Durch die Motorhaube zurück ins Leben
Ein Familienbetrieb baut in der Nähe von Olomouc einzigartige Autos für Rollstuhlfahrer
20. 1. 2016 - Text: Jana KlímováText: Jana Klímová; Foto: Europäische Kommission
Viele Kinder hatten einmal genau so einen Traum: Ein eigenes Auto bauen. Die meisten haben ihn mit der Zeit vergessen oder sich mit einem Gokart zufriedengegeben. Ladislav Brázdil und seine beiden Söhne dagegen haben den Traum in die Tat umgesetzt. Seit etwa einem Jahr baut ihr Familienbetrieb ZLKL in Loštice, etwa 30 Kilometer nordwestlich von Olomouc, eigene Autos unter dem Namen Elbee. Und langsam beginnen sie, ins Ausland zu expandieren. Ihr Produkt ist ein besonderes Auto. Es öffnet sich von vorne wie das Maul eines Walfisches und man steigt nicht mit den Füßen ein, sondern man fährt, in einem Rollstuhl sitzend, in das Auto. Eine Kombination, die in Europa heute keine Konkurrenz hat und die den Brázdils Ende des vergangenen Jahres einen Platz auf der Liste „New Europe 100“ beschert hat, einer Auswahl der interessantesten Ideen für den Personenverkehr in Mittel- und Osteuropa.
„Wir leben in einer Zeit, in der es von allem einfach zu viel gibt“, sagt Ladislav Brázdil junior in seinem Büro. „Wenn Sie sich einen Fernseher kaufen wollen, wissen Sie überhaupt nicht, welchen Sie zuerst nehmen sollen. Ein Auto für Rollstuhlfahrer war für uns etwas, was auf dem Markt überraschenderweise fehlte. Und vor allem war es Liebe auf den ersten Blick.“ Das Konzept für das Fahrzeug landete bereits vor mehr als zehn Jahren als Idee eines Ingenieurs in der Firma, nun ist Brázdil junior für die Umsetzung verantwortlich. Sein jüngerer Bruder kümmert sich um die Finanzen des Betriebs, der Vater, der das Unternehmen vor 23 Jahren gründete, ist zuständig für das bisherige Hauptgeschäft – die Herstellung von Metallteilen für die Auto- und Elektroindustrie.
Die Firma hatte ursprünglich mit Autos nichts am Hut. Aus den Ruinen eines örtlichen LPG-Betriebs baute Ladislav Brázdil senior ein Familienunternehmen auf, das heute etwa 200 Angestellte beschäftigt und mehr als 350 Millionen Kronen (knapp 13 Millionen Euro) Umsatz im Jahr macht. Teil des LPG-Betriebs war eine Reparaturwerkstatt für landwirtschaftliche Maschinen gewesen, die Brázdil geleitet hatte. Als sie nach der Samtenen Revolution schließen sollte, kaufte er sie lieber zusammen mit weiteren Teilhabern.
Einige Jahre später – Brázdil gehörte der Betrieb mittlerweile allein und seine beiden Söhne waren eingestiegen – wandte sich der besagte Ingenieur mit dem Konzept für ein Mikro-Stadtauto für Rollstuhlfahrer an die Firma. „Das war genau, was wir suchten. Ein einzigartiges Produkt, für das wir als Maschinenbaufirma die einzelnen Teile selbst herstellen konnten“, erinnert sich Brázdil senior. Wenn es klappen würde, sagte er sich damals, wäre das Auto ein neuer Geschäftsbereich. Wenn nicht, dann würde sein Betrieb bei der Entwicklung wenigstens etwas Neues lernen.
Zurück ins Leben
Heute wird das Auto Elbee, dessen Name an die Initialen Ladislav Brázdils erinnern soll, in einer Halle in Loštice gebaut, die nach dem Bankrott eines namhaften Quarkkäse-Herstellers leer stand. Der Weg bis zur Montage war jedoch lang. Als die ersten Skizzen auf dem Tisch lagen, ging es darum, wie die Fahrer einsteigen und wie sie den Wagen steuern sollten. Die Konstrukteure entschieden sich für den Frontaleinstieg. Nun mussten sie überlegen, wie sie die Motorhaube samt Lenkrad auf- und zuklappen könnten. Dass man in den Elbee direkt mit dem Rollstuhl hineinfahren kann, ist das Grundprinzip, der Sinn des ganzen Projekts.
Bisher können sich Menschen mit Behinderung gewöhnliche Autos so umbauen lassen, dass sie sich manuell steuern lassen. Das Problem ist: Wie sollen sie ihren Rollstuhl im Auto verstauen, nachdem sie eingestiegen sind? Wenn sie nicht genug Kraft haben, den Rollstuhl mit der Hand in den Wagen zu hieven, nachdem sie sich auf den Fahrersitz gesetzt haben, können sie nicht allein mit dem Auto fahren. Ganz zu schweigen von einem Elektro-Rollstuhl, der etwa 150 Kilogramm wiegt und oft nur mithilfe eines kleinen Ladekrans verstaut werden kann. In beiden Fällen ist der Fahrer auf andere angewiesen, mit dem Elbee dagegen nicht.
