Auf der Schwelle in eine andere Welt
Seit Jahrhunderten ist Prag ein Ort der Magie. Eine Begegnung mit einem Kobold
27. 1. 2016 - Text: Corinna AntonText und Fotos: Corinna Anton
Mit den kupferrot gefärbten Haaren sieht paní Daniela aus wie eine Hexe. Sie lacht auch wie eine Hexe. Laut, mit schrillen Zwischentönen. Aber die 56-Jährige ist keine Hexe. Sie ist – ja, was ist sie eigentlich? „Ich bin einfach ein Mensch, der …“, beginnt sie den Satz und bricht dann ab, hält kurz inne. „Naja, Mensch, das ist auch fraglich“, sagt sie. „Ich bin ein Kobold.“
Eine Begegnung im magischen Prag hat man sich irgendwie anders vorgestellt. Mit engen Altstadtgassen vielleicht und einem goldenen Schimmer auf den Dächern. Stattdessen fallen dicke Schneeflocken und der Weg zu paní Daniela führt die breite Bělehradská-Straße entlang. Der Eingang zu ihrem „Hexenklub“ liegt im Hinterhof, dort könnte es auch in eine Garage gehen, nicht in ein Lebkuchenhaus. Die schwere schwarze Eisentür macht misstrauisch. Vielleicht sollte man so jemanden besser in einem öffentlichen Café treffen – nur für den Fall, dass sie tatsächlich hexen kann?
Drinnen riecht es stark nach Räucherstäbchen. Paní Daniela ist noch beschäftigt, die Begrüßung übernehmen zwei junge Frauen mit schwarzen Kleidern und langen Haaren. Von hinten ertönt das Hexenlachen. „Viel Bewegung ist wichtig“, sagt Daniela zu einer Frau um die 40, die ein Kind dabei hat. „Essen Sie viel Salat! Und keinen Tropfen Alkohol!“ Man muss wohl kein ganz großer Magier sein, um solche Gesundheitsratschläge zu erteilen.
Im Nebenzimmer bittet Daniela, Platz zu nehmen. Auf dem Tisch steht ein Plastikbecher mit Kaffeepulver. „Die Menschen haben Angst, wenn sie hier sitzen, sie sind nervös, deswegen rauchen sie viel.“ Das Pulver soll gegen den Geruch helfen, hat seine Wirkung aber noch nicht entfaltet. Und warum haben die Leute Angst in diesem Zimmer? Daniela antwortet mit einer Gegenfrage: „Haben Sie sich noch nie gefürchtet?“ Dann setzt sie sich neben einen feuerroten Plüschteufel.
Weder ein Gott noch ein Satan sei für alles Schlechte auf der Erde verantwortlich, meint sie, sondern allein die Dummheit der Menschen. Von schwarzer und weißer Magie will sie nichts wissen; Hexerei sei immer so gut oder schlecht wie der Mensch, der sie betreibe. Sie beugt sich vor und zurück, nimmt die Brille ab, legt sie auf den Tisch, ins Etui, wieder auf den Tisch, lehnt sich noch einmal nach hinten und wieder nach vorne. Sie macht nicht den Eindruck, als könne sie ihr Gegenüber jeden Moment in einen Frosch verwandeln.
Quanten und Kristalle
Über ihre Biografie will die Pragerin nicht viel verraten, nur dass sie eine Weile in Wien gelebt, vorher etwas anderes gemacht hat, dass zuhause zwei Hunde auf sie warten und sie nun schon mehr als zehn Jahre allerlei Hokuspokus verkauft. Öle für Aromatherapie, die Leiden, Wehmut und Unbill lindern sollen, Bücher über Permakultur und Quantenphysik, Tees, Natursteine, Kristalle und Pendel, Stäbe, mit denen man angeblich Elemente spalten kann – alles, was Hexen eben so brauchen, erklärt Daniela. „Leiterin“ oder „Gründerin“ des Hexenklubs will sie nicht sein. „Meine Funktion? Was soll das sein? Meine Funktion ist Kobold.“
Wer bei einem Kobold an Meister Eder denkt, liegt nicht ganz falsch. Mit Pumuckl könne sie sich ganz gut identifizieren, sagt Daniela. „Ich finde ihn sympathisch.“ Unsichtbar machen kann sie sich allerdings nicht, auch versteckt sie keine Feilen und Hobel. „Ein Kobold fragt nach Dingen, nach denen man nicht fragen darf“, ist ihre Definition. Sie helfe Menschen, „das zu finden, was sie suchen“, sagt sie und die Lösung klingt wieder gar nicht nach Hexenwerk: „Viele haben das Problem, dass sie sich zu wenig bewegen.“ Anderen verrät sie, dass Fenchel gegen Bauchschmerzen helfen soll und Lavendel gegen Aggressionen. Auch das wussten schon die meisten Großmütter.
Sie greife auf alte Rezepte zurück, erklärt Daniela, aber auch auf „echte Hexenrezepte“ – wobei die Grenzen fließend sind. „Man kann auch ein Zauberer in der Küche sein, wenn man weiß, welche Art von Kümmel man verwenden muss, damit das Essen bekömmlich wird.“ Und vieles, was früher als Hexerei angesehen wurde, gehöre mittlerweile zum Standardwissen von Medizinern, Physikern oder Chemikern.
Hexerei lehre, Ängste zu überwinden, sagt Daniela, Voraussetzung dafür sei die Bereitschaft, an sich zu arbeiten. „Hexerei hat nichts damit zu tun, ein Feuerchen zu machen und im weißen Nachthemd drumherum zu tanzen.“ Sie hänge aber auch damit zusammen, dass „Menschen sich gegen bestimmte gesellschaftliche Strukturen auflehnen“. Es gehe um die „Fähigkeit, jemandem wieder Lust am Leben zu verleihen, Freude zu verbreiten, ohne jemandem zu schaden“, um Karma und Energie, um Kräuter, Runen und Amulette, um Yin und Yang – und natürlich um Magie.
„Prag ist die Stadt der Magie, das war sie immer und wird sie immer sein“, glaubt Daniela. Einen Beleg dafür meint sie schon im Namen der Stadt zu erkennen. Der sei auf „práh“ zurückzuführen, was auch Schwelle bedeutet. „Das steht für den Eintritt in etwas, in eine andere Welt.“ Außerdem sei Prag „einer von wenigen Orten auf der Erde, an denen es zwei Typen von Energie gibt, von oben nach unten, aber auch von unten nach oben“, behauptet Daniela. „Wenn Sie auf der Karlsbrücke stehen, dann werden Sie das spüren“, sagt sie und breitet ihre Arme aus. Aber statt auf einem Besen davonzufliegen, verabschiedet sie sich mit einem festen Händedruck.
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