One-Man-Show mit toten Tieren
František Kšána ist Metzger. Aber seine Kunden schätzen ihn vor allem als Entertainer. Dabei ist seine Botschaft ernst: Fleisch muss fett sein – nicht billig
13. 4. 2016 - Text: Marek ŠálekText: Marek Šálek; Foto: Tomáš Třeštík
Den Theatern im Prager Zentrum macht derzeit ein Metzger Konkurrenz. In seinem Geschäft in der Dlouhá-Straße finden Stand-up-Vorführungen statt, die einzigartig in Tschechien sind. František Kšána junior redet dort stundenlang, seinen Kopf streckt er wie ein Teleskop hinter dem Pult vor. Er unterhält die Kundenmenge mit einem glückseligen Lächeln auf den Lippen. Als ob es auf der Welt nichts Spannenderes gäbe als Roastbeef, Schinken, Schulter, Hackfleisch, Speck und Würste. Als wäre er in Ekstase.
Am Ende des Tages, wenn der Andrang in der Metzgerei am größten ist, zieht František Kšána die Tischplatte nach unten, die bisher an der Decke hing, stellt sieben Stühle zusammen und beginnt aufzudecken: Teller, Gläser, Servietten, Besteck. Die Gäste, die sich einen Platz für die Show namens „Abendessen vom Metzger“ reserviert haben, kommen um sieben. Der Entertainer verrät, was die Gäste während der dreistündigen Verkostung erwartet. Dann schaltet er einen Gang höher. Er unterhält, fragt nach, lacht, bedient – ein einmaliges Theaterstück, das mehrere Wochen im Voraus ausverkauft ist und dessen Karten 1.000 Kronen (37 Euro) kosten.
Kšána junior ist das Gesicht der Metzgerei „Naše maso“ („Unser Fleisch“), aber nicht der Chef. Ihm gehören zehn Prozent, den Rest hält die Firma Ambiente, die mehrere Restaurants in Prag betreibt, darunter das Café Savoy und das La Degustation Bohême Bourgeoise. Für den Laden in der Dlouhá-Straße ist der Koch Radek Chaloupka verantwortlich. „František ist der Frontmann. Er kommt, stellt sich hinter das Fleisch und schreit ins Mikrofon, bis wir es ausschalten.“ Der Kapellmeister ist Vlasta Lacina. Er ist für alles zuständig, was mit der Beschaffung der Rohstoffe zusammenhängt – von den Verhandlungen mit den Züchtern über das Schlachten der Tiere bis zur Fleischreifung. Als Produzent gilt Tomáš Karpíšek, dem die Kette Ambiente gehört.
Wie die Gruppe zu ihrem Solisten gekommen ist, das ist eine längere Geschichte. Den Namen Kšána verband man bisher mit dem Prager Stadtteil Břevnov, wo František Kšána senior im Jahr 1996 einen Familienbetrieb eröffnete. Auf die Rollos malte eine Nachbarin Ferkel und Würstchen. „Metzgerei Kšána und Sohn“ schrieb der Vater stolz auf eine Tafel. Der Junior stand kurz vor seinem Abitur an der Berufsfachschule mit Spezialisierung auf Fleischverarbeitungstechnologie.
Etwa 16 Jahre später kündigte der Vater dem Sohn. „Das hat er gut gemacht“, sagt der Junior heute. „Ich musste zur Ruhe kommen, ich hatte die Nase voll. Ich arbeitete täglich zwölf bis 14 Stunden mit dem Fleisch, manchmal habe ich vor Müdigkeit geweint.“ Im Kopf hatte er damals schon eine Vision: Er wollte eine Metzgerei mit kleinem Grill, damit die Kunden gleich probieren können, was sie kaufen. „Dabei wollte ich ihnen etwas erzählen.“ Für den Vater aber kam so eine Veränderung nicht in Frage. Also suchte sich der Sohn andere Geschäftspartner.
So kam es zum Zusammenschluss, der nun die Prager Gastronomie-Szene durcheinanderbringt. Inspirieren ließen sich die neuen Kollegen auf einer Reise nach New York, wo sie Metzgereien und Bistros besichtigten.
Bitte anfassen!
Die Räucherwaren für „Naše maso“ werden heute in den Werkstätten der Fachschule hergestellt, in der Kšána junior damals Abitur gemacht hat. „Die Lehrer waren froh, František wiederzusehen. Sie haben uns alte Maschinen vermietet, die wir zwar dauernd reparieren müssen, dafür befindet sich die Schule im Zentrum, das ist ein Vorteil“, sagt Lacina. Er und seine Partner erwarteten, dass sich die Kunden von „Naše maso“ am meisten für erstklassiges Rindfleisch interessieren würden. Es zeigte sich aber bald, dass auch Würste und Leberkäse gut gehen und dass die Leute ihre Einkäufe direkt verkosten wollen. „Heute kommt ein Drittel der Kunden direkt zum Essen“, sagt Kšána. Chinesische Touristen betreten den Laden und zeigen auf ihren Handys Fotos von tschechischer Wurst, die sie kaufen wollen. Zusätzlich zur Metzgerei mit dem Imbiss hinter der Auslage gibt es mittlerweile einen kleinen Laden, in dem Kunden schnelle Einkäufe erledigen oder ihre Bestellungen aus dem Online-Shop abholen können. „Für diejenigen, die František schon hundert Mal gehört haben und keine Zeit für seine Reden haben – oder keine Lust darauf“, sagt Manager Chaloupka.