Als die Ingenieure ihre Ideen technisch umgesetzt hatten, wartete noch eine letzte Prüfung auf den Elbee. Er brauchte eine Zulassung, um sich überhaupt auf Straßen bewegen zu dürfen. Im Jahr 2010 erhielt sie das Modell mit Zweitaktmotor, das etwa 80 Kilometer pro Stunde schaffte, für Tschechien; drei Jahre später bekam es die Zulassung für die gesamte Europäische Union. Ende 2014 waren die ersten Exemplare bereit für den Verkauf. „Das hat mein Leben verändert“, sagt der erste Elbee-Besitzer, František Trunda aus Brünn, der vor einigen Jahren beide Beine verloren hat. „Ich kann jetzt raus aus der Stadt fahren, um einen Ausflug zu machen, oder meinen Bruder besuchen. Ich muss nicht mehr warten, bis jemand Zeit hat, mich zu begleiten.“ Das Auto, berichtet er, habe ihm ein Stück Freiheit zurückgegeben.
Einen weiteren Elbee lieferten die Brázdils ins mittelböhmische Poděbrady, außerdem haben sie etwa zehn Exemplare nach Frankreich verkauft. Ein Händler dort bestellte im vergangenen Jahr 40 Autos, insgesamt will die Firma 2016 mindestens 50 Elbees herstellen. „Wir verhandeln jetzt mit Interessenten aus fünf weiteren Ländern. Wir glauben, dass wir mit mindestens drei von ihnen schon bald Verträge unterschreiben werden“, hofft Brázdil junior.
Eine Grenze – und für den Hersteller auch ein Risiko – des Projekts ist der Preis, vor allem wenn es um den tschechischen Markt geht. Ein Elbee kostet etwa 550.000 Kronen (20.000 Euro). Auch wenn die Kosten dank verschiedener Ermäßigungen und Zuschüsse für Menschen mit Behinderung mindestens um zwei Drittel sinken, handelt es sich noch immer um ein Luxusprodukt. Außerdem haben sich einige potenzielle Kunden bereits herkömmliche Autos umbauen lassen und die Zuschüsse, die ihnen zustehen, damit ausgeschöpft. Hunderttausende solcher Fahrzeuge sind laut Schätzungen der Liga der Rollstuhlfahrer hierzulande auf den Straßen unterwegs. „Ein Umbau kommt sicher günstiger. Der Elbee ist teuer, aber er ist eine technische Neuheit, die das Fahren vom Rollstuhl aus ermöglicht. Das ist auf jeden Fall interessant“, meint die Sprecherin der Liga der Rollstuhlfahrer, Ladislava Blažková.
Was letztendlich aus dem Elbee wird, ist trotz der guten Auftragslage nicht abzusehen. Selbst wenn sich das Modell durchsetzt, wird es noch sehr lange dauern, bis das investierte Kapital in die Firma zurückfließt. Von der Entwicklung des Modells bis zum Kauf der Produktionshalle kostete das Projekt bereits 200 Millionen Kronen (gut sieben Millionen Euro). Weil bei der Fertigung viel Handarbeit nötig ist, macht die Firma derzeit mit jedem Exemplar Verluste. „Wir verstehen das als Geschäftsmöglichkeit, als Investition in die Zukunft“, erklärt Brázdil senior. ZLKL liefert die Teile für den Elbee; sollte das Auto sich langfristig durchsetzen, hilft das auch der Muttergesellschaft. Diese profitiert zudem vom Team der Entwickler, die mit dem Elbee beschäftigt sind und zugleich bei lukrativen Aufträgen von Großfirmen wie Daimler-Benz oder Bang & Olufsen helfen.
Nicht zuletzt erkundigen sich nach dem Elbee auch Investoren, die das Projekt (zum Beispiel durch Serienproduktion) spürbar beschleunigen könnten. Das hat jedoch klare Grenzen. Mit einem Interessenten verhandelte ZLKL im vergangenen Jahr, einig wurde man sich aber nicht. „Sie wollten die Mehrheit der Anteile und die wollten wir nach so vielen Jahren Arbeit am Elbee nicht hergeben. Wir wollen das zu einem erfolgreichen Ziel führen“, sagt Brázdil senior. „Manche Leute erzählen uns, dass sie wegen unserem Auto den Führerschein machen und angefangen haben zu trainieren. Wir bringen sie also wieder ein bisschen ins Leben zurück.“ Auch das ist ein Grund für Brázdil, weiter am Traum vom eigenen Auto zu arbeiten.
Der Text erschien zuerst in der Wochenzeitschrift „Respekt“ Nr. 2/2016. Übersetzung: Corinna Anton
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