Eine absolute Rarität
Tschechiens Parlamentarier genießen Immunität auf Lebenszeit. Dieses Privileg soll nun abgeschafft werden
21. 2. 2013 - Text: Marcus HundtText: mh/čtk; Foto: Hynek Moravec/Creative Commons
Mit einem seiner ersten Erlasse als russischer Präsident erregte Wladimir Putin Ende des Jahres 1999 bereits internationales Aufsehen. Er verfügte, dass sein Vorgänger Boris Jelzin lebenslange Immunität erhält, nachdem Korruptionsvorwürfe gegen das zurückgetretene Staatsoberhaupt erhoben worden waren. Jelzin konnte dadurch bis zu seinem Tod im Jahre 2007 nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden.
Was selbst in Russland verfassungsrechtlich eine Ausnahme darstellt, ist in der tschechischen Verfassung fest verankert. Alle Parlamentsvertreter und Verfassungsrichter genießen hierzulande eine Immunität auf Lebenszeit; das heißt, auch nach dem Ablauf ihres Mandats sind sie vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt. In der vergangenen Woche hat das tschechische Abgeordnetenhaus beschlossen, diese Immunität aufzuheben und einen entsprechenden Gesetzesvorschlag mit 148 Stimmen gebilligt. Darin heißt es: „Verweigert die Kammer ihr Einverständnis zur strafrechtlichen Verfolgung ist diese für die Dauer des Mandats ausgeschlossen“ – und nicht mehr darüber hinaus.
Seit 1995 sind im Parlament bereits 15 Anträge, diese besondere Immunität zu beschränken, diskutiert worden – alle sind gescheitert, der letzte Versuch im April 2012 jedoch nur knapp. Zwei Stimmen fehlten damals zur Annahme der Novelle. Nun lag dieser Antrag in leicht veränderter Form erneut dem Abgeordnetenhaus zur Abstimmung vor. Politologen und auch einige Senatoren rechnen fest damit, dass er dieses Mal auch von der oberen Kammer abgesegnet wird. Nicht jedoch Finanzminister Miroslav Kalousek (TOP 09). Dieser sagte gegenüber der Nachrichtenagentur čtk, dass die Immunität auf Lebenszeit wohl erst in einer der kommenden Legislaturperioden aufgehoben werde. „Man muss einfach immer wieder versuchen, dieses Relikt zu beseitigen“, sagte Kalousek, der einen eigenen, weitergehenden Gesetzesantrag zur Abstimmung vorgelegt hatte. Die parlamentarische Immunität – die von der Öffentlichkeit als „illegitimes Privileg“ aufgefasst werde – sollte demnach nur die Meinungsfreiheit garantieren und auf Redebeiträge im Parlament angewandt werden. Es müsse ausgeschlossen sein, dass dieses Rechtsgut bestimmten Machtinteressen dienen könnte. Für Kalouseks Vorhaben stimmten jedoch nur 50 der 168 anwesenden Abgeordneten.
Geteilte Ansichten
Kateřina Klasnová, stellvertretende Vorsitzende der ehemaligen Regierungspartei VV, erklärte vor den Abgeordneten, die in Tschechien geltende Immunität sei auf internationaler Ebene eine „absolute Rarität“. Zudem sei im vergangenen Jahr bereits die Immunität des Staatspräsidenten eingeschränkt und mit der Einführung der Direktwahl auf dessen Amtszeit begrenzt worden. „Parlamentarier sollten sich nicht über das Staatsoberhaupt stellen“, sagte Klasnová. Entgegen der meisten seiner Parteikollegen stimmte der TOP-09-Abgeordnete Daniel Korte gegen den Antrag, der seiner Ansicht nach auf „reinem Populismus“ beruhe und nur auf der Tagesordnung stehe, um das Ansehen der Gesetzgeber zu verbessern.
Für den Politikwissenschaftler Milan Znoj spielt der Druck der Öffentlichkeit eine entscheidende Rolle, mit der Verabschiedung des Gesetzesvorschlags rechnet er fest. Gleichzeitig gibt er zu bedenken, warum die lebenslange Immunität in Tschechien bis heute nicht abgeschafft wurde. „Parlamentarier, die eine solche Macht in ihren Händen halten, geben diese nur ungern wieder ab. Das trifft aber wohl auf alle Menschen zu“, sagte Znoj gegenüber dem Tschechischen Fernsehen. Der Senator und ehemalige Präsidentschaftskandidat Jiří Dienstbier (ČSSD), der die aktuelle Gesetzesnovelle zur Beschränkung der Immunität mit ausgearbeitet hatte, verteidigte den generellen Schutz eines politischen Amtsträgers vor Strafverfolgung, „aber nicht in der Form, wie wir ihn in der Tschechischen Republik haben.“ Die Immunität solle das Parlament als Staatsorgan schützen und niemals als Sonderrecht für dessen Mitglieder verstanden werden.
Nachgeschlagen: Immunität
Der Begriff Immunität bezeichnet im Staatsrecht den Schutz der Abgeordneten vor Strafverfolgung und anderer Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit (parlamentarische Immunität). Sie beginnt mit der Annahme der Wahl, schützt aber denjenigen Abgeordneten nicht, der bei Begehung der Tat oder am folgenden Tag festgenommen wird. Da die Immunität primär ein Recht des Parlaments (schützt dessen Funktionsfähigkeit), nicht des einzelnen Abgeordneten ist, kann auch nur das Parlament sie aufheben, der einzelne Abgeordnete kann nicht auf sie verzichten. Die Immunität hindert nicht die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten.
Das Völkerrecht kennt die Unterscheidung zwischen der Immunität von Personen, besonders von Diplomaten (diplomatische Immunität), und der Immunität der Staaten. Letzteres bedeutet, dass die Staaten und ihre Hoheitsträger nicht der Rechtsprechungsgewalt anderer Staaten unterliegen. Die Ausgestaltung der Immunität bleibt dem innerstaatlichen Recht überlassen; sie begrenzt zugunsten der Staaten und ihrer Organe die Jurisdiktion anderer Staaten durch Achtung der Exterritorialität.
Aus: Duden Recht A-Z. Fachlexikon für Studium, Ausbildung und Beruf. 1. Auflage. Mannheim: Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus 2007
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“