Aber was erzählt der 37-jährige Metzger den Besuchern während der Arbeit eigentlich die ganze Zeit? Einfach gesagt: Er spricht mit viel Liebe über Schmalz. Über Fett und Talg – oder über die Marmorierung von Fleisch. Für Generationen, die am liebsten mageres Fleisch ohne ein Stückchen Fett mochten, ist das eine ziemliche Revolution. „Am Schmalz erkennt man einfach alles. Welche genetischen Eigenschaften das Tier hat, wie es aufgewachsen ist, was es gefressen hat, wie es gepflegt wurde. Das alles wirkt sich auf den Geschmack aus“, sagt der Mann, der sich selbst im Scherz als Fleisch-Sommelier bezeichnet. „Ich muss das Fleisch immer abtasten und daran riechen – ich vergöttere das einfach.“ Auch seine Kunden fordert er auf, zu „schnuppern“. Wenn sie das nicht wollen, „dann zeige ich ihnen wenigstens die Marmorierung, damit sie wissen, wie gutes Fleisch aussehen muss“.
Das hört sich alles gut an – aber sind es nicht nur Märchen, um die Kunden damit zu versöhnen, wie tief sie bei Kšána in die Tasche greifen müssen? Alles kostet dort anderthalbmal so viel wie in einem herkömmlichen Geschäft, manchmal auch um ein Vielfaches. „Wir wollen alles so ehrlich machen wie es nur geht“, sagt Lacina. Bei Räucherware heißt das: „Fleisch, Gewürze, Salz – das ist alles. Keine Polyphosphate oder Stärke. Das ist zugleich die anspruchsvollste und teuerste Methode.“ Bei fettigem Fleisch würde häufig etwas hinzugegeben, damit man es besser verarbeiten könne, so Lacina. „Wir machen das nicht. Das macht die Arbeit für uns komplizierter und das Fleisch für die Kunden teurer.“
Beim Rindfleisch setzen der Ambiente-Eigentümer Tomáš Karpíšek und sein Team auf Ochsen und Färsen statt auf junge Stiere – wegen der Marmorierung. Solche Tiere wachsen langsam, müssen länger gefüttert und getrennt von der Hauptherde gehalten werden. Kostenaufwendiger ist auch das Schlachten. Sorgfältig „gewinnen“ die Metzger die Partien, die normalerweise als Vorder- und Hinterfleisch auf zwei großen Stapeln landen.
Ähnlich verhält es sich mit dem Schweinefleisch. Die Tiere sollen langsam wachsen und reichhaltig gefüttert werden. Es wird ausschließlich das von Kšána geliebte schwarz-gescheckte Přeštice-Schwein verwendet. Während des Sozialismus war das heimische Tier aus tschechischen Ställen fast komplett verschwunden, weil es als „nicht wirtschaftlich“ galt. Aus dem gleichen Grund steht es bei Züchtern auch heute nicht hoch im Kurs.
Für alle Fleischsorten gilt außerdem: Jedes Stück, das im Laden angeboten wird, hat einen Zahlencode, hinter dem sich Informationen über das Tier, den Züchter und das Schlachthaus verbergen. „Wir wollen, dass der Kunde das erfährt. Wir wollen, dass er sich dafür interessiert und weiß, was er isst“, erklärt Lacina.
In die Wüste geschickt
All diese Extrawürste sind genau das, was Kšána junior ausprobieren wollte – und mit seinem Vater nicht konnte. Der Senior hatte in den siebziger Jahren in der Prager Altstadt unter einem Metzger zu arbeiten begonnen, der das Handwerk noch in der Ersten Republik gelernt hatte. Er hieß Urban und war zu seiner Zeit dafür bekannt, dass er als erster Prager einen mit Gas betriebenen Kühlschrank besaß. Kšána senior heiratete, gründete eine Familie und verbrachte fast die gesamten achtziger Jahre in Libyen als Angestellter des Außenhandelsunternehmens Strojimport. Er war verantwortlich für eine Küche und Kantine für 1.500 Beschäftigte, die am Rand der Sahara eine Metallfabrik für das Regime von Muammar al-Gaddafi aufbauten – darunter Geologen, Ingenieure, Soldaten und Arbeiter.
„Als Fanda klein war, haben wir drei Jahre dort verbracht, aber als er in die Schule kam, sind wir zurückgekehrt“, erzählt seine Mutter. „Sein Vater fehlte ihm in dieser Zeit, das war klar. Als wir dann wieder zusammen waren, wollte er ihm nahe sein. Schon mit 13 Jahren hat er viel Zeit mit ihm zusammen beim Fleisch verbracht.“ Nachdem der Vater sein eigenes Geschäft eröffnet hatte, überlegte der Sohn, ob er studieren sollte. Aber es zog ihn wieder zum Vater hin. „Schließlich haben sie es 16 Jahre in einem Betrieb ausgehalten. Das ist für mich fast ein Wunder“, sagt die Mutter. Fanda habe „modern gedacht“, nachts habe er im Internet recherchiert, über Fleisch, Schlachten und Kochen.
