesingr. Beim Wachsen sind die Athleten nicht dabei.
Die WM-Saison 2015/2016 fing sehr ambivalent an: Starke Frauen – eher schwache Männer. Welche Ziele verfolgt das tschechische Team in diesem Winter?
Müller: Die Männer sind in der Tat schon etwas abgeschlagen. Wir haben aber noch ein großes Ziel: Gabriela Soukalová soll in diesem Jahr den Gesamtweltcup gewinnen. Wenn sie gesund bleibt, ist das absolut möglich.
In welchem Bereich kann sich das tschechische Team noch verbessern?
Müller: Vor allem die Männer schwächeln am Schießstand. Da muss sich der Knoten einfach mal lösen, denn sie können es ja! Aber prinzipiell kann ich da nicht groß reinreden. Das ist auch nicht mein Spezialgebiet, ich bin für möglichst gutes Material zuständig. Ich und meine Leute vom Serviceteam geben von morgens bis abends einfach alles. Der Erfolg gibt uns bisher recht. Damit das so bleibt, arbeiten wir auch weiterhin mit Volldampf, wir sind ja nicht zum Ausruhen hier.
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