Eine „Nicht-Führung“ durch die Goldene Stadt
Martin Becker versucht sich an einer „Gebrauchsanweisung für Prag und Tschechien“
23. 3. 2016 - Text: Petr JerabekText: Petr Jerabek; Foto: APZ
Sein erster Besuch in Prag stand unter keinen guten Vorzeichen. Martin Becker war schon mit Magenproblemen in den Zug gestiegen und statt die Stadt zu erkunden, musste er das Bett hüten: „Röcheln statt Romantik, Bananen statt Burgen, Magentropfen statt Moldau.“ Trotzdem lernte Becker die tschechische Hauptstadt schätzen und lieben – so sehr, dass er eine „Gebrauchsanweisung für Prag und Tschechien“ verfasst hat.
Seit knapp vier Jahrzehnten gibt der Piper Verlag die „Gebrauchsanweisungen“ heraus. Darin nähern sich zum Teil namhafte Autoren Städten, Regionen oder Ländern mit persönlichem Blick. 1999 erschien ein Band über Tschechien und Prag von Jiří Gruša (1938–2011), dem Schriftsteller und früheren tschechischen Botschafter in Deutschland. Nach mehreren Neuauflagen wird das Buch nun durch die „Gebrauchsanweisung für Prag und Tschechien“ von Becker ersetzt.
Auf 220 Seiten breitet der 33-Jährige, der in Leipzig lebt, seine Sicht auf die Stadt aus, nimmt den Leser aber auch mit nach Brünn und Ostrava, nach Karlsbad und ins Altvatergebirge. Er bietet interessante Schilderungen und wertvolle Tipps, aber auch so manchen Allgemeinplatz („Nehmen Sie sich Zeit. Lassen Sie alles auf sich wirken“).
Kafka und Schwejk
Becker befasst sich mit tschechischem Bier und Humor, der böhmischen Küche und den Tücken der Sprache. Egal ob Franz Kafka oder Bohumil Hrabal, der brave Soldat Schwejk oder der kleine Maulwurf – der Autor arbeitet zuverlässig die Themen und Namen ab, die man erwarten darf. Doch wo Grušas Werk viel zu kulturhistorisch, zu vollgestopft mit Bezügen, Anspielungen und Namen war, da kratzt Becker oft nur an der Oberfläche, verliert sich zuweilen im Banalen.
Wenn der Autor verkündet, er kenne „keine Stadt in Mitteleuropa, in der Geschichte und Literatur so permanent präsent sind“, möchte man ihm eine Reise nach Paris oder Wien ans Herz legen. Und dass eine U-Bahn-Fahrt an den Stadtrand zeigt, „wie groß die Metropole eigentlich ist“ und wo sich das Leben der meisten Bewohner abspielt, lässt sich wohl in allen Großstädten beobachten.
Dazu gesellen sich vereinzelt Unstimmigkeiten und Fehler. So erklärt er die Aussprache des Buchstabens Ž am Beispiel der Wörter Jazz und Journalist – das zweite stimmt, das erste nicht. Und im Kapitel über Karlsbad berichtet der Autor, Goethe habe sich dort „als alter Herr in die neunzehnjährige Ulrike von Levetzow“ verliebt: „Die Zuneigung währte einige Jahre, dann aber wies sie ihn endgültig ab, und Goethe verließ Karlsbad.“ Tatsächlich lernte Goethe 1821 in Marienbad die 17-jährige Ulrike von Levetzow kennen, zwei Jahre später machte er ihr dort einen Heiratsantrag, den sie ablehnte. Den Schmerz über die unerfüllte Liebe verarbeitete Goethe in seinem Gedicht „Marienbader Elegie“.
So begeistert Becker Stadtteile wie Karlín und Vinohrady oder Ausflüge mit Straßenbahnen und Zügen beschreibt, so ärgerlich ist seine demonstrative Weigerung, sich mit dem Prager Zentrum zu befassen. Während die Journalistin Birgit Schönau in ihrer „Gebrauchsanweisung für Rom“ anhand zentraler Plätze wie der Piazza Navona und Piazza di Spagna ein Porträt der Stadt zeichnet, lässt Becker Altstädter Ring, Wenzelsplatz und Co. außen vor. Bis Seite 140 muss der Leser warten, ehe die Sehenswürdigkeiten auch nur erwähnt werden, um dann zu erfahren: „Ich liebe diese Stadt wirklich sehr. Aber das Zentrum, das Zentrum, wäre da nur nicht das Zentrum!“
Statt mit feiner Ironie oder liebevoller Distanz auf das Treiben im Herzen Prags einzugehen, begnügt sich Becker mit einem Kapitel, das den Titel „Eine Nicht-Führung durch die Altstadt“ trägt. Der Zauber von Altstadt, Kleinseite und Burg hat sich ihm offenbar nie erschlossen. Becker ist alles suspekt, „was glänzt“. Dafür geht er der Frage nach, wie es um die Hipster in Prag steht, oder schwärmt von durchzechten Nächten.
Becker beschreibt nicht ohne Pathos, was ihm an Tschechien und Prag lieb und teuer ist, welche Autoren er schätzt. Dabei wechseln sich gelungene Passagen mit unbefriedigenden ab. Hinter den herausragenden Bänden der Reihe wie der „Gebrauchsanweisung für China“ von Kai Strittmatter bleibt er weit zurück. Über die Eigenheiten der Tschechen erfährt man bei Becker wenig – bis auf ein paar Verallgemeinerungen über die „Seele des Tschechen an sich“. Der Autor schwärmt zwar vom Prag der einfachen Leute, sie spielen in seinem Buch aber kaum eine Rolle: Zu Wort kommen fast ausschließlich seine Schriftsteller-Freunde.
Und wenn Becker am Ende seine Beziehung zu Prag zu einer Hassliebe à la Kafka stilisiert, wirkt das ziemlich dick aufgetragen: „Du fehlst mir immer. Ich kann Dich nicht ertragen. Aus der Ferne beruhigst Du mich, aber in der Nähe machst Du mich wahnsinnig. Was soll das nur alles werden mit uns?“
Martin Becker: Gebrauchsanweisung für Prag und Tschechien. Piper, München/Berlin/Zürich 2016, 224 Seiten, 15 Euro, ISBN 978-3-492-27675-7
„Markus von Liberec“
Geheimes oder Geheimnistuerei?