Wer sich noch daran erinnert, wie Vater und Sohn in der Metzgerei zusammenarbeiteten, weiß womöglich auch noch, dass der Junior immer großes Interesse hatte, wenn jemand ins Ausland reiste. Er wollte wissen, wie dort die Metzgereien aussehen, manchmal bat er auch um ein Foto. „Damals hatte ich schon ein Geschäft mit Bistro im Kopf“, erinnert er sich heute. Inzwischen hat er sich etwas anderes ausgedacht: „Ich möchte all die Leute, die regelmäßig zu uns kommen, zu einer richtigen Party einladen“, sagt er in seiner Kammer hinter der Metzgerei in der Dlouhá-Straße, in die kaum ein Stuhl und ein Computer hineinpassen. Worüber er mit seinen Gästen sprechen will? „Über alles: Woher sie kommen, was sie machen, ob sie Kinder haben …“ Ist es für einen Metzger hinter der Wursttheke nicht manchmal hinderlich, wenn er so neugierig ist? „Natürlich sind die Leute ab und zu schüchtern und wollen nicht viel sagen. Das ist auch kein Wunder, wenn alle in der Schlange hinter ihnen mithören. Oder jemand ist nervös, hat es eilig und würde am liebsten schnell seine Einkäufe nehmen und verschwinden. Dann muss ich mich zurücknehmen und auf eine bessere Gelegenheit warten.“
Schlachtfest auf der Straße
Eine solche wittert Kšána meistens, wenn Kunden seinen Laden betreten, die nicht aus Prag sind. „Ich weiß, dass ich sie nicht enttäuschen darf. Damit meine ich nicht das Fleisch, sondern das Erlebnis. Wahrscheinlich sind sie gekommen, um etwas zu lernen und zu erfahren. Das muss ich ihnen bieten.“ Für einen solchen Moment hat er eine Reihe einfacher Fragen parat, mit denen er sich zuerst herantastet. „Die Prager sind so durchtrieben, sie erwarten, dass ich ihretwegen sofort meine Arbeit unterbreche – was ich natürlich gerne mache. Ein Mensch, der nicht in der Großstadt lebt, fühlt sich dagegen oft etwas unsicher. Ich muss es aber so einrichten, dass er zu Hause später etwas zu erzählen hat.“ Kšánas Chef Radek Chaloupka ergänzt: „Kommen Sie mal im Sommer. Wenn die Frauen leicht bekleidet in den Laden kommen, dann sieht und hört er nichts – da würde er einen Lendenbraten für den Preis eines Stücks Speck verkaufen“. Wenn eine hübsche Frau das Geschäft betrete, rechtfertigt sich der Metzger, „wollen Sie sie natürlich nicht einfach so wieder gehen lassen“. Die Chemie zwischen dem Fleischverkäufer und einer „geschickten Frau, die gerne kocht“, funktioniere zuverlässig. „Das hat etwas Animalisches und das mag ich sehr gerne.“
Kšána ist von seiner Arbeit so besessen, dass er sich nur schwer mit der Entscheidung seiner Partner abfinden konnte, im Laden nur noch bis 18 Uhr Fleisch zum Mitnehmen zu verkaufen und stattdessen denen den Vorzug zu geben, die in der Metzgerei essen wollen. Dafür macht er jetzt Schlachtfeste auf der Straße: „Es ist ganz egal, ob mich ein paar Nachbarn einladen, eine Institution oder irgendeine Firma. Ich liebe es, wenn Passanten stehenbleiben, damit ich ihnen alles zeigen, zum Probieren anbieten und mich mit ihnen unterhalten kann. Und um uns herum fahren Straßenbahnen, spazieren Leute mit Hunden und Eltern mit Kinderwagen.“
Nach Feierabend fährt der Entertainer mit der Straßenbahn zurück nach Břevnov. Im Sommer will er vielleicht das Fahrrad oder einen Roller nehmen. Unterwegs versuche er abzuschalten, sagt er. Man kann nicht behaupten, dass Kšána in der Metzgerei heute völlig unabkömmlich wäre. Hinter der Wursttheke wimmelt es von geschicktem Personal, das den laufenden Betrieb auch ohne ihn schafft. Als Aushilfen arbeiten hier nach Feierabend sogar Leute, die etwas anderes gelernt haben: Fleisch verkaufen zum Beispiel ein Rechnungsprüfer aus einem Ministerium, ein Psychologe und ein Fluglotse. Andererseits würde Kšána vielen Stammkunden natürlich fehlen.
Der Artikel erschien zuerst auf Tschechisch im Monatsmagazin „Reportér“ (Ausgabe März 2016). Übersetzung (gekürzt): Corinna Anton
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