Der Hüter der Pfeifen
Der Veitsdom soll endlich eine angemessene Orgel bekommen. Štěpán Svoboda ist für die Tasteninstrumente in Prags katholischen Kirchen verantwortlich
3. 2. 2016 - Text: Corinna AntonText und Fotos: Corinna Anton
Ein wenig kennt sich Štěpán Svoboda auch mit Organen aus. Immerhin hat er fast bis zum Abschluss Medizin studiert. Heute ist er als Organologe allerdings nicht für menschliche Innereien zuständig, sondern für das Instrument, das in keiner Kirche fehlen darf. Der 40-Jährige kümmert sich als Sachverständiger um die Orgeln der katholischen Kirchen in Prag, betreut Restaurierungen und plant Neubauten – wie derzeit für den Veitsdom.
Wer sich im Dom schon einmal umgedreht und nach oben geblickt hat, wundert sich vielleicht, dass das Erzbistum eine neue Orgel bauen lassen will. Immerhin gibt es mehrere Instrumente, die von unten betrachtet was hermachen. Gemessen an der Größe der Kirche reiche die Orgel jedoch nicht aus, erklärt Svoboda. „Der Veitsdom hat erst mit der Erweiterung Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts seine heutige Form erhalten. Damals sollte eine große Orgel entstehen, aber den Verantwortlichen ist das Geld ausgegangen.“ Ein paar Jahre wollte man warten; in der Zwischenzeit sollte ein kleineres Instrument provisorisch seinen Zweck erfüllen. Es kam jedoch der Zweite Weltkrieg dazwischen und anschließend die Herrschaft der Kommunistischen Partei, die für liturgische Musik ebenso wenig übrig hatte wie für die katholische Kirche überhaupt.
In Vergessenheit geraten ist das Projekt aber nicht; in den vergangenen Jahren sei ein paar Mal darüber gesprochen worden, sagt der Sachverständige. Nun seien sich die höchsten Vertreter von Staat und Kirche einig, dass die „geeignete Zeit“ für den Neubau gekommen sei. Bis die ersten Töne erklingen, müssen Gläubige aber noch ein wenig Geduld aufbringen – und eine Menge Geld. Etwa 70 bis 75 Millionen Kronen, umgerechnet gut 2,5 Millionen Euro, werde das Instrument wohl kosten, glaubt Svoboda und hofft auf weitere Spenden. Bisher kamen größere Beträge von Firmen, unter anderem von der Lotteriegesellschaft Sazka und vom halbstaatlichen Energiekonzern ČEZ; aber auch Kleinunternehmer und Einzelpersonen unterstützen den Bau.
Sobald feststeht, wie genau die Orgel aussehen wird, könnten Sponsoren zudem Patenschaften für einzelne Pfeifen übernehmen; wie viele Pfeifen und welche Register das Instrument haben wird – also welche Instrumente der Organist später zum Klingen bringen kann – soll sich Svoboda zufolge bis zum Frühjahr oder Sommer entscheiden. Derzeit läuft noch die Ausschreibung, anschließend wird eine Fachkommission einen Orgelbauer empfehlen. „Das wird mit Sicherheit eine ausländische Firma sein“, verrät der Sachverständige. Man habe Unternehmen aus Ländern mit großer Orgelbau-Tradition angefragt, etwa aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Holland, Spanien und England. „Hierzulande haben wir zwar auch gute Orgelbauer, aber keine, die Erfahrung mit so großen Instrumenten haben.“
Auf den Umfang allein komme es allerdings gar nicht an, versichert Svoboda. „Wir haben gewiss nicht die Ambition, dass es ein besonders großes Instrument wird, wir wollen vor allem, dass es gut wird und dass es die höchsten künstlerischen Anforderungen erfüllt.“ Ist ein Orgelbauer gefunden, wird er den Dom zunächst vermessen, um sich eine Vorstellung von der Akustik und den räumlichen Möglichkeiten zu machen. Das Instrument entwirft er dann „im Kopf, auf Papier und am Computer“, so Svoboda. Der Prozess dauere vier bis sechs Monate. Anschließend wird die Orgel in der Werkstatt aufgebaut und Probe gespielt, was etwa 18 Monate in Anspruch nehmen kann. Gegebenenfalls wird direkt nachgebessert, bevor das Instrument zerlegt und in die Kirche gebracht wird. „Man kann das mit einem Lego-Baukasten vergleichen“, sagt der Organologe.
Vor Ort braucht der Orgelbauer weitere zwei bis drei Monate, um das Instrument zu errichten und noch einmal so lange, um alle Pfeifen genau an den Raum anzupassen. „Das ist die große Kunst des Orgelbaus. Jede Pfeife muss am Ende ganz natürlich klingen.“ Mit wie viel Mühe das verbunden ist, könne man sich ausrechnen, „wenn man zum Beispiel von 8.000 Pfeifen ausgeht und weiß, dass der Orgelbauer jede mehrmals in die Hand nehmen muss“.
Was manche Kirchenbesucher nicht ahnen: In jedem Instrument steckt ein Vielfaches der Pfeifen, die von außen sichtbar sind; und dass die Orgel von unten pompös erscheint, muss noch lange nicht heißen, dass sie auch gut klingt. Im Dom des Heiligen Nikolaus unterhalb der Burg zum Beispiel sieht der Besucher ein großartiges barockes Instrument, das allerdings nicht funktioniert. „Die Orgel wurde in den sechziger Jahren ziemlich radikal umgebaut“, sagt Svoboda. Das Material hielt aber nicht lange. Sechs bis sieben Millionen Kronen, schätzt der Sachverständige, werde die Restaurierung wohl kosten.
Dass solche wertvollen historischen Instrumente erhalten und instand gesetzt werden müssen, davon brauche er heute kaum jemanden überzeugen, so der Prager, der regelmäßig selbst bei Gottesdiensten auf der Spielbank sitzt. Orgelmusik sei beliebt in der Stadt, Konzert würden rege besucht und gute Instrumente hätten eine lange Tradition. „Das barocke Prag war ein Zentrum des Orgelbaus.“ Als nach dem dreißigjährigen Krieg die (katholische) Kultur in Prag und ganz Böhmen aufblühte, seien viele Instrumente gebaut worden, von denen einige bis heute erhalten sind.
Heute gibt es laut Svoboda nur eine Orgelbauerschule in Tschechien, nämlich im schlesischen Krnov an der Grenze zu Polen. Seit den neunziger Jahren bringe sie wieder heimische Orgelbauer hervor, die aber Svoboda zufolge auch im Ausland Erfahrung sammeln sollten, damit sie sich nicht „auf den tschechischen Fischteich beschränken“. Ein Studium oder eine Ausbildung zum Organologen kann man in Tschechien – anders als in manchen westeuropäischen Ländern – nicht absolvieren. Svoboda hat sich viel Wissen selbst angeeignet; schon als Kind interessierte er sich für Orgeln, später fuhr er durchs Land, um sich besondere Instrumente anzusehen. Nachdem er zuerst Oboe gelernt hatte, setzte er sich schließlich selbst an die Orgel und lernte, mit Händen und Füßen gleichzeitig Musik zu machen.
Er sei eingesprungen, weil in der Gemeinde damals ein Organist fehlte, erinnert er sich. Mittlerweile sei Prag aber ganz gut versorgt. Auch dank vieler Musikstudenten erklinge in fast jedem Gottesdienst eine Orgel. Auf dem Land dagegen sei es schwieriger. Dort fehlten in manchen Gemeinden „ein bis zwei Generationen“ von Organisten.
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